Ich ging um zwölf Uhr zu Goethe, der mich vor Tisch zu einer Spazierfahrt hatte einladen lassen. Ich fand ihn frühstückend als ich zu ihm hereintrat, und setzte mich ihm gegenüber, indem ich das Gespräch auf die Arbeiten brachte, die uns gemeinschaftlich in Bezug auf die neue Ausgabe seiner Werke beschäftigen. Ich redete ihm zu, sowohl seine Götter, Helden und Wieland als auch seine Briefe des Pastors in diese neue Edition mit aufzunehmen.
"Ich habe, sagte Goethe, auf meinem jetzigen Stand¬ punct über jene jugendlichen Productionen eigentlich kein Urtheil. Da mögt Ihr Jüngeren entscheiden. Ich will indeß jene Anfänge nicht schelten; ich war freylich noch dunkel und strebte in bewußtlosem Drange vor mir hin, aber ich hatte ein Gefühl des Rechten, eine Wünschel¬ ruthe, die mir anzeigte wo Gold war."
Ich machte bemerklich, daß dieses bey jedem großen Talent der Fall seyn müsse, indem es sonst bey seinem Erwachen in der gemischten Welt, nicht das Rechte er¬ greifen und das Verkehrte vermeiden würde.
Es war indeß angespannt und wir fuhren den Weg nach Jena hinaus. Wir sprachen verschiedene Dinge, Goethe erwähnte die neuen französischen Zeitungen.
"Die Constitution in Frankreich, sagte er, bey einem
9 *
Sonntag den 29. Februar 1824.
Ich ging um zwoͤlf Uhr zu Goethe, der mich vor Tiſch zu einer Spazierfahrt hatte einladen laſſen. Ich fand ihn fruͤhſtuͤckend als ich zu ihm hereintrat, und ſetzte mich ihm gegenuͤber, indem ich das Geſpraͤch auf die Arbeiten brachte, die uns gemeinſchaftlich in Bezug auf die neue Ausgabe ſeiner Werke beſchaͤftigen. Ich redete ihm zu, ſowohl ſeine Goͤtter, Helden und Wieland als auch ſeine Briefe des Paſtors in dieſe neue Edition mit aufzunehmen.
„Ich habe, ſagte Goethe, auf meinem jetzigen Stand¬ punct uͤber jene jugendlichen Productionen eigentlich kein Urtheil. Da moͤgt Ihr Juͤngeren entſcheiden. Ich will indeß jene Anfaͤnge nicht ſchelten; ich war freylich noch dunkel und ſtrebte in bewußtloſem Drange vor mir hin, aber ich hatte ein Gefuͤhl des Rechten, eine Wuͤnſchel¬ ruthe, die mir anzeigte wo Gold war.“
Ich machte bemerklich, daß dieſes bey jedem großen Talent der Fall ſeyn muͤſſe, indem es ſonſt bey ſeinem Erwachen in der gemiſchten Welt, nicht das Rechte er¬ greifen und das Verkehrte vermeiden wuͤrde.
Es war indeß angeſpannt und wir fuhren den Weg nach Jena hinaus. Wir ſprachen verſchiedene Dinge, Goethe erwaͤhnte die neuen franzoͤſiſchen Zeitungen.
„Die Conſtitution in Frankreich, ſagte er, bey einem
9 *
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0151"n="131"/></div><divn="2"><datelinerendition="#right">Sonntag den 29. Februar 1824.<lb/></dateline><p>Ich ging um zwoͤlf Uhr zu Goethe, der mich vor<lb/>
Tiſch zu einer Spazierfahrt hatte einladen laſſen. Ich<lb/>
fand ihn fruͤhſtuͤckend als ich zu ihm hereintrat, und<lb/>ſetzte mich ihm gegenuͤber, indem ich das Geſpraͤch auf<lb/>
die Arbeiten brachte, die uns gemeinſchaftlich in Bezug<lb/>
auf die neue Ausgabe ſeiner Werke beſchaͤftigen. Ich<lb/>
redete ihm zu, ſowohl ſeine <hirendition="#g">Goͤtter</hi>, <hirendition="#g">Helden und<lb/>
Wieland</hi> als auch ſeine <hirendition="#g">Briefe des Paſtors</hi> in<lb/>
dieſe neue Edition mit aufzunehmen.</p><lb/><p>„Ich habe, ſagte Goethe, auf meinem jetzigen Stand¬<lb/>
punct uͤber jene jugendlichen Productionen eigentlich kein<lb/>
Urtheil. Da moͤgt Ihr Juͤngeren entſcheiden. Ich will<lb/>
indeß jene Anfaͤnge nicht ſchelten; ich war freylich noch<lb/>
dunkel und ſtrebte in bewußtloſem Drange vor mir hin,<lb/>
aber ich hatte ein Gefuͤhl des Rechten, eine Wuͤnſchel¬<lb/>
ruthe, die mir anzeigte wo Gold war.“</p><lb/><p>Ich machte bemerklich, daß dieſes bey jedem großen<lb/>
Talent der Fall ſeyn muͤſſe, indem es ſonſt bey ſeinem<lb/>
Erwachen in der gemiſchten Welt, nicht das Rechte er¬<lb/>
greifen und das Verkehrte vermeiden wuͤrde.</p><lb/><p>Es war indeß angeſpannt und wir fuhren den Weg<lb/>
nach Jena hinaus. Wir ſprachen verſchiedene Dinge,<lb/>
Goethe erwaͤhnte die neuen franzoͤſiſchen Zeitungen.</p><lb/><p>„Die Conſtitution in Frankreich, ſagte er, bey einem<lb/><fwplace="bottom"type="sig">9 *<lb/></fw></p></div></div></body></text></TEI>
[131/0151]
Sonntag den 29. Februar 1824.
Ich ging um zwoͤlf Uhr zu Goethe, der mich vor
Tiſch zu einer Spazierfahrt hatte einladen laſſen. Ich
fand ihn fruͤhſtuͤckend als ich zu ihm hereintrat, und
ſetzte mich ihm gegenuͤber, indem ich das Geſpraͤch auf
die Arbeiten brachte, die uns gemeinſchaftlich in Bezug
auf die neue Ausgabe ſeiner Werke beſchaͤftigen. Ich
redete ihm zu, ſowohl ſeine Goͤtter, Helden und
Wieland als auch ſeine Briefe des Paſtors in
dieſe neue Edition mit aufzunehmen.
„Ich habe, ſagte Goethe, auf meinem jetzigen Stand¬
punct uͤber jene jugendlichen Productionen eigentlich kein
Urtheil. Da moͤgt Ihr Juͤngeren entſcheiden. Ich will
indeß jene Anfaͤnge nicht ſchelten; ich war freylich noch
dunkel und ſtrebte in bewußtloſem Drange vor mir hin,
aber ich hatte ein Gefuͤhl des Rechten, eine Wuͤnſchel¬
ruthe, die mir anzeigte wo Gold war.“
Ich machte bemerklich, daß dieſes bey jedem großen
Talent der Fall ſeyn muͤſſe, indem es ſonſt bey ſeinem
Erwachen in der gemiſchten Welt, nicht das Rechte er¬
greifen und das Verkehrte vermeiden wuͤrde.
Es war indeß angeſpannt und wir fuhren den Weg
nach Jena hinaus. Wir ſprachen verſchiedene Dinge,
Goethe erwaͤhnte die neuen franzoͤſiſchen Zeitungen.
„Die Conſtitution in Frankreich, ſagte er, bey einem
9 *
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836, S. 131. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/151>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.