Droste-Hülshoff, Annette von: Letzte Gaben. Nachgelassene Blätter. Hrsg. v. Levin Schücking. Hannover, 1860.Das einzige Kind. O schau, wie um ihr Wängelein Ein träumendes Lächeln bebt, Sieht sie nicht aus wie ein Engelein, Das über der Krippe schwebt. Oft fürcht' ich, sie sei für die Welt zu gut, Sprich, Liebe, sind wir wohl blind? Ein wenig blind für das eigne Blut, Unser liebendes, einziges Kind? Der Gatte fühlt den Meister und Herrn, Giebt allen Mängeln ihr Recht, Wie spielt er den Philosophen so gern Und wie geräth er ihm schlecht! Nennt es ein Murmelchen anderen gleich, Dran gar nichts zu loben ist, Indeß er streichelt die Löckchen reich Und ihm die Fingerchen küßt. Das einzige Kind. O ſchau, wie um ihr Wängelein Ein träumendes Lächeln bebt, Sieht ſie nicht aus wie ein Engelein, Das über der Krippe ſchwebt. Oft fürcht’ ich, ſie ſei für die Welt zu gut, Sprich, Liebe, ſind wir wohl blind? Ein wenig blind für das eigne Blut, Unſer liebendes, einziges Kind? Der Gatte fühlt den Meiſter und Herrn, Giebt allen Mängeln ihr Recht, Wie ſpielt er den Philoſophen ſo gern Und wie geräth er ihm ſchlecht! Nennt es ein Murmelchen anderen gleich, Dran gar nichts zu loben iſt, Indeß er ſtreichelt die Löckchen reich Und ihm die Fingerchen küßt. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0124" n="108"/> <div n="2"> <head> <hi rendition="#b">Das einzige Kind.</hi> </head><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> <lg type="poem"> <lg n="1"> <l><hi rendition="#in">O</hi> ſchau, wie um ihr Wängelein</l><lb/> <l>Ein träumendes Lächeln bebt,</l><lb/> <l>Sieht ſie nicht aus wie ein Engelein,</l><lb/> <l>Das über der Krippe ſchwebt.</l> </lg><lb/> <lg n="2"> <l>Oft fürcht’ ich, ſie ſei für die Welt zu gut,</l><lb/> <l>Sprich, Liebe, ſind wir wohl blind?</l><lb/> <l>Ein wenig blind für das eigne Blut,</l><lb/> <l>Unſer liebendes, einziges Kind?</l> </lg><lb/> <lg n="3"> <l>Der Gatte fühlt den Meiſter und Herrn,</l><lb/> <l>Giebt allen Mängeln ihr Recht,</l><lb/> <l>Wie ſpielt er den Philoſophen ſo gern</l><lb/> <l>Und wie geräth er ihm ſchlecht!</l> </lg><lb/> <lg n="4"> <l>Nennt es ein Murmelchen anderen gleich,</l><lb/> <l>Dran gar nichts zu loben iſt,</l><lb/> <l>Indeß er ſtreichelt die Löckchen reich</l><lb/> <l>Und ihm die Fingerchen küßt.</l> </lg> </lg> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> </div> </body> </text> </TEI> [108/0124]
Das einzige Kind.
O ſchau, wie um ihr Wängelein
Ein träumendes Lächeln bebt,
Sieht ſie nicht aus wie ein Engelein,
Das über der Krippe ſchwebt.
Oft fürcht’ ich, ſie ſei für die Welt zu gut,
Sprich, Liebe, ſind wir wohl blind?
Ein wenig blind für das eigne Blut,
Unſer liebendes, einziges Kind?
Der Gatte fühlt den Meiſter und Herrn,
Giebt allen Mängeln ihr Recht,
Wie ſpielt er den Philoſophen ſo gern
Und wie geräth er ihm ſchlecht!
Nennt es ein Murmelchen anderen gleich,
Dran gar nichts zu loben iſt,
Indeß er ſtreichelt die Löckchen reich
Und ihm die Fingerchen küßt.
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