Diesen Mittag bey Tisch war ich mit Goethe und Frau v. Goethe allein. Und wie ein Gespräch früherer Tage wohl wieder aufgenommen und fortgeführt wird so geschah es auch heute. Der Moses von Rossini kam abermals zur Sprache und wir erinnerten uns gerne Goethe's heiterer Erfindung von vorgestern.
"Was ich in Scherz und guter Laune über den Moses geäußert haben mag, sagte Goethe, weiß ich nicht mehr; denn so etwas geschieht ganz unbewußt. Aber so viel ist gewiß, daß ich eine Oper nur dann mit Freuden genießen kann, wenn das Süjet eben so vollkommen ist wie die Musik, so daß beyde mit einander gleichen Schritt ge¬ hen. Fragt Ihr mich, welche Oper ich gut finde, so nenne ich Euch den Wasserträger; denn hier ist das Süjet so vollkommen, daß man es ohne Musik als ein bloßes Stück geben könnte und man es mit Freuden sehen würde. Diese Wichtigkeit einer guten Unterlage begreifen entweder die Componisten nicht, oder es fehlt ihnen durchaus an sachverständigen Poeten, die ihnen mit Bearbeitung guter Gegenstände zur Seite träten. Wäre der Freyschütz kein so gutes Süjet, so hätte die Musik zu thun gehabt, der Oper den Zulauf der Menge zu verschaffen, wie es nun der Fall ist, und man sollte daher dem Herrn Kind auch einige Ehre erzeigen."
Es ward noch Verschiedenes über diesen Gegenstand
Donnerſtag, den 9. October 1828.
Dieſen Mittag bey Tiſch war ich mit Goethe und Frau v. Goethe allein. Und wie ein Geſpraͤch fruͤherer Tage wohl wieder aufgenommen und fortgefuͤhrt wird ſo geſchah es auch heute. Der Moſes von Roſſini kam abermals zur Sprache und wir erinnerten uns gerne Goethe's heiterer Erfindung von vorgeſtern.
„Was ich in Scherz und guter Laune uͤber den Moſes geaͤußert haben mag, ſagte Goethe, weiß ich nicht mehr; denn ſo etwas geſchieht ganz unbewußt. Aber ſo viel iſt gewiß, daß ich eine Oper nur dann mit Freuden genießen kann, wenn das Suͤjet eben ſo vollkommen iſt wie die Muſik, ſo daß beyde mit einander gleichen Schritt ge¬ hen. Fragt Ihr mich, welche Oper ich gut finde, ſo nenne ich Euch den Waſſertraͤger; denn hier iſt das Suͤjet ſo vollkommen, daß man es ohne Muſik als ein bloßes Stuͤck geben koͤnnte und man es mit Freuden ſehen wuͤrde. Dieſe Wichtigkeit einer guten Unterlage begreifen entweder die Componiſten nicht, oder es fehlt ihnen durchaus an ſachverſtaͤndigen Poeten, die ihnen mit Bearbeitung guter Gegenſtaͤnde zur Seite traͤten. Waͤre der Freyſchuͤtz kein ſo gutes Suͤjet, ſo haͤtte die Muſik zu thun gehabt, der Oper den Zulauf der Menge zu verſchaffen, wie es nun der Fall iſt, und man ſollte daher dem Herrn Kind auch einige Ehre erzeigen.“
Es ward noch Verſchiedenes uͤber dieſen Gegenſtand
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Donnerſtag, den 9. October 1828.
Dieſen Mittag bey Tiſch war ich mit Goethe und
Frau v. Goethe allein. Und wie ein Geſpraͤch fruͤherer
Tage wohl wieder aufgenommen und fortgefuͤhrt wird
ſo geſchah es auch heute. Der Moſes von Roſſini
kam abermals zur Sprache und wir erinnerten uns gerne
Goethe's heiterer Erfindung von vorgeſtern.
„Was ich in Scherz und guter Laune uͤber den Moſes
geaͤußert haben mag, ſagte Goethe, weiß ich nicht mehr;
denn ſo etwas geſchieht ganz unbewußt. Aber ſo viel iſt
gewiß, daß ich eine Oper nur dann mit Freuden genießen
kann, wenn das Suͤjet eben ſo vollkommen iſt wie die
Muſik, ſo daß beyde mit einander gleichen Schritt ge¬
hen. Fragt Ihr mich, welche Oper ich gut finde, ſo
nenne ich Euch den Waſſertraͤger; denn hier iſt das
Suͤjet ſo vollkommen, daß man es ohne Muſik als ein
bloßes Stuͤck geben koͤnnte und man es mit Freuden
ſehen wuͤrde. Dieſe Wichtigkeit einer guten Unterlage
begreifen entweder die Componiſten nicht, oder es fehlt
ihnen durchaus an ſachverſtaͤndigen Poeten, die ihnen
mit Bearbeitung guter Gegenſtaͤnde zur Seite traͤten.
Waͤre der Freyſchuͤtz kein ſo gutes Suͤjet, ſo haͤtte
die Muſik zu thun gehabt, der Oper den Zulauf der
Menge zu verſchaffen, wie es nun der Fall iſt, und
man ſollte daher dem Herrn Kind auch einige Ehre
erzeigen.“
Es ward noch Verſchiedenes uͤber dieſen Gegenſtand
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836, S. 25. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836/35>, abgerufen am 21.11.2024.
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