Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Droste-Hülshoff, Annette von: Gedichte. Stuttgart u. a., 1844.

Bild:
<< vorherige Seite

So maienhold kein andrer Tag mag seyn
Wie dieser, und so mild in Waldes Haag
Noch nie ein Thal am Morgenstrahle lag;
Wie war das neugeschenkte Leben reizend!
Ich schlürfte Licht und Luft, nach Allem geizend.
Und als ich sah die Heerde drunten grasen,
Am Quellenrande sich die Weiden neigen,
Ein einfach Lied den Hirten hörte blasen,
Und durfte wenig Schritt nur abwärts steigen:
Da schien mir Alles, alles dies mein eigen.
Doch weiß ich auch, daß Schauer mich beschlich,
Da allgemach der Morgenstern erblich,
Als scheide Etwas das mir theuer war;
Nie hab' ich später diesen Stern gesehn,
Daß jene Nacht nicht muß vorüber gehn.

Der Rausch verschwand, und mählig ward mir klar,
Vom Traume sey doch wohl die Hälfte wahr.
Ja, deutlich wird mir's wie ich nachgedacht;
Den Ruf, das Höhlennest, den Ritt bei Nacht
Muß ich mit Schauder doch dem Leben lassen.
Das Letzte nur, gewiß, das blieb ein Traum!
Wo war die Kluft, der sich der Schrei entrang?
Wo Kampfes Spuren hier am linden Hang,
Da abwärts alle Hälmchen aufrecht standen,
Da frisch wie je sich Zweig' und Ranke wanden?
Deß ward ich froh. Ach Gott! ich ward es kaum,
So fiel mein Blick in einer Kuppe Raum,
Gespalten grade einen Leib zu fassen.
Nicht sieben Schritt von mir die Klippe stand;

So maienhold kein andrer Tag mag ſeyn
Wie dieſer, und ſo mild in Waldes Haag
Noch nie ein Thal am Morgenſtrahle lag;
Wie war das neugeſchenkte Leben reizend!
Ich ſchlürfte Licht und Luft, nach Allem geizend.
Und als ich ſah die Heerde drunten graſen,
Am Quellenrande ſich die Weiden neigen,
Ein einfach Lied den Hirten hörte blaſen,
Und durfte wenig Schritt nur abwärts ſteigen:
Da ſchien mir Alles, alles dies mein eigen.
Doch weiß ich auch, daß Schauer mich beſchlich,
Da allgemach der Morgenſtern erblich,
Als ſcheide Etwas das mir theuer war;
Nie hab' ich ſpäter dieſen Stern geſehn,
Daß jene Nacht nicht muß vorüber gehn.

