Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 2. Stuttgart, 1864.

Bild:
<< vorherige Seite

Atossa zog einen Ring von ihrem Finger, steckte denselben
an meine Hand und küßte dieselbe, lebhaft, wie sie ist, in
dankbarer Aufwallung. Seit jenem Tage, dem glücklich-
sten meines Lebens, habe ich Deine Schwester bis zum
gestrigen Abende niemals wiedergesehn. -- Bei dem großen
Geburtstagsschmause saßen wir einander gegenüber. Mein
Auge begegnete dem ihren. Jch sah nichts als Atossa und
weiß, daß dieselbe ihren Retter nicht vergessen hat. Kas-
sandane ..."

"O, meine Mutter wird Dich gern ihren Eidam
nennen, dafür leiste ich Bürgschaft! An den König mag
sich Dein Vater wenden; er ist unser Oheim und darf die
Tochter des Kyros mit gutem Rechte für seinen Sohn be-
gehren!"

"Erinnerst Du Dich noch jenes Traums Deines Va-
ters? Um seinetwillen hat Kambyses niemals aufgehört
mich mit Mißtrauen zu betrachten."

"Das ist längst vergessen! Mein Vater träumte vor
seinem Tode, Du habest Flügel 98); darum fürchtete er,
von den Traumdeutern verblendet, Du, ein achtzehnjäh-
riger Knabe, werdest nach der Krone streben. Kambyses
dachte jenes Gesichts, bis ihm Krösus, nachdem Du die
Meinen gerettet hattest, erklärte, der Traum sei erfüllt,
denn nur ein geflügelter Adler oder Darius vermöge so
kräftig und geschickt über einem Abgrunde zu schweben."

"Der edle Krösus! Wie liebreich weiß er für seine
Freunde alles Böse zum Guten zu wenden!"

"Wo er nur so lange bleibt?!"

"Er ist auf den hängenden Gärten. Dein Vater und
Gobryas werden ihn zurückhalten."

"Das nenne ich höflich!" ließ sich in diesem Augen-
blicke die Stimme des Zopyros vernehmen. "Bartja ladet

Atoſſa zog einen Ring von ihrem Finger, ſteckte denſelben
an meine Hand und küßte dieſelbe, lebhaft, wie ſie iſt, in
dankbarer Aufwallung. Seit jenem Tage, dem glücklich-
ſten meines Lebens, habe ich Deine Schweſter bis zum
geſtrigen Abende niemals wiedergeſehn. — Bei dem großen
Geburtstagsſchmauſe ſaßen wir einander gegenüber. Mein
Auge begegnete dem ihren. Jch ſah nichts als Atoſſa und
weiß, daß dieſelbe ihren Retter nicht vergeſſen hat. Kaſ-
ſandane ...“

„O, meine Mutter wird Dich gern ihren Eidam
nennen, dafür leiſte ich Bürgſchaft! An den König mag
ſich Dein Vater wenden; er iſt unſer Oheim und darf die
Tochter des Kyros mit gutem Rechte für ſeinen Sohn be-
gehren!“

„Erinnerſt Du Dich noch jenes Traums Deines Va-
ters? Um ſeinetwillen hat Kambyſes niemals aufgehört
mich mit Mißtrauen zu betrachten.“

„Das iſt längſt vergeſſen! Mein Vater träumte vor
ſeinem Tode, Du habeſt Flügel 98); darum fürchtete er,
von den Traumdeutern verblendet, Du, ein achtzehnjäh-
riger Knabe, werdeſt nach der Krone ſtreben. Kambyſes
dachte jenes Geſichts, bis ihm Kröſus, nachdem Du die
Meinen gerettet hatteſt, erklärte, der Traum ſei erfüllt,
denn nur ein geflügelter Adler oder Darius vermöge ſo
kräftig und geſchickt über einem Abgrunde zu ſchweben.“

„Der edle Kröſus! Wie liebreich weiß er für ſeine
Freunde alles Böſe zum Guten zu wenden!“

„Wo er nur ſo lange bleibt?!“

„Er iſt auf den hängenden Gärten. Dein Vater und
Gobryas werden ihn zurückhalten.“

„Das nenne ich höflich!“ ließ ſich in dieſem Augen-
blicke die Stimme des Zopyros vernehmen. „Bartja ladet

