Abends war ich im Theater, wo ich zum ersten Mal den Wallenstein sah. Goethe hatte nicht zuviel ge¬ sagt; der Eindruck war groß und mein tiefstes Innere aufregend. Die Schauspieler, größtentheils noch aus der Zeit, wo Schiller und Goethe persönlich auf sie einwirkten, brachten mir ein Ensemble bedeutender Per¬ sonen vor Augen, wie sie, beym Lesen, meiner Einbil¬ dungskraft nicht mit der Individualität erschienen waren, weßhalb denn das Stück mit außerordentlicher Kraft an mir vorüberging und ich es sogar während der Nacht nicht aus dem Sinn brachte.
Sonntag den 16. November 1823.
Abends bey Goethe. Er saß noch in seinem Lehn¬ stuhl und schien ein wenig schwach. Seine erste Frage war nach dem Wallenstein. Ich gab ihm Rechen¬ schaft von dem Eindruck, den das Stück von der Bühne herunter auf mich gemacht; er hörte es mit sichtbarer Freude.
Herr Soret kam, von Frau von Goethe hereinge¬ führt, und blieb ein Stündchen, indem er im Auftrag des Großherzogs goldene Medaillen brachte, deren Vor¬ zeigung und Besprechung Goethen eine angenehme Un¬ terhaltung zu gewähren schien.
Sonnabend den 15. November 18[2][3].
Abends war ich im Theater, wo ich zum erſten Mal den Wallenſtein ſah. Goethe hatte nicht zuviel ge¬ ſagt; der Eindruck war groß und mein tiefſtes Innere aufregend. Die Schauſpieler, groͤßtentheils noch aus der Zeit, wo Schiller und Goethe perſoͤnlich auf ſie einwirkten, brachten mir ein Enſemble bedeutender Per¬ ſonen vor Augen, wie ſie, beym Leſen, meiner Einbil¬ dungskraft nicht mit der Individualitaͤt erſchienen waren, weßhalb denn das Stuͤck mit außerordentlicher Kraft an mir voruͤberging und ich es ſogar waͤhrend der Nacht nicht aus dem Sinn brachte.
Sonntag den 16. November 1823.
Abends bey Goethe. Er ſaß noch in ſeinem Lehn¬ ſtuhl und ſchien ein wenig ſchwach. Seine erſte Frage war nach dem Wallenſtein. Ich gab ihm Rechen¬ ſchaft von dem Eindruck, den das Stuͤck von der Buͤhne herunter auf mich gemacht; er hoͤrte es mit ſichtbarer Freude.
Herr Soret kam, von Frau von Goethe hereinge¬ fuͤhrt, und blieb ein Stuͤndchen, indem er im Auftrag des Großherzogs goldene Medaillen brachte, deren Vor¬ zeigung und Beſprechung Goethen eine angenehme Un¬ terhaltung zu gewaͤhren ſchien.
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Sonnabend den 15. November 1823.
Abends war ich im Theater, wo ich zum erſten Mal
den Wallenſtein ſah. Goethe hatte nicht zuviel ge¬
ſagt; der Eindruck war groß und mein tiefſtes Innere
aufregend. Die Schauſpieler, groͤßtentheils noch aus
der Zeit, wo Schiller und Goethe perſoͤnlich auf ſie
einwirkten, brachten mir ein Enſemble bedeutender Per¬
ſonen vor Augen, wie ſie, beym Leſen, meiner Einbil¬
dungskraft nicht mit der Individualitaͤt erſchienen waren,
weßhalb denn das Stuͤck mit außerordentlicher Kraft an
mir voruͤberging und ich es ſogar waͤhrend der Nacht
nicht aus dem Sinn brachte.
Sonntag den 16. November 1823.
Abends bey Goethe. Er ſaß noch in ſeinem Lehn¬
ſtuhl und ſchien ein wenig ſchwach. Seine erſte Frage
war nach dem Wallenſtein. Ich gab ihm Rechen¬
ſchaft von dem Eindruck, den das Stuͤck von der Buͤhne
herunter auf mich gemacht; er hoͤrte es mit ſichtbarer
Freude.
Herr Soret kam, von Frau von Goethe hereinge¬
fuͤhrt, und blieb ein Stuͤndchen, indem er im Auftrag
des Großherzogs goldene Medaillen brachte, deren Vor¬
zeigung und Beſprechung Goethen eine angenehme Un¬
terhaltung zu gewaͤhren ſchien.
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836, S. 90. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/110>, abgerufen am 21.11.2024.
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