Goethe konnte nicht satt werden, immer noch mehr einzelne Facta zu vernehmen.
Mittwoch, den 27. April 1825.
Gegen Abend zu Goethe, der mich zu einer Spazier¬ fahrt in den untern Garten hatte einladen lassen. "Ehe wir fahren, sagte er, will ich Ihnen doch einen Brief von Zelter geben, den ich gestern erhalten, und worin er auch unsere Theaterangelegenheit berührt."
"Daß Du der Mann nicht bist, schreibt Zelter unter Anderem, dem Volk in Weimar ein Theater zu bauen, hätte ich Dir schon eher angesehen. Wer sich grün macht, den fressen die Ziegen. Das möchten nur auch andere Hoheiten bedenken, die den Wein in der Gohre pfropfen wollen. Freunde, wir habens erlebt, ja erleben es."
Goethe sah mich an und wir lachten. "Zelter ist brav und tüchtig, sagte er, aber er kommt mitunter in den Fall, mich nicht ganz zu verstehen und meinen Worten eine falsche Auslegung zu geben."
"Ich habe dem Volk und dessen Bildung mein gan¬ zes Leben gewidmet, warum sollte ich ihm nicht auch ein Theater bauen! -- Allein hier in Weimar, in dieser kleinen Residenz, die, wie man scherzhafterweise sagt, zehntausend Poeten und einige Einwohner hat, wie kann da viel von Volk die Rede seyn, -- und nun gar von einem Volks-Theater! -- Weimar wird ohne
Goethe konnte nicht ſatt werden, immer noch mehr einzelne Facta zu vernehmen.
Mittwoch, den 27. April 1825.
Gegen Abend zu Goethe, der mich zu einer Spazier¬ fahrt in den untern Garten hatte einladen laſſen. „Ehe wir fahren, ſagte er, will ich Ihnen doch einen Brief von Zelter geben, den ich geſtern erhalten, und worin er auch unſere Theaterangelegenheit berührt.“
„Daß Du der Mann nicht biſt, ſchreibt Zelter unter Anderem, dem Volk in Weimar ein Theater zu bauen, hätte ich Dir ſchon eher angeſehen. Wer ſich grün macht, den freſſen die Ziegen. Das möchten nur auch andere Hoheiten bedenken, die den Wein in der Gohre pfropfen wollen. Freunde, wir habens erlebt, ja erleben es.“
Goethe ſah mich an und wir lachten. „Zelter iſt brav und tüchtig, ſagte er, aber er kommt mitunter in den Fall, mich nicht ganz zu verſtehen und meinen Worten eine falſche Auslegung zu geben.“
„Ich habe dem Volk und deſſen Bildung mein gan¬ zes Leben gewidmet, warum ſollte ich ihm nicht auch ein Theater bauen! — Allein hier in Weimar, in dieſer kleinen Reſidenz, die, wie man ſcherzhafterweiſe ſagt, zehntauſend Poeten und einige Einwohner hat, wie kann da viel von Volk die Rede ſeyn, — und nun gar von einem Volks-Theater! — Weimar wird ohne
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Goethe konnte nicht ſatt werden, immer noch mehr
einzelne Facta zu vernehmen.
Mittwoch, den 27. April 1825.
Gegen Abend zu Goethe, der mich zu einer Spazier¬
fahrt in den untern Garten hatte einladen laſſen.
„Ehe wir fahren, ſagte er, will ich Ihnen doch einen
Brief von Zelter geben, den ich geſtern erhalten, und
worin er auch unſere Theaterangelegenheit berührt.“
„Daß Du der Mann nicht biſt, ſchreibt Zelter unter
Anderem, dem Volk in Weimar ein Theater zu bauen,
hätte ich Dir ſchon eher angeſehen. Wer ſich grün
macht, den freſſen die Ziegen. Das möchten nur auch
andere Hoheiten bedenken, die den Wein in der Gohre
pfropfen wollen. Freunde, wir habens erlebt, ja
erleben es.“
Goethe ſah mich an und wir lachten. „Zelter iſt
brav und tüchtig, ſagte er, aber er kommt mitunter in
den Fall, mich nicht ganz zu verſtehen und meinen
Worten eine falſche Auslegung zu geben.“
„Ich habe dem Volk und deſſen Bildung mein gan¬
zes Leben gewidmet, warum ſollte ich ihm nicht auch ein
Theater bauen! — Allein hier in Weimar, in dieſer
kleinen Reſidenz, die, wie man ſcherzhafterweiſe ſagt,
zehntauſend Poeten und einige Einwohner hat, wie
kann da viel von Volk die Rede ſeyn, — und nun gar
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848, S. 84. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848/106>, abgerufen am 21.11.2024.
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