Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Druskowitz, Helene von: Moderne Versuche eines Religionsersatzes. Heidelberg, 1886.

Bild:
<< vorherige Seite

gänzlich und auf die Dauer einbüßen. Er wird doch min-
destens in sich selbst ein Beispiel dafür zur Hand haben,
daß nicht Alles schlecht ist. Nun wäre es ein sonderbarer
widerspruchsvoller Gedanke, derartige Beispiele des Guten
gelten zu lassen, und im Grunde alles Seins einen Zug
zum Guten zu bestreiten. Wäre dieser Zug nicht vorhanden
gewesen, wie hätte dann das thatsächlich Gute zum Dasein
gelangen können? Es gehört also schon Verzweiflung am
Guten im eigenen Selbst dazu, um es im Grunde alles
Seins nicht zu finden."*)

Demnach darf der Grund der Dinge wohl selbst als
Character und zwar als guter Character gefaßt werden und
erst dadurch, daß dies geschieht, ist eine moralische Weltan-
schauung möglich, erhält die Moral einen festen Stützpunkt.
Wird die Moral nicht absolut verstanden, so hört sie eben
auf zu bestehen. "Die festeste Moral muß schließlich für
die Masse der Menschen zu Staub zerrieben werden, wenn
fortwährend das Gesammtgepräge der Dinge als ihr wider-
sprechend ausgegeben wird."**)

Wollte Duboc beweisen, daß das Uebel nur ein noth-
wendiges Moment des Werdens im Weltprocesse, so Düh-
ring, daß das Böse, dessen Vorhandensein natürlich nicht
weggeleugnet werden kann, etwas ist, das im Grunde der
Dinge eigentlich nicht beabsichtigt. So ergänzen sich beide
Denker auch hierin.***) "Das Böse ist nur indirekt, also
nicht eigentlich es selbst, sondern nur seine Möglichkeit in die
Welteinrichtung eingeschlossen, und es ist stets nur mit der
Zugesellung einer sich gegen dasselbe richtenden
Rückwirkung in den Lauf der Dinge eingeschlossen.

Betrachtet man es künstlich für sich selbst und sieht über jene

*) p. 139.
**) p. 163.
***) p. 166.

gänzlich und auf die Dauer einbüßen. Er wird doch min-
deſtens in ſich ſelbſt ein Beiſpiel dafür zur Hand haben,
daß nicht Alles ſchlecht iſt. Nun wäre es ein ſonderbarer
widerſpruchsvoller Gedanke, derartige Beiſpiele des Guten
gelten zu laſſen, und im Grunde alles Seins einen Zug
zum Guten zu beſtreiten. Wäre dieſer Zug nicht vorhanden
geweſen, wie hätte dann das thatſächlich Gute zum Daſein
gelangen können? Es gehört alſo ſchon Verzweiflung am
Guten im eigenen Selbſt dazu, um es im Grunde alles
Seins nicht zu finden.“*)

Demnach darf der Grund der Dinge wohl ſelbſt als
Character und zwar als guter Character gefaßt werden und
erſt dadurch, daß dies geſchieht, iſt eine moraliſche Weltan-
ſchauung möglich, erhält die Moral einen feſten Stützpunkt.
Wird die Moral nicht abſolut verſtanden, ſo hört ſie eben
auf zu beſtehen. „Die feſteſte Moral muß ſchließlich für
die Maſſe der Menſchen zu Staub zerrieben werden, wenn
fortwährend das Geſammtgepräge der Dinge als ihr wider-
ſprechend ausgegeben wird.“**)

Wollte Duboc beweiſen, daß das Uebel nur ein noth-
wendiges Moment des Werdens im Weltproceſſe, ſo Düh-
ring, daß das Böſe, deſſen Vorhandenſein natürlich nicht
weggeleugnet werden kann, etwas iſt, das im Grunde der
Dinge eigentlich nicht beabſichtigt. So ergänzen ſich beide
Denker auch hierin.***) „Das Böſe iſt nur indirekt, alſo
nicht eigentlich es ſelbſt, ſondern nur ſeine Möglichkeit in die
Welteinrichtung eingeſchloſſen, und es iſt ſtets nur mit der
Zugeſellung einer ſich gegen dasſelbe richtenden
Rückwirkung in den Lauf der Dinge eingeſchloſſen.

