Vor Tisch, bey einem Spaziergange auf der Erfur¬ ter Chaussee, begegnet mir Goethe, welcher halten läßt und mich in seinen Wagen nimmt. Wir fahren eine gute Strecke hinaus bis auf die Höhe neben das Tan¬ nenhölzchen, und reden über naturhistorische Dinge.
Die Hügel und Berge waren mit Schnee bedeckt, und ich erwähne die große Zartheit des Gelben, und daß in der Entfernung von einigen Meilen, mittelst zwischenliegender Trübe, ein Dunkeles eher blau erscheine als ein Weißes gelb. Goethe stimmet mir zu, und wir sprechen sodann von der hohen Bedeutung der Urphä¬ nomene, hinter welchen man unmittelbar die Gottheit zu gewahren glaube.
"Ich frage nicht, sagte Goethe, ob dieses höchste Wesen Verstand und Vernunft habe, sondern ich fühle: es ist der Verstand, es ist die Vernunft selber. Alle Geschöpfe sind davon durchdrungen und der Mensch hat davon soviel, daß er Theile des Höchsten erkennen mag."
Bey Tisch kam das Bestreben gewisser Naturforscher zur Erwähnung, die, um die organische Welt zu durch¬ schreiten, von der Mineralogie aufwärts gehen wollen. "Dieses ist ein großer Irrthum, sagte Goethe. In der mineralogischen Welt ist das Einfachste das Herrlichste, und in der organischen ist es das Complicirteste. Man sieht also, daß beyde Welten ganz verschiedene Tenden¬
II. 19
Mittwoch, den 23. Februar 1831.
Vor Tiſch, bey einem Spaziergange auf der Erfur¬ ter Chauſſee, begegnet mir Goethe, welcher halten laͤßt und mich in ſeinen Wagen nimmt. Wir fahren eine gute Strecke hinaus bis auf die Hoͤhe neben das Tan¬ nenhoͤlzchen, und reden uͤber naturhiſtoriſche Dinge.
Die Huͤgel und Berge waren mit Schnee bedeckt, und ich erwaͤhne die große Zartheit des Gelben, und daß in der Entfernung von einigen Meilen, mittelſt zwiſchenliegender Truͤbe, ein Dunkeles eher blau erſcheine als ein Weißes gelb. Goethe ſtimmet mir zu, und wir ſprechen ſodann von der hohen Bedeutung der Urphaͤ¬ nomene, hinter welchen man unmittelbar die Gottheit zu gewahren glaube.
„Ich frage nicht, ſagte Goethe, ob dieſes hoͤchſte Weſen Verſtand und Vernunft habe, ſondern ich fuͤhle: es iſt der Verſtand, es iſt die Vernunft ſelber. Alle Geſchoͤpfe ſind davon durchdrungen und der Menſch hat davon ſoviel, daß er Theile des Hoͤchſten erkennen mag.“
Bey Tiſch kam das Beſtreben gewiſſer Naturforſcher zur Erwaͤhnung, die, um die organiſche Welt zu durch¬ ſchreiten, von der Mineralogie aufwaͤrts gehen wollen. „Dieſes iſt ein großer Irrthum, ſagte Goethe. In der mineralogiſchen Welt iſt das Einfachſte das Herrlichſte, und in der organiſchen iſt es das Complicirteſte. Man ſieht alſo, daß beyde Welten ganz verſchiedene Tenden¬
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Mittwoch, den 23. Februar 1831.
Vor Tiſch, bey einem Spaziergange auf der Erfur¬
ter Chauſſee, begegnet mir Goethe, welcher halten laͤßt
und mich in ſeinen Wagen nimmt. Wir fahren eine
gute Strecke hinaus bis auf die Hoͤhe neben das Tan¬
nenhoͤlzchen, und reden uͤber naturhiſtoriſche Dinge.
Die Huͤgel und Berge waren mit Schnee bedeckt,
und ich erwaͤhne die große Zartheit des Gelben, und
daß in der Entfernung von einigen Meilen, mittelſt
zwiſchenliegender Truͤbe, ein Dunkeles eher blau erſcheine
als ein Weißes gelb. Goethe ſtimmet mir zu, und wir
ſprechen ſodann von der hohen Bedeutung der Urphaͤ¬
nomene, hinter welchen man unmittelbar die Gottheit zu
gewahren glaube.
„Ich frage nicht, ſagte Goethe, ob dieſes hoͤchſte
Weſen Verſtand und Vernunft habe, ſondern ich fuͤhle:
es iſt der Verſtand, es iſt die Vernunft ſelber. Alle
Geſchoͤpfe ſind davon durchdrungen und der Menſch hat
davon ſoviel, daß er Theile des Hoͤchſten erkennen mag.“
Bey Tiſch kam das Beſtreben gewiſſer Naturforſcher
zur Erwaͤhnung, die, um die organiſche Welt zu durch¬
ſchreiten, von der Mineralogie aufwaͤrts gehen wollen.
„Dieſes iſt ein großer Irrthum, ſagte Goethe. In der
mineralogiſchen Welt iſt das Einfachſte das Herrlichſte,
und in der organiſchen iſt es das Complicirteſte. Man
ſieht alſo, daß beyde Welten ganz verſchiedene Tenden¬
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836, S. 289. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836/299>, abgerufen am 30.12.2024.
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