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Du Bois-Reymond, Emil Heinrich: Über die Grenzen des Naturerkennens. Leipzig, 1872.

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Dies neue Unbegreifliche ist das Bewusstsein. Ich
werde jetzt, wie ich glaube in sehr zwingender Weise,
darthun, dass nicht allein bei dem heutigen Stand unse¬
rer Kenntniss das Bewusstsein aus seinen materiellen
Bedingungen nicht erklärbar ist, was wohl jeder zugiebt,
sondern dass es auch der Natur der Dinge nach aus
diesen Bedingungen nie erklärbar sein wird. Die ent¬
gegengesetzte Meinung, dass nicht alle Hoffnung aufzu¬
geben sei, das Bewusstsein aus seinen materiellen Be¬
dingungen zu begreifen, dass dies vielmehr im Laufe
der Jahrhunderte oder Jahrtausende dem alsdann in un¬
geahnte Reiche der Erkenntniss vorgedrungenen Men¬
schengeiste wohl gelingen könne: dies ist der zweite
Irrthum, dessen Bekämpfung ich mir in diesem Vortrage
vorgesetzt habe.

Ich gebrauche dabei absichtlich den Ausdruck "Be¬
wusstsein", weil es hier nur um die Thatsache eines
geistigen Vorganges irgend einer, sei es der niedersten
Art, sich handelt. Man braucht nicht Watt sein
Parallelogramm erdenkend, nicht Shakspeare, Raphael,
Mozart in der wunderbarsten ihrer Schöpfungen be¬
griffen sich vorzustellen, um das Beispiel eines aus sei¬
nen materiellen Bedingungen unerklärbaren geistigen
Vorganges zu haben. Wie die gewaltigste und ver¬
wickelteste Muskelleistung eines Menschen oder Thieres im
Wesentlichen nicht dunkler ist, als einfache Zuckung

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Dies neue Unbegreifliche ist das Bewusstsein. Ich
werde jetzt, wie ich glaube in sehr zwingender Weise,
darthun, dass nicht allein bei dem heutigen Stand unse¬
rer Kenntniss das Bewusstsein aus seinen materiellen
Bedingungen nicht erklärbar ist, was wohl jeder zugiebt,
sondern dass es auch der Natur der Dinge nach aus
diesen Bedingungen nie erklärbar sein wird. Die ent¬
gegengesetzte Meinung, dass nicht alle Hoffnung aufzu¬
geben sei, das Bewusstsein aus seinen materiellen Be¬
dingungen zu begreifen, dass dies vielmehr im Laufe
der Jahrhunderte oder Jahrtausende dem alsdann in un¬
geahnte Reiche der Erkenntniss vorgedrungenen Men¬
schengeiste wohl gelingen könne: dies ist der zweite
Irrthum, dessen Bekämpfung ich mir in diesem Vortrage
vorgesetzt habe.

Ich gebrauche dabei absichtlich den Ausdruck „Be¬
wusstsein“, weil es hier nur um die Thatsache eines
geistigen Vorganges irgend einer, sei es der niedersten
Art, sich handelt. Man braucht nicht Watt sein
Parallelogramm erdenkend, nicht Shakspeare, Raphael,
Mozart in der wunderbarsten ihrer Schöpfungen be¬
griffen sich vorzustellen, um das Beispiel eines aus sei¬
nen materiellen Bedingungen unerklärbaren geistigen
Vorganges zu haben. Wie die gewaltigste und ver¬
wickelteste Muskelleistung eines Menschen oder Thieres im
Wesentlichen nicht dunkler ist, als einfache Zuckung

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[17/0025] Dies neue Unbegreifliche ist das Bewusstsein. Ich werde jetzt, wie ich glaube in sehr zwingender Weise, darthun, dass nicht allein bei dem heutigen Stand unse¬ rer Kenntniss das Bewusstsein aus seinen materiellen Bedingungen nicht erklärbar ist, was wohl jeder zugiebt, sondern dass es auch der Natur der Dinge nach aus diesen Bedingungen nie erklärbar sein wird. Die ent¬ gegengesetzte Meinung, dass nicht alle Hoffnung aufzu¬ geben sei, das Bewusstsein aus seinen materiellen Be¬ dingungen zu begreifen, dass dies vielmehr im Laufe der Jahrhunderte oder Jahrtausende dem alsdann in un¬ geahnte Reiche der Erkenntniss vorgedrungenen Men¬ schengeiste wohl gelingen könne: dies ist der zweite Irrthum, dessen Bekämpfung ich mir in diesem Vortrage vorgesetzt habe. Ich gebrauche dabei absichtlich den Ausdruck „Be¬ wusstsein“, weil es hier nur um die Thatsache eines geistigen Vorganges irgend einer, sei es der niedersten Art, sich handelt. Man braucht nicht Watt sein Parallelogramm erdenkend, nicht Shakspeare, Raphael, Mozart in der wunderbarsten ihrer Schöpfungen be¬ griffen sich vorzustellen, um das Beispiel eines aus sei¬ nen materiellen Bedingungen unerklärbaren geistigen Vorganges zu haben. Wie die gewaltigste und ver¬ wickelteste Muskelleistung eines Menschen oder Thieres im Wesentlichen nicht dunkler ist, als einfache Zuckung 2

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Zitationshilfe: Du Bois-Reymond, Emil Heinrich: Über die Grenzen des Naturerkennens. Leipzig, 1872, S. 17. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dubois_naturerkennen_1872/25>, abgerufen am 26.04.2024.