Betrachtet man es künſtlich für ſich ſelbſt und ſieht über jene

*) p. 139.
**) p. 163.
***) p. 166.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0079" n="70"/>
gänzlich und auf die Dauer einbüßen. Er wird doch min-<lb/>
de&#x017F;tens in &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t ein Bei&#x017F;piel dafür zur Hand haben,<lb/>
daß nicht Alles &#x017F;chlecht i&#x017F;t. Nun wäre es ein &#x017F;onderbarer<lb/>
wider&#x017F;pruchsvoller Gedanke, derartige Bei&#x017F;piele des Guten<lb/>
gelten zu la&#x017F;&#x017F;en, und im Grunde alles Seins einen Zug<lb/>
zum Guten zu be&#x017F;treiten. Wäre die&#x017F;er Zug nicht vorhanden<lb/>
gewe&#x017F;en, wie hätte dann das that&#x017F;ächlich Gute zum Da&#x017F;ein<lb/>
gelangen können? Es gehört al&#x017F;o &#x017F;chon Verzweiflung am<lb/>
Guten im eigenen Selb&#x017F;t dazu, um es im Grunde alles<lb/>
Seins nicht zu finden.&#x201C;<note place="foot" n="*)"><hi rendition="#aq">p.</hi> 139.</note></p><lb/>
        <p>Demnach darf der Grund der Dinge wohl &#x017F;elb&#x017F;t als<lb/>
Character und zwar als guter Character gefaßt werden und<lb/>
er&#x017F;t dadurch, daß dies ge&#x017F;chieht, i&#x017F;t eine morali&#x017F;che Weltan-<lb/>
&#x017F;chauung möglich, erhält die Moral einen fe&#x017F;ten Stützpunkt.<lb/>
Wird die Moral nicht ab&#x017F;olut ver&#x017F;tanden, &#x017F;o hört &#x017F;ie eben<lb/>
auf zu be&#x017F;tehen. &#x201E;Die fe&#x017F;te&#x017F;te Moral muß &#x017F;chließlich für<lb/>
die Ma&#x017F;&#x017F;e der Men&#x017F;chen zu Staub zerrieben werden, wenn<lb/>
fortwährend das Ge&#x017F;ammtgepräge der Dinge als ihr wider-<lb/>
&#x017F;prechend ausgegeben wird.&#x201C;<note place="foot" n="**)"><hi rendition="#aq">p.</hi> 163.</note></p><lb/>
        <p>Wollte Duboc bewei&#x017F;en, daß das Uebel nur ein noth-<lb/>
wendiges Moment des Werdens im Weltproce&#x017F;&#x017F;e, &#x017F;o Düh-<lb/>
ring, daß das Bö&#x017F;e, de&#x017F;&#x017F;en Vorhanden&#x017F;ein natürlich nicht<lb/>
weggeleugnet werden kann, etwas i&#x017F;t, das im Grunde der<lb/>
Dinge eigentlich nicht beab&#x017F;ichtigt. So ergänzen &#x017F;ich beide<lb/>
Denker auch hierin.<note place="foot" n="***)"><hi rendition="#aq">p.</hi> 166.</note> &#x201E;Das Bö&#x017F;e i&#x017F;t nur indirekt, al&#x017F;o<lb/>
nicht eigentlich es &#x017F;elb&#x017F;t, &#x017F;ondern nur &#x017F;eine Möglichkeit in die<lb/>
Welteinrichtung einge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en, und es i&#x017F;t &#x017F;tets nur mit der<lb/><hi rendition="#g">Zuge&#x017F;ellung einer &#x017F;ich gegen das&#x017F;elbe richtenden<lb/>
Rückwirkung in den Lauf der Dinge einge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en.</hi><lb/>
Betrachtet man es kün&#x017F;tlich für &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t und &#x017F;ieht über jene<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[70/0079] gänzlich und auf die Dauer einbüßen. Er wird doch min- deſtens in ſich ſelbſt ein Beiſpiel dafür zur Hand haben, daß nicht Alles ſchlecht iſt. Nun wäre es ein ſonderbarer widerſpruchsvoller Gedanke, derartige Beiſpiele des Guten gelten zu laſſen, und im Grunde alles Seins einen Zug zum Guten zu beſtreiten. Wäre dieſer Zug nicht vorhanden geweſen, wie hätte dann das thatſächlich Gute zum Daſein gelangen können? Es gehört alſo ſchon Verzweiflung am Guten im eigenen Selbſt dazu, um es im Grunde alles Seins nicht zu finden.“ *) Demnach darf der Grund der Dinge wohl ſelbſt als Character und zwar als guter Character gefaßt werden und erſt dadurch, daß dies geſchieht, iſt eine moraliſche Weltan- ſchauung möglich, erhält die Moral einen feſten Stützpunkt. Wird die Moral nicht abſolut verſtanden, ſo hört ſie eben auf zu beſtehen. „Die feſteſte Moral muß ſchließlich für die Maſſe der Menſchen zu Staub zerrieben werden, wenn fortwährend das Geſammtgepräge der Dinge als ihr wider- ſprechend ausgegeben wird.“ **) Wollte Duboc beweiſen, daß das Uebel nur ein noth- wendiges Moment des Werdens im Weltproceſſe, ſo Düh- ring, daß das Böſe, deſſen Vorhandenſein natürlich nicht weggeleugnet werden kann, etwas iſt, das im Grunde der Dinge eigentlich nicht beabſichtigt. So ergänzen ſich beide Denker auch hierin. ***) „Das Böſe iſt nur indirekt, alſo nicht eigentlich es ſelbſt, ſondern nur ſeine Möglichkeit in die Welteinrichtung eingeſchloſſen, und es iſt ſtets nur mit der Zugeſellung einer ſich gegen dasſelbe richtenden Rückwirkung in den Lauf der Dinge eingeſchloſſen. Betrachtet man es künſtlich für ſich ſelbſt und ſieht über jene *) p. 139. **) p. 163. ***) p. 166.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/druskowitz_religionsersatz_1886
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/druskowitz_religionsersatz_1886/79
Zitationshilfe: Druskowitz, Helene von: Moderne Versuche eines Religionsersatzes. Heidelberg, 1886, S. 70. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/druskowitz_religionsersatz_1886/79>, abgerufen am 26.12.2024.