Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836.

Bild:
<< vorherige Seite

Ich erzählte Goethen, daß ich in diesen Tagen
Winckelmanns Schrift über die Nachahmung grie¬
chischer Kunstwerke gelesen, wobey ich gestand, daß es
mir oft vorgekommen, als sey Winckelmann damals
noch nicht völlig klar über seine Gegenstände gewesen.

"Sie haben allerdings Recht, sagte Goethe, man
trifft ihn mitunter in einem gewissen Tasten; allein,
was das Große ist, sein Tasten weiset immer auf etwas
hin; er ist dem Columbus ähnlich, als er die neue
Welt zwar noch nicht entdeckt hatte, aber sie doch schon
ahnungsvoll im Sinne trug. Man lernt nichts,
wenn man ihn lieset, aber man wird etwas."

"Meyer ist nun weiter geschritten und hat die
Kenntniß der Kunst auf ihren Gipfel gebracht. Seine
Kunstgeschichte ist ein ewiges Werk; allein er wäre das
nicht geworden, wenn er sich nicht in der Jugend
an Winckelmann hinaufgebildet hätte und auf dessen
Wege fortgegangen wäre. Da sieht man abermals, was
ein großer Vorgänger thut und was es heißt, wenn
man sich diesen gehörig zu Nutze macht."


Ich erzaͤhlte Goethen, daß ich in dieſen Tagen
Winckelmanns Schrift uͤber die Nachahmung grie¬
chiſcher Kunſtwerke geleſen, wobey ich geſtand, daß es
mir oft vorgekommen, als ſey Winckelmann damals
noch nicht voͤllig klar uͤber ſeine Gegenſtaͤnde geweſen.

„Sie haben allerdings Recht, ſagte Goethe, man
trifft ihn mitunter in einem gewiſſen Taſten; allein,
was das Große iſt, ſein Taſten weiſet immer auf etwas
hin; er iſt dem Columbus aͤhnlich, als er die neue
Welt zwar noch nicht entdeckt hatte, aber ſie doch ſchon
ahnungsvoll im Sinne trug. Man lernt nichts,
wenn man ihn lieſet, aber man wird etwas.“

Meyer iſt nun weiter geſchritten und hat die
Kenntniß der Kunſt auf ihren Gipfel gebracht. Seine
Kunſtgeſchichte iſt ein ewiges Werk; allein er waͤre das
nicht geworden, wenn er ſich nicht in der Jugend
an Winckelmann hinaufgebildet haͤtte und auf deſſen
Wege fortgegangen waͤre. Da ſieht man abermals, was
ein großer Vorgaͤnger thut und was es heißt, wenn
man ſich dieſen gehoͤrig zu Nutze macht.“


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0361" n="341"/>
        </div>
        <div n="2">
          <dateline rendition="#right">Freitag den 16. Februar 1827.<lb/></dateline>
          <p>Ich erza&#x0364;hlte Goethen, daß ich in die&#x017F;en Tagen<lb/><hi rendition="#g">Winckelmanns</hi> Schrift u&#x0364;ber die Nachahmung grie¬<lb/>
chi&#x017F;cher Kun&#x017F;twerke gele&#x017F;en, wobey ich ge&#x017F;tand, daß es<lb/>
mir oft vorgekommen, als &#x017F;ey Winckelmann damals<lb/>
noch nicht vo&#x0364;llig klar u&#x0364;ber &#x017F;eine Gegen&#x017F;ta&#x0364;nde gewe&#x017F;en.</p><lb/>
          <p>&#x201E;Sie haben allerdings Recht, &#x017F;agte Goethe, man<lb/>
trifft ihn mitunter in einem gewi&#x017F;&#x017F;en Ta&#x017F;ten; allein,<lb/>
was das Große i&#x017F;t, &#x017F;ein Ta&#x017F;ten wei&#x017F;et immer auf etwas<lb/>
hin; er i&#x017F;t dem Columbus a&#x0364;hnlich, als er die neue<lb/>
Welt zwar noch nicht entdeckt hatte, aber &#x017F;ie doch &#x017F;chon<lb/>
ahnungsvoll im Sinne trug. Man <hi rendition="#g">lernt</hi> nichts,<lb/>
wenn man ihn lie&#x017F;et, aber man <hi rendition="#g">wird</hi> etwas.&#x201C;</p><lb/>
          <p>&#x201E;<hi rendition="#g">Meyer</hi> i&#x017F;t nun weiter ge&#x017F;chritten und hat die<lb/>
Kenntniß der Kun&#x017F;t auf ihren Gipfel gebracht. Seine<lb/>
Kun&#x017F;tge&#x017F;chichte i&#x017F;t ein ewiges Werk; allein er wa&#x0364;re das<lb/>
nicht geworden, wenn er &#x017F;ich nicht in der Jugend<lb/>
an Winckelmann hinaufgebildet ha&#x0364;tte und auf de&#x017F;&#x017F;en<lb/>
Wege fortgegangen wa&#x0364;re. Da &#x017F;ieht man abermals, was<lb/>
ein großer Vorga&#x0364;nger thut und was es heißt, wenn<lb/>
man &#x017F;ich die&#x017F;en geho&#x0364;rig zu Nutze macht.&#x201C;</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[341/0361] Freitag den 16. Februar 1827. Ich erzaͤhlte Goethen, daß ich in dieſen Tagen Winckelmanns Schrift uͤber die Nachahmung grie¬ chiſcher Kunſtwerke geleſen, wobey ich geſtand, daß es mir oft vorgekommen, als ſey Winckelmann damals noch nicht voͤllig klar uͤber ſeine Gegenſtaͤnde geweſen. „Sie haben allerdings Recht, ſagte Goethe, man trifft ihn mitunter in einem gewiſſen Taſten; allein, was das Große iſt, ſein Taſten weiſet immer auf etwas hin; er iſt dem Columbus aͤhnlich, als er die neue Welt zwar noch nicht entdeckt hatte, aber ſie doch ſchon ahnungsvoll im Sinne trug. Man lernt nichts, wenn man ihn lieſet, aber man wird etwas.“ „Meyer iſt nun weiter geſchritten und hat die Kenntniß der Kunſt auf ihren Gipfel gebracht. Seine Kunſtgeſchichte iſt ein ewiges Werk; allein er waͤre das nicht geworden, wenn er ſich nicht in der Jugend an Winckelmann hinaufgebildet haͤtte und auf deſſen Wege fortgegangen waͤre. Da ſieht man abermals, was ein großer Vorgaͤnger thut und was es heißt, wenn man ſich dieſen gehoͤrig zu Nutze macht.“

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/361
Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836, S. 341. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/361>, abgerufen am 22.12.2024.