Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836.

Bild:
<< vorherige Seite

etwas Tüchtiges, Gesundes und daher Allgemeines ist,
das sich wiederholt. Die französische Geschichte dagegen
ist nicht für die Poesie, denn sie stellt eine Lebens-Epoche
dar, die nicht wiederkommt. Die Literatur dieses Volkes,
insofern sie auf jener Epoche gegründet ist, steht daher
als ein Besonderes da, das mit der Zeit veralten wird."

"Die jetzige Epoche der französischen Literatur, sagte
Goethe später, ist gar nicht zu beurtheilen. Das ein¬
dringende Deutsche bringt darin eine große Gährung
hervor und erst nach zwanzig Jahren wird man sehen,
was dieß für ein Resultat giebt."

Wir sprachen darauf über Ästhetiker, welche das
Wesen der Poesie und des Dichters durch abstracte De¬
finitionen auszudrücken sich abmühen, ohne jedoch zu
einem klaren Resultat zu kommen.

"Was ist da viel zu definiren, sagte Goethe. Le¬
bendiges Gefühl der Zustände und Fähigkeit es auszu¬
drücken macht den Poeten. --"


Ich fand Goethe diesen Abend in besonders hoher
Stimmung und hatte die Freude, aus seinem Munde
abermals manches Bedeutende zu hören. Wir sprachen
über den Zustand der neuesten Literatur, wo denn Goethe
sich folgendermaßen äußerte.

etwas Tuͤchtiges, Geſundes und daher Allgemeines iſt,
das ſich wiederholt. Die franzoͤſiſche Geſchichte dagegen
iſt nicht fuͤr die Poeſie, denn ſie ſtellt eine Lebens-Epoche
dar, die nicht wiederkommt. Die Literatur dieſes Volkes,
inſofern ſie auf jener Epoche gegruͤndet iſt, ſteht daher
als ein Beſonderes da, das mit der Zeit veralten wird.“

„Die jetzige Epoche der franzoͤſiſchen Literatur, ſagte
Goethe ſpaͤter, iſt gar nicht zu beurtheilen. Das ein¬
dringende Deutſche bringt darin eine große Gaͤhrung
hervor und erſt nach zwanzig Jahren wird man ſehen,
was dieß fuͤr ein Reſultat giebt.“

Wir ſprachen darauf uͤber Äſthetiker, welche das
Weſen der Poeſie und des Dichters durch abſtracte De¬
finitionen auszudruͤcken ſich abmuͤhen, ohne jedoch zu
einem klaren Reſultat zu kommen.

„Was iſt da viel zu definiren, ſagte Goethe. Le¬
bendiges Gefuͤhl der Zuſtaͤnde und Faͤhigkeit es auszu¬
druͤcken macht den Poeten. —“


Ich fand Goethe dieſen Abend in beſonders hoher
Stimmung und hatte die Freude, aus ſeinem Munde
abermals manches Bedeutende zu hoͤren. Wir ſprachen
uͤber den Zuſtand der neueſten Literatur, wo denn Goethe
ſich folgendermaßen aͤußerte.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0243" n="223"/>
etwas Tu&#x0364;chtiges, Ge&#x017F;undes und daher Allgemeines i&#x017F;t,<lb/>
das &#x017F;ich wiederholt. Die franzo&#x0364;&#x017F;i&#x017F;che Ge&#x017F;chichte dagegen<lb/>
i&#x017F;t nicht fu&#x0364;r die Poe&#x017F;ie, denn &#x017F;ie &#x017F;tellt eine Lebens-Epoche<lb/>
dar, die nicht wiederkommt. Die Literatur die&#x017F;es Volkes,<lb/>
in&#x017F;ofern &#x017F;ie auf jener Epoche gegru&#x0364;ndet i&#x017F;t, &#x017F;teht daher<lb/>
als ein Be&#x017F;onderes da, das mit der Zeit veralten wird.&#x201C;</p><lb/>
          <p>&#x201E;Die jetzige Epoche der franzo&#x0364;&#x017F;i&#x017F;chen Literatur, &#x017F;agte<lb/>
Goethe &#x017F;pa&#x0364;ter, i&#x017F;t gar nicht zu beurtheilen. Das ein¬<lb/>
dringende Deut&#x017F;che bringt darin eine große Ga&#x0364;hrung<lb/>
hervor und er&#x017F;t nach zwanzig Jahren wird man &#x017F;ehen,<lb/>
was dieß fu&#x0364;r ein Re&#x017F;ultat giebt.&#x201C;</p><lb/>
          <p>Wir &#x017F;prachen darauf u&#x0364;ber Ä&#x017F;thetiker, welche das<lb/>
We&#x017F;en der Poe&#x017F;ie und des Dichters durch ab&#x017F;tracte De¬<lb/>
finitionen auszudru&#x0364;cken &#x017F;ich abmu&#x0364;hen, ohne jedoch zu<lb/>
einem klaren Re&#x017F;ultat zu kommen.</p><lb/>
          <p>&#x201E;Was i&#x017F;t da viel zu definiren, &#x017F;agte Goethe. Le¬<lb/>
bendiges Gefu&#x0364;hl der Zu&#x017F;ta&#x0364;nde und Fa&#x0364;higkeit es auszu¬<lb/>
dru&#x0364;cken macht den Poeten. &#x2014;&#x201C;</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        </div>
        <div n="2">
          <dateline rendition="#right">Mittwoch den 15. October 1825.<lb/></dateline>
          <p>Ich fand Goethe die&#x017F;en Abend in be&#x017F;onders hoher<lb/>
Stimmung und hatte die Freude, aus &#x017F;einem Munde<lb/>
abermals manches Bedeutende zu ho&#x0364;ren. Wir &#x017F;prachen<lb/>
u&#x0364;ber den Zu&#x017F;tand der neue&#x017F;ten Literatur, wo denn Goethe<lb/>
&#x017F;ich folgendermaßen a&#x0364;ußerte.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[223/0243] etwas Tuͤchtiges, Geſundes und daher Allgemeines iſt, das ſich wiederholt. Die franzoͤſiſche Geſchichte dagegen iſt nicht fuͤr die Poeſie, denn ſie ſtellt eine Lebens-Epoche dar, die nicht wiederkommt. Die Literatur dieſes Volkes, inſofern ſie auf jener Epoche gegruͤndet iſt, ſteht daher als ein Beſonderes da, das mit der Zeit veralten wird.“ „Die jetzige Epoche der franzoͤſiſchen Literatur, ſagte Goethe ſpaͤter, iſt gar nicht zu beurtheilen. Das ein¬ dringende Deutſche bringt darin eine große Gaͤhrung hervor und erſt nach zwanzig Jahren wird man ſehen, was dieß fuͤr ein Reſultat giebt.“ Wir ſprachen darauf uͤber Äſthetiker, welche das Weſen der Poeſie und des Dichters durch abſtracte De¬ finitionen auszudruͤcken ſich abmuͤhen, ohne jedoch zu einem klaren Reſultat zu kommen. „Was iſt da viel zu definiren, ſagte Goethe. Le¬ bendiges Gefuͤhl der Zuſtaͤnde und Faͤhigkeit es auszu¬ druͤcken macht den Poeten. —“ Mittwoch den 15. October 1825. Ich fand Goethe dieſen Abend in beſonders hoher Stimmung und hatte die Freude, aus ſeinem Munde abermals manches Bedeutende zu hoͤren. Wir ſprachen uͤber den Zuſtand der neueſten Literatur, wo denn Goethe ſich folgendermaßen aͤußerte.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/243
Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836, S. 223. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/243>, abgerufen am 21.11.2024.