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0154" n="152"/>
Ato&#x017F;&#x017F;a zog einen Ring von ihrem Finger, &#x017F;teckte den&#x017F;elben<lb/>
an meine Hand und küßte die&#x017F;elbe, lebhaft, wie &#x017F;ie i&#x017F;t, in<lb/>
dankbarer Aufwallung. Seit jenem Tage, dem glücklich-<lb/>
&#x017F;ten meines Lebens, habe ich Deine Schwe&#x017F;ter bis zum<lb/>
ge&#x017F;trigen Abende niemals wiederge&#x017F;ehn. &#x2014; Bei dem großen<lb/>
Geburtstags&#x017F;chmau&#x017F;e &#x017F;aßen wir einander gegenüber. Mein<lb/>
Auge begegnete dem ihren. Jch &#x017F;ah nichts als Ato&#x017F;&#x017F;a und<lb/>
weiß, daß die&#x017F;elbe ihren Retter nicht verge&#x017F;&#x017F;en hat. Ka&#x017F;-<lb/>
&#x017F;andane ...&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;O, meine Mutter wird Dich gern ihren Eidam<lb/>
nennen, dafür lei&#x017F;te ich Bürg&#x017F;chaft! An den König mag<lb/>
&#x017F;ich Dein Vater wenden; er i&#x017F;t un&#x017F;er Oheim und darf die<lb/>
Tochter des Kyros mit gutem Rechte für &#x017F;einen Sohn be-<lb/>
gehren!&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Erinner&#x017F;t Du Dich noch jenes Traums Deines Va-<lb/>
ters? Um &#x017F;einetwillen hat Kamby&#x017F;es niemals aufgehört<lb/>
mich mit Mißtrauen zu betrachten.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Das i&#x017F;t läng&#x017F;t verge&#x017F;&#x017F;en! Mein Vater träumte vor<lb/>
&#x017F;einem Tode, Du habe&#x017F;t Flügel <hi rendition="#sup">98</hi>); darum fürchtete er,<lb/>
von den Traumdeutern verblendet, Du, ein achtzehnjäh-<lb/>
riger Knabe, werde&#x017F;t nach der Krone &#x017F;treben. Kamby&#x017F;es<lb/>
dachte jenes Ge&#x017F;ichts, bis ihm Krö&#x017F;us, nachdem Du die<lb/>
Meinen gerettet hatte&#x017F;t, erklärte, der Traum &#x017F;ei erfüllt,<lb/>
denn nur ein geflügelter Adler oder Darius vermöge &#x017F;o<lb/>
kräftig und ge&#x017F;chickt über einem Abgrunde zu &#x017F;chweben.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Der edle Krö&#x017F;us! Wie liebreich weiß er für &#x017F;eine<lb/>
Freunde alles Bö&#x017F;e zum Guten zu wenden!&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Wo er nur &#x017F;o lange bleibt?!&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Er i&#x017F;t auf den hängenden Gärten. Dein Vater und<lb/>
Gobryas werden ihn zurückhalten.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Das nenne ich höflich!&#x201C; ließ &#x017F;ich in die&#x017F;em Augen-<lb/>
blicke die Stimme des Zopyros vernehmen. &#x201E;Bartja ladet<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[152/0154] Atoſſa zog einen Ring von ihrem Finger, ſteckte denſelben an meine Hand und küßte dieſelbe, lebhaft, wie ſie iſt, in dankbarer Aufwallung. Seit jenem Tage, dem glücklich- ſten meines Lebens, habe ich Deine Schweſter bis zum geſtrigen Abende niemals wiedergeſehn. — Bei dem großen Geburtstagsſchmauſe ſaßen wir einander gegenüber. Mein Auge begegnete dem ihren. Jch ſah nichts als Atoſſa und weiß, daß dieſelbe ihren Retter nicht vergeſſen hat. Kaſ- ſandane ...“ „O, meine Mutter wird Dich gern ihren Eidam nennen, dafür leiſte ich Bürgſchaft! An den König mag ſich Dein Vater wenden; er iſt unſer Oheim und darf die Tochter des Kyros mit gutem Rechte für ſeinen Sohn be- gehren!“ „Erinnerſt Du Dich noch jenes Traums Deines Va- ters? Um ſeinetwillen hat Kambyſes niemals aufgehört mich mit Mißtrauen zu betrachten.“ „Das iſt längſt vergeſſen! Mein Vater träumte vor ſeinem Tode, Du habeſt Flügel 98); darum fürchtete er, von den Traumdeutern verblendet, Du, ein achtzehnjäh- riger Knabe, werdeſt nach der Krone ſtreben. Kambyſes dachte jenes Geſichts, bis ihm Kröſus, nachdem Du die Meinen gerettet hatteſt, erklärte, der Traum ſei erfüllt, denn nur ein geflügelter Adler oder Darius vermöge ſo kräftig und geſchickt über einem Abgrunde zu ſchweben.“ „Der edle Kröſus! Wie liebreich weiß er für ſeine Freunde alles Böſe zum Guten zu wenden!“ „Wo er nur ſo lange bleibt?!“ „Er iſt auf den hängenden Gärten. Dein Vater und Gobryas werden ihn zurückhalten.“ „Das nenne ich höflich!“ ließ ſich in dieſem Augen- blicke die Stimme des Zopyros vernehmen. „Bartja ladet

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ebers_koenigstochter02_1864
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ebers_koenigstochter02_1864/154
Zitationshilfe: Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 2. Stuttgart, 1864, S. 152. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ebers_koenigstochter02_1864/154>, abgerufen am 26.04.2024.