Das heiterste Frühlingswetter ist nach langem Er¬ warten endlich eingetreten; am durchaus blauen Himmel schwebt nur hin und wieder ein weißes Wölkchen, und es ist warm genug, um wieder in Sommerkleidern zu gehen.
Goethe ließ in einem Pavillon am Garten decken, und so aßen wir denn heute wieder im Freyen. Wir sprachen über die Großfürstin, wie sie im Stillen überall hinwirke und Gutes thue, und sich die Herzen aller Unterthanen zu eigen mache.
"Die Großherzogin, sagte Goethe, hat so viel Geist und Güte, als guten Willen; sie ist ein wahrer Segen für das Land. Und wie nun der Mensch überall bald empfindet, woher ihm Gutes kommt, und wie er die Sonne verehrt und die übrigen wohlthätigen Elemente, so wundert es mich auch nicht, daß alle Herzen sich ihr mit Liebe zuwenden, und daß sie schnell erkannt wird, wie sie es verdient."
Ich sagte, daß ich mit dem Prinzen Minna von Barnhelm angefangen, und wie vortrefflich mir die¬ ses Stück erscheine. Man hat von Lessing behauptet, sagte ich, er sey ein kalter Verstandesmensch; ich finde aber in diesem Stück so viel Gemüth, liebenswürdige Natürlichkeit, Herz, und freye Weltbildung eines heite¬ ren frischen Lebemenschen, als man nur wünschen kann.
Sonntag den 27. Maͤrz 1831.
Das heiterſte Fruͤhlingswetter iſt nach langem Er¬ warten endlich eingetreten; am durchaus blauen Himmel ſchwebt nur hin und wieder ein weißes Woͤlkchen, und es iſt warm genug, um wieder in Sommerkleidern zu gehen.
Goethe ließ in einem Pavillon am Garten decken, und ſo aßen wir denn heute wieder im Freyen. Wir ſprachen uͤber die Großfuͤrſtin, wie ſie im Stillen uͤberall hinwirke und Gutes thue, und ſich die Herzen aller Unterthanen zu eigen mache.
„Die Großherzogin, ſagte Goethe, hat ſo viel Geiſt und Guͤte, als guten Willen; ſie iſt ein wahrer Segen fuͤr das Land. Und wie nun der Menſch uͤberall bald empfindet, woher ihm Gutes kommt, und wie er die Sonne verehrt und die uͤbrigen wohlthaͤtigen Elemente, ſo wundert es mich auch nicht, daß alle Herzen ſich ihr mit Liebe zuwenden, und daß ſie ſchnell erkannt wird, wie ſie es verdient.“
Ich ſagte, daß ich mit dem Prinzen Minna von Barnhelm angefangen, und wie vortrefflich mir die¬ ſes Stuͤck erſcheine. Man hat von Leſſing behauptet, ſagte ich, er ſey ein kalter Verſtandesmenſch; ich finde aber in dieſem Stuͤck ſo viel Gemuͤth, liebenswuͤrdige Natuͤrlichkeit, Herz, und freye Weltbildung eines heite¬ ren friſchen Lebemenſchen, als man nur wuͤnſchen kann.
<TEI><text><body><divn="3"><divn="4"><pbfacs="#f0337"n="327"/></div><divn="4"><datelinerendition="#right">Sonntag den 27. Maͤrz 1831.<lb/></dateline><p>Das heiterſte Fruͤhlingswetter iſt nach langem Er¬<lb/>
warten endlich eingetreten; am durchaus blauen Himmel<lb/>ſchwebt nur hin und wieder ein weißes Woͤlkchen, und<lb/>
es iſt warm genug, um wieder in Sommerkleidern zu<lb/>
gehen.</p><lb/><p>Goethe ließ in einem Pavillon am Garten decken,<lb/>
und ſo aßen wir denn heute wieder im Freyen. Wir<lb/>ſprachen uͤber die <hirendition="#g">Großfuͤrſtin</hi>, wie ſie im Stillen<lb/>
uͤberall hinwirke und Gutes thue, und ſich die Herzen<lb/>
aller Unterthanen zu eigen mache.</p><lb/><p>„Die Großherzogin, ſagte Goethe, hat ſo viel Geiſt<lb/>
und Guͤte, als guten Willen; ſie iſt ein wahrer Segen<lb/>
fuͤr das Land. Und wie nun der Menſch uͤberall bald<lb/>
empfindet, woher ihm Gutes kommt, und wie er die<lb/>
Sonne verehrt und die uͤbrigen wohlthaͤtigen Elemente,<lb/>ſo wundert es mich auch nicht, daß alle Herzen ſich ihr<lb/>
mit Liebe zuwenden, und daß ſie ſchnell erkannt wird,<lb/>
wie ſie es verdient.“</p><lb/><p>Ich ſagte, daß ich mit dem Prinzen <hirendition="#g">Minna von<lb/>
Barnhelm</hi> angefangen, und wie vortrefflich mir die¬<lb/>ſes Stuͤck erſcheine. Man hat von <hirendition="#g">Leſſing</hi> behauptet,<lb/>ſagte ich, er ſey ein kalter Verſtandesmenſch; ich finde<lb/>
aber in dieſem Stuͤck ſo viel Gemuͤth, liebenswuͤrdige<lb/>
Natuͤrlichkeit, Herz, und freye Weltbildung eines heite¬<lb/>
ren friſchen Lebemenſchen, als man nur wuͤnſchen kann.</p><lb/></div></div></body></text></TEI>
[327/0337]
Sonntag den 27. Maͤrz 1831.
Das heiterſte Fruͤhlingswetter iſt nach langem Er¬
warten endlich eingetreten; am durchaus blauen Himmel
ſchwebt nur hin und wieder ein weißes Woͤlkchen, und
es iſt warm genug, um wieder in Sommerkleidern zu
gehen.
Goethe ließ in einem Pavillon am Garten decken,
und ſo aßen wir denn heute wieder im Freyen. Wir
ſprachen uͤber die Großfuͤrſtin, wie ſie im Stillen
uͤberall hinwirke und Gutes thue, und ſich die Herzen
aller Unterthanen zu eigen mache.
„Die Großherzogin, ſagte Goethe, hat ſo viel Geiſt
und Guͤte, als guten Willen; ſie iſt ein wahrer Segen
fuͤr das Land. Und wie nun der Menſch uͤberall bald
empfindet, woher ihm Gutes kommt, und wie er die
Sonne verehrt und die uͤbrigen wohlthaͤtigen Elemente,
ſo wundert es mich auch nicht, daß alle Herzen ſich ihr
mit Liebe zuwenden, und daß ſie ſchnell erkannt wird,
wie ſie es verdient.“
Ich ſagte, daß ich mit dem Prinzen Minna von
Barnhelm angefangen, und wie vortrefflich mir die¬
ſes Stuͤck erſcheine. Man hat von Leſſing behauptet,
ſagte ich, er ſey ein kalter Verſtandesmenſch; ich finde
aber in dieſem Stuͤck ſo viel Gemuͤth, liebenswuͤrdige
Natuͤrlichkeit, Herz, und freye Weltbildung eines heite¬
ren friſchen Lebemenſchen, als man nur wuͤnſchen kann.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836, S. 327. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836/337>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.