Der Fürst sey der Frau Rath aus besonderer Höf¬ lichkeit auf der Treppe entgegen gekommen; da er aber seine gewöhnliche geistliche Kleidung getragen, so habe sie ihn für einen Abbe gehalten und nicht sonderlich auf ihn geachtet. Auch habe sie anfänglich bei Tafel, an seiner Seite sitzend, nicht eben das freundlichste Ge¬ sicht gemacht. Im Laufe des Gesprächs aber sey ihr an dem Benehmen der übrigen Anwesenden nach und nach beigegangen, daß es der Primas sey.
Der Fürst habe darauf ihre und ihres Sohnes Ge¬ sundheit getrunken, worauf denn die Frau Rath auf¬ gestanden und die Gesundheit Sr. Hoheit ausgebracht.
Mittwoch, den 10. Februar 1830*.
Heute nach Tisch war ich einen Augenblick bei Goethe. Er freute sich des herannahenden Frühlings und der wieder länger werdenden Tage. Dann spra¬ chen wir über die Farbenlehre. Er schien an der Mög¬ lichkeit zu zweifeln, seiner einfachen Theorie Bahn zu machen. "Die Irrthümer meiner Gegner, sagte er, sind seit einem Jahrhundert zu allgemein verbreitet, als daß ich auf meinem einsamen Wege hoffen könnte, noch diesen oder jenen Gefährten zu finden. Ich werde allein bleiben! -- Ich komme mir oft vor wie ein Mann in einem Schiffbruch, der ein Brett ergreift, das nur einen Einzigen zu tragen im Stande ist. Dieser Eine rettet sich, während alle Uebrigen jämmerlich ersaufen."
Der Fürſt ſey der Frau Rath aus beſonderer Höf¬ lichkeit auf der Treppe entgegen gekommen; da er aber ſeine gewöhnliche geiſtliche Kleidung getragen, ſo habe ſie ihn für einen Abbé gehalten und nicht ſonderlich auf ihn geachtet. Auch habe ſie anfänglich bei Tafel, an ſeiner Seite ſitzend, nicht eben das freundlichſte Ge¬ ſicht gemacht. Im Laufe des Geſprächs aber ſey ihr an dem Benehmen der übrigen Anweſenden nach und nach beigegangen, daß es der Primas ſey.
Der Fürſt habe darauf ihre und ihres Sohnes Ge¬ ſundheit getrunken, worauf denn die Frau Rath auf¬ geſtanden und die Geſundheit Sr. Hoheit ausgebracht.
Mittwoch, den 10. Februar 1830*.
Heute nach Tiſch war ich einen Augenblick bei Goethe. Er freute ſich des herannahenden Frühlings und der wieder länger werdenden Tage. Dann ſpra¬ chen wir über die Farbenlehre. Er ſchien an der Mög¬ lichkeit zu zweifeln, ſeiner einfachen Theorie Bahn zu machen. „Die Irrthümer meiner Gegner, ſagte er, ſind ſeit einem Jahrhundert zu allgemein verbreitet, als daß ich auf meinem einſamen Wege hoffen könnte, noch dieſen oder jenen Gefährten zu finden. Ich werde allein bleiben! — Ich komme mir oft vor wie ein Mann in einem Schiffbruch, der ein Brett ergreift, das nur einen Einzigen zu tragen im Stande iſt. Dieſer Eine rettet ſich, während alle Uebrigen jämmerlich erſaufen.“
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Der Fürſt ſey der Frau Rath aus beſonderer Höf¬
lichkeit auf der Treppe entgegen gekommen; da er aber
ſeine gewöhnliche geiſtliche Kleidung getragen, ſo habe
ſie ihn für einen Abbé gehalten und nicht ſonderlich
auf ihn geachtet. Auch habe ſie anfänglich bei Tafel,
an ſeiner Seite ſitzend, nicht eben das freundlichſte Ge¬
ſicht gemacht. Im Laufe des Geſprächs aber ſey ihr
an dem Benehmen der übrigen Anweſenden nach und
nach beigegangen, daß es der Primas ſey.
Der Fürſt habe darauf ihre und ihres Sohnes Ge¬
ſundheit getrunken, worauf denn die Frau Rath auf¬
geſtanden und die Geſundheit Sr. Hoheit ausgebracht.
Mittwoch, den 10. Februar 1830*.
Heute nach Tiſch war ich einen Augenblick bei
Goethe. Er freute ſich des herannahenden Frühlings
und der wieder länger werdenden Tage. Dann ſpra¬
chen wir über die Farbenlehre. Er ſchien an der Mög¬
lichkeit zu zweifeln, ſeiner einfachen Theorie Bahn zu
machen. „Die Irrthümer meiner Gegner, ſagte er,
ſind ſeit einem Jahrhundert zu allgemein verbreitet,
als daß ich auf meinem einſamen Wege hoffen könnte,
noch dieſen oder jenen Gefährten zu finden. Ich werde
allein bleiben! — Ich komme mir oft vor wie ein Mann
in einem Schiffbruch, der ein Brett ergreift, das nur
einen Einzigen zu tragen im Stande iſt. Dieſer Eine
rettet ſich, während alle Uebrigen jämmerlich erſaufen.“
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848, S. 290. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848/312>, abgerufen am 21.11.2024.
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