und Wirkungen erscheint uns unter Umständen wohl möglich, wenn wir nur bei den Wiederholungen unserer Versuche die an und für sich schon erforderliche Gleichheit der massgeben- den Bedingungen verwirklichen können.
§ 6. Möglichkeit der Herstellung konstanter Versuchs- bedingungen.
Wer an die komplicierten Vorgänge des höheren psychi- schen Lebens denkt oder herkommt von der Beschäftigung mit den noch komplicierteren Erscheinungen des Staats- und Gesellschaftslebens, wird im allgemeinen geneigt sein, die Möglichkeit, behufs psychologischer Experimente konstante Versuchsumstände herzustellen, zu verneinen. Nichts ist uns geläufiger als die Willkür, das aller Vorsicht und Berechnung Spottende des geistigen Geschehens. Faktoren, die offenbar höchst massgebende sind und ebenso höchst wandelbare, die geistige Frische, das Interesse an dem Gegenstande, die An- spannung der Aufmerksamkeit, die durch plötzliche Einfälle und Entschlüsse bewirkten Veränderungen des Gedankenlaufs, haben wir gar nicht oder nur in ungenügender Weise in un- serer Gewalt.
Indessen man wird sich doch hüten müssen, diesen rich- tigen Einsichten zu viel Wichtigkeit beizulegen ausserhalb der Vorgänge, aus deren Beobachtung sie gewonnen wurden. Alle jene unbotmässigen Momente sind von der grössten Wichtig- keit für die höheren geistigen Vorgänge, die überhaupt nur bei einer besonders günstigen Konkurrenz der Umstände zu stande kommen. Die niederen, alltäglichen und ohne Unter- lass geschehenden Prozesse sind ihrem Einfluss keineswegs entzogen, aber wir haben es allerdings meist in unserer Ge- walt, da, wo es darauf ankommt, denselben praktisch wenig
und Wirkungen erscheint uns unter Umständen wohl möglich, wenn wir nur bei den Wiederholungen unserer Versuche die an und für sich schon erforderliche Gleichheit der maſsgeben- den Bedingungen verwirklichen können.
§ 6. Möglichkeit der Herstellung konstanter Versuchs- bedingungen.
Wer an die komplicierten Vorgänge des höheren psychi- schen Lebens denkt oder herkommt von der Beschäftigung mit den noch komplicierteren Erscheinungen des Staats- und Gesellschaftslebens, wird im allgemeinen geneigt sein, die Möglichkeit, behufs psychologischer Experimente konstante Versuchsumstände herzustellen, zu verneinen. Nichts ist uns geläufiger als die Willkür, das aller Vorsicht und Berechnung Spottende des geistigen Geschehens. Faktoren, die offenbar höchst maſsgebende sind und ebenso höchst wandelbare, die geistige Frische, das Interesse an dem Gegenstande, die An- spannung der Aufmerksamkeit, die durch plötzliche Einfälle und Entschlüsse bewirkten Veränderungen des Gedankenlaufs, haben wir gar nicht oder nur in ungenügender Weise in un- serer Gewalt.
Indessen man wird sich doch hüten müssen, diesen rich- tigen Einsichten zu viel Wichtigkeit beizulegen auſserhalb der Vorgänge, aus deren Beobachtung sie gewonnen wurden. Alle jene unbotmäſsigen Momente sind von der gröſsten Wichtig- keit für die höheren geistigen Vorgänge, die überhaupt nur bei einer besonders günstigen Konkurrenz der Umstände zu stande kommen. Die niederen, alltäglichen und ohne Unter- laſs geschehenden Prozesse sind ihrem Einfluſs keineswegs entzogen, aber wir haben es allerdings meist in unserer Ge- walt, da, wo es darauf ankommt, denselben praktisch wenig
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[15/0031]
und Wirkungen erscheint uns unter Umständen wohl möglich,
wenn wir nur bei den Wiederholungen unserer Versuche die
an und für sich schon erforderliche Gleichheit der maſsgeben-
den Bedingungen verwirklichen können.
§ 6.
Möglichkeit der Herstellung konstanter Versuchs-
bedingungen.
Wer an die komplicierten Vorgänge des höheren psychi-
schen Lebens denkt oder herkommt von der Beschäftigung
mit den noch komplicierteren Erscheinungen des Staats- und
Gesellschaftslebens, wird im allgemeinen geneigt sein, die
Möglichkeit, behufs psychologischer Experimente konstante
Versuchsumstände herzustellen, zu verneinen. Nichts ist uns
geläufiger als die Willkür, das aller Vorsicht und Berechnung
Spottende des geistigen Geschehens. Faktoren, die offenbar
höchst maſsgebende sind und ebenso höchst wandelbare, die
geistige Frische, das Interesse an dem Gegenstande, die An-
spannung der Aufmerksamkeit, die durch plötzliche Einfälle
und Entschlüsse bewirkten Veränderungen des Gedankenlaufs,
haben wir gar nicht oder nur in ungenügender Weise in un-
serer Gewalt.
Indessen man wird sich doch hüten müssen, diesen rich-
tigen Einsichten zu viel Wichtigkeit beizulegen auſserhalb der
Vorgänge, aus deren Beobachtung sie gewonnen wurden. Alle
jene unbotmäſsigen Momente sind von der gröſsten Wichtig-
keit für die höheren geistigen Vorgänge, die überhaupt nur
bei einer besonders günstigen Konkurrenz der Umstände zu
stande kommen. Die niederen, alltäglichen und ohne Unter-
laſs geschehenden Prozesse sind ihrem Einfluſs keineswegs
entzogen, aber wir haben es allerdings meist in unserer Ge-
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Ebbinghaus, Hermann: Über das Gedächtnis. Leipzig, 1885, S. 15. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ebbinghaus_gedaechtnis_1885/31>, abgerufen am 23.02.2025.
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