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Droysen, Johann Gustav: Grundriss der Historik. Leipzig, 1868.

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Darstellung unwesentlich ist; ohne sie bleibt das Erforschte unreif und
ungeschlossen.

Die Formen der Darstellung bestimmen sich nicht nach der Ana-
logie von Epos, Lyrik, Drama (Gervinus), noch nach dem Unterschied
der Sachen: Staatengeschichte, Culturgeschichte u. s. w., (Wachsmuth),
noch nach dem zufälligen Allerlei von Chroniken, Denkwürdigkeiten,
Historien (quibus rebus agendis interfuerit is qui naret. Gellius), son-
dern aus Motiven der Forschung und des Forschers.

§. 45.

a) Die untersuchende Darstellung braucht die Form der
Forschung, um deren Ergebniss darzulegen.

Sie ist nicht ein Referat oder Protocoll von dem Verlauf der ge-
machten Untersuchung, sondern sie verfährt, als sei das in der Unter-
suchung schon Gefundene noch erst zu finden oder zu suchen. Sie ist
eine Mimesis dieses Suchens oder Findens:

entweder so, dass man von einem Ungewissen, einer Frage, einem
Dilemma aus argumentirend das sichere Ergebniss sucht -- wie der
vor dem Gericht Plaidirende verfährt;

oder so, dass man von einer Gegebenheit aus, ihren Spuren nach-
gehend, immer weitere Momente findet, bis endlich das Ganze dasteht
-- wie der Untersuchungsrichter verfährt.

Jene Art ist überzeugender, diese anschaulicher; für beide wesent-
lich, dass nicht ad vocem beigebrachter Wust mehr die Gelehrsamkeit
des Autors als die Sache ins Licht stelle.

§. 46.

b) Die erzählende Darstellung stellt das Erforschte als einen
Sachverlauf in der Mimesis seines Werdens dar; sie reconstruirt es
zu einem genetischen Bilde.

Nur scheinbar sprechen hier die "Thatsachen" selbst, allein, objectiv;
sie wären stumm ohne den Erzähler, der sie sprechen lässt.

Nicht die Objectivität ist der beste Ruhm des Historikers. Seine
Gerechtigkeit ist, dass er zu verstehen sucht.

Die erzählende Darstellung hat vier Hauptformen:

1) die pragmatische zeigt, wie ein schliessliches Ergebniss durch

Darstellung unwesentlich ist; ohne sie bleibt das Erforschte unreif und
ungeschlossen.

Die Formen der Darstellung bestimmen sich nicht nach der Ana-
logie von Epos, Lyrik, Drama (Gervinus), noch nach dem Unterschied
der Sachen: Staatengeschichte, Culturgeschichte u. s. w., (Wachsmuth),
noch nach dem zufälligen Allerlei von Chroniken, Denkwürdigkeiten,
Historien (quibus rebus agendis interfuerit is qui naret. Gellius), son-
dern aus Motiven der Forschung und des Forschers.

§. 45.

a) Die untersuchende Darstellung braucht die Form der
Forschung, um deren Ergebniss darzulegen.

Sie ist nicht ein Referat oder Protocoll von dem Verlauf der ge-
machten Untersuchung, sondern sie verfährt, als sei das in der Unter-
suchung schon Gefundene noch erst zu finden oder zu suchen. Sie ist
eine Mimesis dieses Suchens oder Findens:

entweder so, dass man von einem Ungewissen, einer Frage, einem
Dilemma aus argumentirend das sichere Ergebniss sucht — wie der
vor dem Gericht Plaidirende verfährt;

oder so, dass man von einer Gegebenheit aus, ihren Spuren nach-
gehend, immer weitere Momente findet, bis endlich das Ganze dasteht
— wie der Untersuchungsrichter verfährt.

Jene Art ist überzeugender, diese anschaulicher; für beide wesent-
lich, dass nicht ad vocem beigebrachter Wust mehr die Gelehrsamkeit
des Autors als die Sache ins Licht stelle.

§. 46.

b) Die erzählende Darstellung stellt das Erforschte als einen
Sachverlauf in der Mimesis seines Werdens dar; sie reconstruirt es
zu einem genetischen Bilde.

Nur scheinbar sprechen hier die „Thatsachen“ selbst, allein, objectiv;
sie wären stumm ohne den Erzähler, der sie sprechen lässt.

Nicht die Objectivität ist der beste Ruhm des Historikers. Seine
Gerechtigkeit ist, dass er zu verstehen sucht.

Die erzählende Darstellung hat vier Hauptformen:

1) die pragmatische zeigt, wie ein schliessliches Ergebniss durch

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[23/0032] Darstellung unwesentlich ist; ohne sie bleibt das Erforschte unreif und ungeschlossen. Die Formen der Darstellung bestimmen sich nicht nach der Ana- logie von Epos, Lyrik, Drama (Gervinus), noch nach dem Unterschied der Sachen: Staatengeschichte, Culturgeschichte u. s. w., (Wachsmuth), noch nach dem zufälligen Allerlei von Chroniken, Denkwürdigkeiten, Historien (quibus rebus agendis interfuerit is qui naret. Gellius), son- dern aus Motiven der Forschung und des Forschers. §. 45. a) Die untersuchende Darstellung braucht die Form der Forschung, um deren Ergebniss darzulegen. Sie ist nicht ein Referat oder Protocoll von dem Verlauf der ge- machten Untersuchung, sondern sie verfährt, als sei das in der Unter- suchung schon Gefundene noch erst zu finden oder zu suchen. Sie ist eine Mimesis dieses Suchens oder Findens: entweder so, dass man von einem Ungewissen, einer Frage, einem Dilemma aus argumentirend das sichere Ergebniss sucht — wie der vor dem Gericht Plaidirende verfährt; oder so, dass man von einer Gegebenheit aus, ihren Spuren nach- gehend, immer weitere Momente findet, bis endlich das Ganze dasteht — wie der Untersuchungsrichter verfährt. Jene Art ist überzeugender, diese anschaulicher; für beide wesent- lich, dass nicht ad vocem beigebrachter Wust mehr die Gelehrsamkeit des Autors als die Sache ins Licht stelle. §. 46. b) Die erzählende Darstellung stellt das Erforschte als einen Sachverlauf in der Mimesis seines Werdens dar; sie reconstruirt es zu einem genetischen Bilde. Nur scheinbar sprechen hier die „Thatsachen“ selbst, allein, objectiv; sie wären stumm ohne den Erzähler, der sie sprechen lässt. Nicht die Objectivität ist der beste Ruhm des Historikers. Seine Gerechtigkeit ist, dass er zu verstehen sucht. Die erzählende Darstellung hat vier Hauptformen: 1) die pragmatische zeigt, wie ein schliessliches Ergebniss durch

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Zitationshilfe: Droysen, Johann Gustav: Grundriss der Historik. Leipzig, 1868, S. 23. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droysen_historik_1868/32>, abgerufen am 21.11.2024.