Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836.

Bild:
<< vorherige Seite

Ich ging diesen Abend um sieben Uhr zu Goethe,
den ich in seinem Zimmer alleine fand. Ich setzte mich
zu ihm an den Tisch, indem ich ihm die Nachricht
brachte, daß ich gestern, bey seiner Durchreise nach
Petersburg, den Herzog von Wellington im Gast¬
hofe gesehen.

"Nun, sagte Goethe belebt, wie war er? Erzählen
Sie mir von ihm. Sieht er aus wie sein Portrait?"

Ja, sagte ich, aber besser! besonderer! Wenn man
einen Blick in sein Gesicht gethan hat, so sind alle
seine Portraits vernichtet. Und man braucht ihn nur
ein einziges Mal anzusehen, um ihn nie wieder zu ver¬
gessen, ein solcher Eindruck geht von ihm aus. Sein
Auge ist braun und vom heitersten Glanze, man fühlt
die Wirkung seines Blickes. Sein Mund ist sprechend,
auch wenn er geschlossen ist. Er sieht aus wie einer,
der Vieles gedacht und das Größte gelebt hat, und der
nun die Welt mit großer Heiterkeit und Ruhe behandelt
und den nichts mehr anficht. Hart und zäh erschien
er mir wie eine damascener Klinge.

Er ist, seinem Aussehen nach, hoch in den Funf¬
zigen, von grader Haltung, schlank, nicht sehr groß
und eher etwas mager als stark. Ich sah ihn, wie er
in den Wagen steigen und wieder abfahren wollte.

Ich ging dieſen Abend um ſieben Uhr zu Goethe,
den ich in ſeinem Zimmer alleine fand. Ich ſetzte mich
zu ihm an den Tiſch, indem ich ihm die Nachricht
brachte, daß ich geſtern, bey ſeiner Durchreiſe nach
Petersburg, den Herzog von Wellington im Gaſt¬
hofe geſehen.

„Nun, ſagte Goethe belebt, wie war er? Erzaͤhlen
Sie mir von ihm. Sieht er aus wie ſein Portrait?“

Ja, ſagte ich, aber beſſer! beſonderer! Wenn man
einen Blick in ſein Geſicht gethan hat, ſo ſind alle
ſeine Portraits vernichtet. Und man braucht ihn nur
ein einziges Mal anzuſehen, um ihn nie wieder zu ver¬
geſſen, ein ſolcher Eindruck geht von ihm aus. Sein
Auge iſt braun und vom heiterſten Glanze, man fuͤhlt
die Wirkung ſeines Blickes. Sein Mund iſt ſprechend,
auch wenn er geſchloſſen iſt. Er ſieht aus wie einer,
der Vieles gedacht und das Groͤßte gelebt hat, und der
nun die Welt mit großer Heiterkeit und Ruhe behandelt
und den nichts mehr anficht. Hart und zaͤh erſchien
er mir wie eine damascener Klinge.

Er iſt, ſeinem Ausſehen nach, hoch in den Funf¬
zigen, von grader Haltung, ſchlank, nicht ſehr groß
und eher etwas mager als ſtark. Ich ſah ihn, wie er
in den Wagen ſteigen und wieder abfahren wollte.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0264" n="244"/>
        </div>
        <div n="2">
          <dateline rendition="#right">Donner&#x017F;tag den 16. Februar 1826.<lb/></dateline>
          <p>Ich ging die&#x017F;en Abend um &#x017F;ieben Uhr zu Goethe,<lb/>
den ich in &#x017F;einem Zimmer alleine fand. Ich &#x017F;etzte mich<lb/>
zu ihm an den Ti&#x017F;ch, indem ich ihm die Nachricht<lb/>
brachte, daß ich ge&#x017F;tern, bey &#x017F;einer Durchrei&#x017F;e nach<lb/>
Petersburg, den Herzog von <hi rendition="#g">Wellington</hi> im Ga&#x017F;<lb/>
hofe ge&#x017F;ehen.</p><lb/>
          <p>&#x201E;Nun, &#x017F;agte Goethe belebt, wie war er? Erza&#x0364;hlen<lb/>
Sie mir von ihm. Sieht er aus wie &#x017F;ein Portrait?&#x201C;</p><lb/>
          <p>Ja, &#x017F;agte ich, aber be&#x017F;&#x017F;er! be&#x017F;onderer! Wenn man<lb/>
einen Blick in &#x017F;ein Ge&#x017F;icht gethan hat, &#x017F;o &#x017F;ind alle<lb/>
&#x017F;eine Portraits vernichtet. Und man braucht ihn nur<lb/>
ein einziges Mal anzu&#x017F;ehen, um ihn nie wieder zu ver¬<lb/>
ge&#x017F;&#x017F;en, ein &#x017F;olcher Eindruck geht von ihm aus. Sein<lb/>
Auge i&#x017F;t braun und vom heiter&#x017F;ten Glanze, man fu&#x0364;hlt<lb/>
die Wirkung &#x017F;eines Blickes. Sein Mund i&#x017F;t &#x017F;prechend,<lb/>
auch wenn er ge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en i&#x017F;t. Er &#x017F;ieht aus wie einer,<lb/>
der Vieles gedacht und das Gro&#x0364;ßte gelebt hat, und der<lb/>
nun die Welt mit großer Heiterkeit und Ruhe behandelt<lb/>
und den nichts mehr anficht. Hart und za&#x0364;h er&#x017F;chien<lb/>
er mir wie eine damascener Klinge.</p><lb/>
          <p>Er i&#x017F;t, &#x017F;einem Aus&#x017F;ehen nach, hoch in den Funf¬<lb/>
zigen, von grader Haltung, &#x017F;chlank, nicht &#x017F;ehr groß<lb/>
und eher etwas mager als &#x017F;tark. Ich &#x017F;ah ihn, wie er<lb/>
in den Wagen &#x017F;teigen und wieder abfahren wollte.<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[244/0264] Donnerſtag den 16. Februar 1826. Ich ging dieſen Abend um ſieben Uhr zu Goethe, den ich in ſeinem Zimmer alleine fand. Ich ſetzte mich zu ihm an den Tiſch, indem ich ihm die Nachricht brachte, daß ich geſtern, bey ſeiner Durchreiſe nach Petersburg, den Herzog von Wellington im Gaſt¬ hofe geſehen. „Nun, ſagte Goethe belebt, wie war er? Erzaͤhlen Sie mir von ihm. Sieht er aus wie ſein Portrait?“ Ja, ſagte ich, aber beſſer! beſonderer! Wenn man einen Blick in ſein Geſicht gethan hat, ſo ſind alle ſeine Portraits vernichtet. Und man braucht ihn nur ein einziges Mal anzuſehen, um ihn nie wieder zu ver¬ geſſen, ein ſolcher Eindruck geht von ihm aus. Sein Auge iſt braun und vom heiterſten Glanze, man fuͤhlt die Wirkung ſeines Blickes. Sein Mund iſt ſprechend, auch wenn er geſchloſſen iſt. Er ſieht aus wie einer, der Vieles gedacht und das Groͤßte gelebt hat, und der nun die Welt mit großer Heiterkeit und Ruhe behandelt und den nichts mehr anficht. Hart und zaͤh erſchien er mir wie eine damascener Klinge. Er iſt, ſeinem Ausſehen nach, hoch in den Funf¬ zigen, von grader Haltung, ſchlank, nicht ſehr groß und eher etwas mager als ſtark. Ich ſah ihn, wie er in den Wagen ſteigen und wieder abfahren wollte.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/264
Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836, S. 244. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/264>, abgerufen am 21.11.2024.