Der Rauſch verſchwand, und mählig ward mir klar,
Vom Traume ſey doch wohl die Hälfte wahr.
Ja, deutlich wird mir's wie ich nachgedacht;
Den Ruf, das Höhlenneſt, den Ritt bei Nacht
Muß ich mit Schauder doch dem Leben laſſen.
Das Letzte nur, gewiß, das blieb ein Traum!
Wo war die Kluft, der ſich der Schrei entrang?
Wo Kampfes Spuren hier am linden Hang,
Da abwärts alle Hälmchen aufrecht ſtanden,
Da friſch wie je ſich Zweig' und Ranke wanden?
Deß ward ich froh. Ach Gott! ich ward es kaum,
So fiel mein Blick in einer Kuppe Raum,
Geſpalten grade einen Leib zu faſſen.
Nicht ſieben Schritt von mir die Klippe ſtand;
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <lg type="poem">
            <lg n="25">
              <pb facs="#f0499" n="485"/>
              <l>So maienhold kein andrer Tag mag &#x017F;eyn</l><lb/>
              <l>Wie die&#x017F;er, und &#x017F;o mild in Waldes Haag</l><lb/>
              <l>Noch nie ein Thal am Morgen&#x017F;trahle lag;</l><lb/>
              <l>Wie war das neuge&#x017F;chenkte Leben reizend!</l><lb/>
              <l>Ich &#x017F;chlürfte Licht und Luft, nach Allem geizend.</l><lb/>
              <l>Und als ich &#x017F;ah die Heerde drunten gra&#x017F;en,</l><lb/>
              <l>Am Quellenrande &#x017F;ich die Weiden neigen,</l><lb/>
              <l>Ein einfach Lied den Hirten hörte bla&#x017F;en,</l><lb/>
              <l>Und durfte wenig Schritt nur abwärts &#x017F;teigen:</l><lb/>
              <l>Da &#x017F;chien mir Alles, alles dies mein eigen.</l><lb/>
              <l>Doch weiß ich auch, daß Schauer mich be&#x017F;chlich,</l><lb/>
              <l>Da allgemach der Morgen&#x017F;tern erblich,</l><lb/>
              <l>Als &#x017F;cheide Etwas das mir theuer war;</l><lb/>
              <l>Nie hab' ich &#x017F;päter die&#x017F;en Stern ge&#x017F;ehn,</l><lb/>
              <l>Daß jene Nacht nicht muß vorüber gehn.</l><lb/>
            </lg>
            <lg n="26">
              <l>Der Rau&#x017F;ch ver&#x017F;chwand, und mählig ward mir klar,</l><lb/>
              <l>Vom Traume &#x017F;ey doch wohl die Hälfte wahr.</l><lb/>
              <l>Ja, deutlich wird mir's wie ich nachgedacht;</l><lb/>
              <l>Den Ruf, das Höhlenne&#x017F;t, den Ritt bei Nacht</l><lb/>
              <l>Muß ich mit Schauder doch dem Leben la&#x017F;&#x017F;en.</l><lb/>
              <l>Das Letzte nur, gewiß, das blieb ein Traum!</l><lb/>
              <l>Wo war die Kluft, der &#x017F;ich der Schrei entrang?</l><lb/>
              <l>Wo Kampfes Spuren hier am linden Hang,</l><lb/>
              <l>Da abwärts alle Hälmchen aufrecht &#x017F;tanden,</l><lb/>
              <l>Da fri&#x017F;ch wie je &#x017F;ich Zweig' und Ranke wanden?</l><lb/>
              <l>Deß ward ich froh. Ach Gott! ich ward es kaum,</l><lb/>
              <l>So fiel mein Blick in einer Kuppe Raum,</l><lb/>
              <l>Ge&#x017F;palten grade einen Leib zu fa&#x017F;&#x017F;en.</l><lb/>
              <l>Nicht &#x017F;ieben Schritt von mir die Klippe &#x017F;tand;</l><lb/>
            </lg>
          </lg>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[485/0499] So maienhold kein andrer Tag mag ſeyn Wie dieſer, und ſo mild in Waldes Haag Noch nie ein Thal am Morgenſtrahle lag; Wie war das neugeſchenkte Leben reizend! Ich ſchlürfte Licht und Luft, nach Allem geizend. Und als ich ſah die Heerde drunten graſen, Am Quellenrande ſich die Weiden neigen, Ein einfach Lied den Hirten hörte blaſen, Und durfte wenig Schritt nur abwärts ſteigen: Da ſchien mir Alles, alles dies mein eigen. Doch weiß ich auch, daß Schauer mich beſchlich, Da allgemach der Morgenſtern erblich, Als ſcheide Etwas das mir theuer war; Nie hab' ich ſpäter dieſen Stern geſehn, Daß jene Nacht nicht muß vorüber gehn. Der Rauſch verſchwand, und mählig ward mir klar, Vom Traume ſey doch wohl die Hälfte wahr. Ja, deutlich wird mir's wie ich nachgedacht; Den Ruf, das Höhlenneſt, den Ritt bei Nacht Muß ich mit Schauder doch dem Leben laſſen. Das Letzte nur, gewiß, das blieb ein Traum! Wo war die Kluft, der ſich der Schrei entrang? Wo Kampfes Spuren hier am linden Hang, Da abwärts alle Hälmchen aufrecht ſtanden, Da friſch wie je ſich Zweig' und Ranke wanden? Deß ward ich froh. Ach Gott! ich ward es kaum, So fiel mein Blick in einer Kuppe Raum, Geſpalten grade einen Leib zu faſſen. Nicht ſieben Schritt von mir die Klippe ſtand;

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/droste_gedichte_1844
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/droste_gedichte_1844/499
Zitationshilfe: Droste-Hülshoff, Annette von: Gedichte. Stuttgart u. a., 1844, S. 485. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droste_gedichte_1844/499>, abgerufen am 26.04.2024.