Eichendorff, Joseph von: Gedichte. Berlin, 1837.Abschied und Wiedersehen. I. In süßen Spielen unter nun gegangen Sind Liebchens Augen, und sie athmet linde, Stilllauschend sitz' ich bei dem holden Kinde, Die Locken streichelnd ihr von Stirn und Wangen. Ach! Lust und Mond und Sterne sind vergangen, Am Fenster mahnen schon die Morgenwinde: Daß ich vom Nacken leis die Arme winde, Die noch im Schlummer lieblich mich umfangen. O öffne nicht der Augen süße Strahle! Nur einen Kuß noch -- und zum Letztenmale Geh' ich von Dir durch's stille Schloß hernieder. Streng greift der eis'ge Morgen an die Glieder, Wie ist die Welt so klar und kalt und helle -- Tiefschauernd tret' ich von der lieben Schwelle. II. Ein zart Geheimniß webt in stillen Räumen, Die Erde löst die diamant'nen Schleifen, Und nach des Himmels süßen Strahlen greifen Die Blumen, die der Mutter Kleid besäumen. Da rauscht's lebendig draußen in den Bäumen,
Aus Osten langen purpurrothe Streifen, Hoch Lerchenlieder durch das Zwielicht schweifen -- Du hebst das blüh'nde Köpfchen hold aus Träumen. Abſchied und Wiederſehen. I. In ſuͤßen Spielen unter nun gegangen Sind Liebchens Augen, und ſie athmet linde, Stilllauſchend ſitz' ich bei dem holden Kinde, Die Locken ſtreichelnd ihr von Stirn und Wangen. Ach! Luſt und Mond und Sterne ſind vergangen, Am Fenſter mahnen ſchon die Morgenwinde: Daß ich vom Nacken leis die Arme winde, Die noch im Schlummer lieblich mich umfangen. O oͤffne nicht der Augen ſuͤße Strahle! Nur einen Kuß noch — und zum Letztenmale Geh' ich von Dir durch's ſtille Schloß hernieder. Streng greift der eiſ'ge Morgen an die Glieder, Wie iſt die Welt ſo klar und kalt und helle — Tiefſchauernd tret' ich von der lieben Schwelle. II. Ein zart Geheimniß webt in ſtillen Raͤumen, Die Erde loͤſt die diamant'nen Schleifen, Und nach des Himmels ſuͤßen Strahlen greifen Die Blumen, die der Mutter Kleid beſaͤumen. Da rauſcht's lebendig draußen in den Baͤumen,
Aus Oſten langen purpurrothe Streifen, Hoch Lerchenlieder durch das Zwielicht ſchweifen — Du hebſt das bluͤh'nde Koͤpfchen hold aus Traͤumen. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0311" n="293"/> </div> <div n="2"> <head> <hi rendition="#b">Abſchied und Wiederſehen.</hi><lb/> </head> <lg> <head><hi rendition="#aq">I</hi>.<lb/></head> <lg type="poem"> <l><hi rendition="#in">I</hi>n ſuͤßen Spielen unter nun gegangen</l><lb/> <l>Sind Liebchens Augen, und ſie athmet linde,</l><lb/> <l>Stilllauſchend ſitz' ich bei dem holden Kinde,</l><lb/> <l>Die Locken ſtreichelnd ihr von Stirn und Wangen.</l><lb/> </lg> <lg type="poem"> <l>Ach! Luſt und Mond und Sterne ſind vergangen,</l><lb/> <l>Am Fenſter mahnen ſchon die Morgenwinde:</l><lb/> <l>Daß ich vom Nacken leis die Arme winde,</l><lb/> <l>Die noch im Schlummer lieblich mich umfangen.</l><lb/> </lg> <lg type="poem"> <l>O oͤffne nicht der Augen ſuͤße Strahle!</l><lb/> <l>Nur einen Kuß noch — und zum Letztenmale</l><lb/> <l>Geh' ich von Dir durch's ſtille Schloß hernieder.</l><lb/> </lg> <lg type="poem"> <l>Streng greift der eiſ'ge Morgen an die Glieder,</l><lb/> <l>Wie iſt die Welt ſo klar und kalt und helle —</l><lb/> <l>Tiefſchauernd tret' ich von der lieben Schwelle.</l><lb/> </lg> </lg> <lg> <head><hi rendition="#aq">II</hi>.<lb/></head> <lg type="poem"> <l>Ein zart Geheimniß webt in ſtillen Raͤumen,</l><lb/> <l>Die Erde loͤſt die diamant'nen Schleifen,</l><lb/> <l>Und nach des Himmels ſuͤßen Strahlen greifen</l><lb/> <l>Die Blumen, die der Mutter Kleid beſaͤumen.</l><lb/> </lg> <lg type="poem"> <l>Da rauſcht's lebendig draußen in den Baͤumen,</l><lb/> <l>Aus Oſten langen purpurrothe Streifen,</l><lb/> <l>Hoch Lerchenlieder durch das Zwielicht ſchweifen —</l><lb/> <l>Du hebſt das bluͤh'nde Koͤpfchen hold aus Traͤumen.</l><lb/> </lg> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [293/0311]
Abſchied und Wiederſehen.
I.
In ſuͤßen Spielen unter nun gegangen
Sind Liebchens Augen, und ſie athmet linde,
Stilllauſchend ſitz' ich bei dem holden Kinde,
Die Locken ſtreichelnd ihr von Stirn und Wangen.
Ach! Luſt und Mond und Sterne ſind vergangen,
Am Fenſter mahnen ſchon die Morgenwinde:
Daß ich vom Nacken leis die Arme winde,
Die noch im Schlummer lieblich mich umfangen.
O oͤffne nicht der Augen ſuͤße Strahle!
Nur einen Kuß noch — und zum Letztenmale
Geh' ich von Dir durch's ſtille Schloß hernieder.
Streng greift der eiſ'ge Morgen an die Glieder,
Wie iſt die Welt ſo klar und kalt und helle —
Tiefſchauernd tret' ich von der lieben Schwelle.
II.
Ein zart Geheimniß webt in ſtillen Raͤumen,
Die Erde loͤſt die diamant'nen Schleifen,
Und nach des Himmels ſuͤßen Strahlen greifen
Die Blumen, die der Mutter Kleid beſaͤumen.
Da rauſcht's lebendig draußen in den Baͤumen,
Aus Oſten langen purpurrothe Streifen,
Hoch Lerchenlieder durch das Zwielicht ſchweifen —
Du hebſt das bluͤh'nde Koͤpfchen hold aus Traͤumen.
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