Spuren vom Werther; das Verhältniß in Sesenheim ist angeknüpft, und der glückliche Jüngling scheint sich in dem Taumel der süßesten Empfindungen zu wiegen und seine Tage halb träumerisch hinzuschlendern. Die Hand¬ schrift der Briefe war ruhig, rein und zierlich, und schon zu dem Character entschieden, den Goethe's Hand später immer behalten hat. Ich konnte nicht aufhören, die liebenswürdigen Briefe wiederholt zu lesen, und ver¬ ließ Goethe in der glücklichsten, dankbarsten Empfindung.
Sonntag, den 12. April 1829.
Goethe las mir seine Antwort an den König von Bayern. Er hatte sich dargestellt wie einen der per¬ sönlich die Stufen der Villa hinaufgeht und sich in des Königs unmittelbarer Nähe mündlich äußert. Es mag schwer seyn, sagte ich, das richtige Verhältniß zu treffen wie man sich in solchen Fällen zu halten habe. "Wer wie ich, antwortete Goethe, sein ganzes Leben hindurch mit hohen Personen zu verkehren gehabt, für den ist es nicht schwer. Das Einzige dabey ist, daß man sich nicht durchaus menschlich gehen lasse, vielmehr sich stets innerhalb einer gewissen Convenienz halte."
Goethe sprach darauf von der Redaction seines zweyten Aufenthaltes in Rom, die ihn jetzt be¬ schäftiget.
Spuren vom Werther; das Verhaͤltniß in Seſenheim iſt angeknuͤpft, und der gluͤckliche Juͤngling ſcheint ſich in dem Taumel der ſuͤßeſten Empfindungen zu wiegen und ſeine Tage halb traͤumeriſch hinzuſchlendern. Die Hand¬ ſchrift der Briefe war ruhig, rein und zierlich, und ſchon zu dem Character entſchieden, den Goethe's Hand ſpaͤter immer behalten hat. Ich konnte nicht aufhoͤren, die liebenswuͤrdigen Briefe wiederholt zu leſen, und ver¬ ließ Goethe in der gluͤcklichſten, dankbarſten Empfindung.
Sonntag, den 12. April 1829.
Goethe las mir ſeine Antwort an den Koͤnig von Bayern. Er hatte ſich dargeſtellt wie einen der per¬ ſoͤnlich die Stufen der Villa hinaufgeht und ſich in des Koͤnigs unmittelbarer Naͤhe muͤndlich aͤußert. Es mag ſchwer ſeyn, ſagte ich, das richtige Verhaͤltniß zu treffen wie man ſich in ſolchen Faͤllen zu halten habe. „Wer wie ich, antwortete Goethe, ſein ganzes Leben hindurch mit hohen Perſonen zu verkehren gehabt, fuͤr den iſt es nicht ſchwer. Das Einzige dabey iſt, daß man ſich nicht durchaus menſchlich gehen laſſe, vielmehr ſich ſtets innerhalb einer gewiſſen Convenienz halte.“
Goethe ſprach darauf von der Redaction ſeines zweyten Aufenthaltes in Rom, die ihn jetzt be¬ ſchaͤftiget.
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Spuren vom Werther; das Verhaͤltniß in Seſenheim iſt
angeknuͤpft, und der gluͤckliche Juͤngling ſcheint ſich in
dem Taumel der ſuͤßeſten Empfindungen zu wiegen und
ſeine Tage halb traͤumeriſch hinzuſchlendern. Die Hand¬
ſchrift der Briefe war ruhig, rein und zierlich, und
ſchon zu dem Character entſchieden, den Goethe's Hand
ſpaͤter immer behalten hat. Ich konnte nicht aufhoͤren,
die liebenswuͤrdigen Briefe wiederholt zu leſen, und ver¬
ließ Goethe in der gluͤcklichſten, dankbarſten Empfindung.
Sonntag, den 12. April 1829.
Goethe las mir ſeine Antwort an den Koͤnig von
Bayern. Er hatte ſich dargeſtellt wie einen der per¬
ſoͤnlich die Stufen der Villa hinaufgeht und ſich in des
Koͤnigs unmittelbarer Naͤhe muͤndlich aͤußert. Es mag
ſchwer ſeyn, ſagte ich, das richtige Verhaͤltniß zu treffen
wie man ſich in ſolchen Faͤllen zu halten habe. „Wer
wie ich, antwortete Goethe, ſein ganzes Leben hindurch
mit hohen Perſonen zu verkehren gehabt, fuͤr den iſt es
nicht ſchwer. Das Einzige dabey iſt, daß man ſich
nicht durchaus menſchlich gehen laſſe, vielmehr ſich ſtets
innerhalb einer gewiſſen Convenienz halte.“
Goethe ſprach darauf von der Redaction ſeines
zweyten Aufenthaltes in Rom, die ihn jetzt be¬
ſchaͤftiget.
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836, S. 137. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836/147>, abgerufen am 21.11.2024.
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