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Droysen, Johann Gustav: Geschichte Alexanders des Großen. Hamburg, [1833].

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Drittes Kapitel.
Der Feldzug in Kleinasien.

Alexanders Pläne erscheinen auf den ersten Anblick in nicht
geringem Misverhältniß mit den Hülfsmitteln, die ihm zu Gebote
standen. Der räumlichen Ausdehnung nach kam sein Reich, selbst
Griechenland mit eingerechnet, kaum dem funfzigsten Theil des Per-
sischen gleich; noch ungünstiger stellten sich die Zahlenverhältnisse sei-
ner und der Persischen Streitkräfte zu Wasser und zu Lande; fügt
man hinzu, daß der Macedonische Schatz bei Philipps Tode er-
schöpft, daß das meiste Krongut verschenkt, daß die meisten Abga-
ben und Leistungen erlassen waren, daß endlich, während in den
Schatzkammern des Persischen Reichs ungeheuere Vorräthe von
Gold und Silber aufgehäuft lagen, Alexander nach Beendigung sei-
ner Rüstungen, die ihm achthundert Talente (etwa zweimalhundert-
tausend Thaler) kosteten, nicht mehr als siebenzig Talente übrig hatte,
den Krieg gegen Asien zu beginnen, so erscheint freilich das Unter-
nehmen tollkühn und fast chimärisch.

Indeß ergiebt eine genauere Betrachtung der Umstände, daß
Alexanders Pläne allerdings kühn, aber nicht unbesonnen, sondern
durch die vorhandenen Kräfte und Mittel ausführbar waren. Um
die Möglichkeit der Unternehmungen und die Nothwendigkeit ihres
Erfolges, um die Organisation der Armee und die Eigenthümlichkeit
ihrer Operationen zu begreifen, muß man die Analogie neuerer
Feldzüge vergessen, da ja der Krieg, so wenig, wie alles Geschicht-
liche, von normalen Bedingungen und Gesetzen abhängig, mit den loka-
len und geschichtlichen Verhältnissen, auf die er sich bezieht, seine Mittel,
seinen Zweck und seine Theorie ändert; die Heere, die den Orient be-
zwungen, vermochten nicht der Römischen Legion zu widerstehen.

Was die finanziellen Verhältnisse anbetrifft, so hat man vor
allem zu berücksichtigen, daß Alexander in Feindes Land zog, in

Drittes Kapitel.
Der Feldzug in Kleinaſien.

Alexanders Pläne erſcheinen auf den erſten Anblick in nicht
geringem Misverhältniß mit den Hülfsmitteln, die ihm zu Gebote
ſtanden. Der räumlichen Ausdehnung nach kam ſein Reich, ſelbſt
Griechenland mit eingerechnet, kaum dem funfzigſten Theil des Per-
ſiſchen gleich; noch ungünſtiger ſtellten ſich die Zahlenverhältniſſe ſei-
ner und der Perſiſchen Streitkräfte zu Waſſer und zu Lande; fügt
man hinzu, daß der Macedoniſche Schatz bei Philipps Tode er-
ſchöpft, daß das meiſte Krongut verſchenkt, daß die meiſten Abga-
ben und Leiſtungen erlaſſen waren, daß endlich, während in den
Schatzkammern des Perſiſchen Reichs ungeheuere Vorräthe von
Gold und Silber aufgehäuft lagen, Alexander nach Beendigung ſei-
ner Rüſtungen, die ihm achthundert Talente (etwa zweimalhundert-
tauſend Thaler) koſteten, nicht mehr als ſiebenzig Talente übrig hatte,
den Krieg gegen Aſien zu beginnen, ſo erſcheint freilich das Unter-
nehmen tollkühn und faſt chimäriſch.

Indeß ergiebt eine genauere Betrachtung der Umſtände, daß
Alexanders Pläne allerdings kühn, aber nicht unbeſonnen, ſondern
durch die vorhandenen Kräfte und Mittel ausführbar waren. Um
die Möglichkeit der Unternehmungen und die Nothwendigkeit ihres
Erfolges, um die Organiſation der Armee und die Eigenthümlichkeit
ihrer Operationen zu begreifen, muß man die Analogie neuerer
Feldzüge vergeſſen, da ja der Krieg, ſo wenig, wie alles Geſchicht-
liche, von normalen Bedingungen und Geſetzen abhängig, mit den loka-
len und geſchichtlichen Verhältniſſen, auf die er ſich bezieht, ſeine Mittel,
ſeinen Zweck und ſeine Theorie ändert; die Heere, die den Orient be-
zwungen, vermochten nicht der Römiſchen Legion zu widerſtehen.

Was die finanziellen Verhältniſſe anbetrifft, ſo hat man vor
allem zu berückſichtigen, daß Alexander in Feindes Land zog, in

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[[92]/0106] Drittes Kapitel. Der Feldzug in Kleinaſien. Alexanders Pläne erſcheinen auf den erſten Anblick in nicht geringem Misverhältniß mit den Hülfsmitteln, die ihm zu Gebote ſtanden. Der räumlichen Ausdehnung nach kam ſein Reich, ſelbſt Griechenland mit eingerechnet, kaum dem funfzigſten Theil des Per- ſiſchen gleich; noch ungünſtiger ſtellten ſich die Zahlenverhältniſſe ſei- ner und der Perſiſchen Streitkräfte zu Waſſer und zu Lande; fügt man hinzu, daß der Macedoniſche Schatz bei Philipps Tode er- ſchöpft, daß das meiſte Krongut verſchenkt, daß die meiſten Abga- ben und Leiſtungen erlaſſen waren, daß endlich, während in den Schatzkammern des Perſiſchen Reichs ungeheuere Vorräthe von Gold und Silber aufgehäuft lagen, Alexander nach Beendigung ſei- ner Rüſtungen, die ihm achthundert Talente (etwa zweimalhundert- tauſend Thaler) koſteten, nicht mehr als ſiebenzig Talente übrig hatte, den Krieg gegen Aſien zu beginnen, ſo erſcheint freilich das Unter- nehmen tollkühn und faſt chimäriſch. Indeß ergiebt eine genauere Betrachtung der Umſtände, daß Alexanders Pläne allerdings kühn, aber nicht unbeſonnen, ſondern durch die vorhandenen Kräfte und Mittel ausführbar waren. Um die Möglichkeit der Unternehmungen und die Nothwendigkeit ihres Erfolges, um die Organiſation der Armee und die Eigenthümlichkeit ihrer Operationen zu begreifen, muß man die Analogie neuerer Feldzüge vergeſſen, da ja der Krieg, ſo wenig, wie alles Geſchicht- liche, von normalen Bedingungen und Geſetzen abhängig, mit den loka- len und geſchichtlichen Verhältniſſen, auf die er ſich bezieht, ſeine Mittel, ſeinen Zweck und ſeine Theorie ändert; die Heere, die den Orient be- zwungen, vermochten nicht der Römiſchen Legion zu widerſtehen. Was die finanziellen Verhältniſſe anbetrifft, ſo hat man vor allem zu berückſichtigen, daß Alexander in Feindes Land zog, in

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Zitationshilfe: Droysen, Johann Gustav: Geschichte Alexanders des Großen. Hamburg, [1833], S. [92]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droysen_alexander_1833/106>, abgerufen am 20.11.2024.