Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Droste-Hülshoff, Annette von: Letzte Gaben. Nachgelassene Blätter. Hrsg. v. Levin Schücking. Hannover, 1860.

Bild:
<< vorherige Seite
O Mond, du bist mir wie ein später Freund,
Der seine Jugend dem Verarmten eint,
Um seine sterbenden Erinnerungen
Mit zartem Lebenswiderschein geschlungen;
Bist keine Sonne, die ernährt und blendet,
In Feuerströmen lebt, im Blute endet,
Bist, was dem kranken Sänger sein Gedicht,
Ein fremdes, aber, o, ein mildes Licht.

Der Mittelpunkt der Welt.

Jüngst hast die Phrase scherzend du gestellt:
"Wer Reichthum, Liebe will und Glück erlangen,
Der mache sich zum Mittelpunkt der Welt,
Zum Kreise, drin sich alle Strahlen fangen."
Dein Wort, mein Freund, war wie des Tempels Thür,
Die Inschrift draußen und das Volksgedränge,
Doch durch die Spalten blinkt der Lampen Zier,
Zieh'n Opferduft und heilige Gesänge.
O Mond, du biſt mir wie ein ſpäter Freund,
Der ſeine Jugend dem Verarmten eint,
Um ſeine ſterbenden Erinnerungen
Mit zartem Lebenswiderſchein geſchlungen;
Biſt keine Sonne, die ernährt und blendet,
In Feuerſtrömen lebt, im Blute endet,
Biſt, was dem kranken Sänger ſein Gedicht,
Ein fremdes, aber, o, ein mildes Licht.

Der Mittelpunkt der Welt.

Jüngſt haſt die Phraſe ſcherzend du geſtellt:
„Wer Reichthum, Liebe will und Glück erlangen,
Der mache ſich zum Mittelpunkt der Welt,
Zum Kreiſe, drin ſich alle Strahlen fangen.“
Dein Wort, mein Freund, war wie des Tempels Thür,
Die Inſchrift draußen und das Volksgedränge,
Doch durch die Spalten blinkt der Lampen Zier,
Zieh’n Opferduft und heilige Geſänge.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <lg type="poem">
            <pb facs="#f0028" n="12"/>
            <lg n="6">
              <l>O Mond, du bi&#x017F;t mir wie ein &#x017F;päter Freund,</l><lb/>
              <l>Der &#x017F;eine Jugend dem Verarmten eint,</l><lb/>
              <l>Um &#x017F;eine &#x017F;terbenden Erinnerungen</l><lb/>
              <l>Mit zartem Lebenswider&#x017F;chein ge&#x017F;chlungen;</l><lb/>
              <l>Bi&#x017F;t keine Sonne, die ernährt und blendet,</l><lb/>
              <l>In Feuer&#x017F;trömen lebt, im Blute endet,</l><lb/>
              <l>Bi&#x017F;t, was dem kranken Sänger &#x017F;ein Gedicht,</l><lb/>
              <l>Ein fremdes, aber, o, ein mildes Licht.</l>
            </lg>
          </lg>
        </div><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <div n="2">
          <head> <hi rendition="#b">Der Mittelpunkt der Welt.</hi> </head><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
          <lg type="poem">
            <lg n="1">
              <l><hi rendition="#in">J</hi>üng&#x017F;t ha&#x017F;t die Phra&#x017F;e &#x017F;cherzend du ge&#x017F;tellt:</l><lb/>
              <l>&#x201E;Wer Reichthum, Liebe will und Glück erlangen,</l><lb/>
              <l>Der mache &#x017F;ich zum Mittelpunkt der Welt,</l><lb/>
              <l>Zum Krei&#x017F;e, drin &#x017F;ich alle Strahlen fangen.&#x201C;</l><lb/>
              <l>Dein Wort, mein Freund, war wie des Tempels Thür,</l><lb/>
              <l>Die In&#x017F;chrift draußen und das Volksgedränge,</l><lb/>
              <l>Doch durch die Spalten blinkt der Lampen Zier,</l><lb/>
              <l>Zieh&#x2019;n Opferduft und heilige Ge&#x017F;änge.</l>
            </lg><lb/>
          </lg>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[12/0028] O Mond, du biſt mir wie ein ſpäter Freund, Der ſeine Jugend dem Verarmten eint, Um ſeine ſterbenden Erinnerungen Mit zartem Lebenswiderſchein geſchlungen; Biſt keine Sonne, die ernährt und blendet, In Feuerſtrömen lebt, im Blute endet, Biſt, was dem kranken Sänger ſein Gedicht, Ein fremdes, aber, o, ein mildes Licht. Der Mittelpunkt der Welt. Jüngſt haſt die Phraſe ſcherzend du geſtellt: „Wer Reichthum, Liebe will und Glück erlangen, Der mache ſich zum Mittelpunkt der Welt, Zum Kreiſe, drin ſich alle Strahlen fangen.“ Dein Wort, mein Freund, war wie des Tempels Thür, Die Inſchrift draußen und das Volksgedränge, Doch durch die Spalten blinkt der Lampen Zier, Zieh’n Opferduft und heilige Geſänge.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Die "Letzten Gaben" (1860), postum von Levin Schü… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/droste_letzte_1860
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/droste_letzte_1860/28
Zitationshilfe: Droste-Hülshoff, Annette von: Letzte Gaben. Nachgelassene Blätter. Hrsg. v. Levin Schücking. Hannover, 1860, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droste_letzte_1860/28>, abgerufen am 22.12.2024.