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Droste-Hülshoff, Annette von: Gedichte. Stuttgart u. a., 1844.

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Des nahen Städtleins Angelus ein säuselnd Ave zuzufächeln,
Und für den nahen Friedhof auch
Hat sie versüßt des Westes Hauch.

Und Blatt an Blatt vom Blüthenzweig verstreut sie auf des
Greises Stirne,
Der in dem Wurzelmoose lehnt sein Haupt mit siedendem
Gehirne;
Zur Seite liegt der Stab, gefüllt mit Bettelbrode liegt der
Ranzen,
Und Schemen hier und Schemen dort mit Elfenschritten
drüber tanzen,
Wie sie der Brust geheimster Hut
Entschlüpfen in des Fiebers Glut.
Den Anger seiner Kindheit sieht er in den Lindenzweigen
spielen,
Die süße Heimat, und das Haupt der Eltern auf den Sterbe¬
pfühlen;
Was er verloren und erstrebt, was er gesündet und getragen,
Wie Eine Nacht sein Haar gebleicht, die eignen Knechte ihn
geschlagen.
O Nacht, die Ehre, Kräfte, Hab'
Zerbrach und ihm die Seele gab!
Er sieht sein faltiges Gesicht im Wasserspiegel widerscheinen
Wie er sich selber nicht erkannt, und kindisch dann begann
zu weinen;
Ach, all die Thränen, so nachher aus tiefrer Quelle sind
geflossen,

Des nahen Städtleins Angelus ein ſäuſelnd Ave zuzufächeln,
Und für den nahen Friedhof auch
Hat ſie verſüßt des Weſtes Hauch.

Und Blatt an Blatt vom Blüthenzweig verſtreut ſie auf des
Greiſes Stirne,
Der in dem Wurzelmooſe lehnt ſein Haupt mit ſiedendem
Gehirne;
Zur Seite liegt der Stab, gefüllt mit Bettelbrode liegt der
Ranzen,
Und Schemen hier und Schemen dort mit Elfenſchritten
drüber tanzen,
Wie ſie der Bruſt geheimſter Hut
Entſchlüpfen in des Fiebers Glut.
Den Anger ſeiner Kindheit ſieht er in den Lindenzweigen
ſpielen,
Die ſüße Heimat, und das Haupt der Eltern auf den Sterbe¬
pfühlen;
Was er verloren und erſtrebt, was er geſündet und getragen,
Wie Eine Nacht ſein Haar gebleicht, die eignen Knechte ihn
geſchlagen.
O Nacht, die Ehre, Kräfte, Hab'
Zerbrach und ihm die Seele gab!
Er ſieht ſein faltiges Geſicht im Waſſerſpiegel widerſcheinen
Wie er ſich ſelber nicht erkannt, und kindiſch dann begann
zu weinen;
Ach, all die Thränen, ſo nachher aus tiefrer Quelle ſind
gefloſſen,
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[393/0407] Des nahen Städtleins Angelus ein ſäuſelnd Ave zuzufächeln, Und für den nahen Friedhof auch Hat ſie verſüßt des Weſtes Hauch. Und Blatt an Blatt vom Blüthenzweig verſtreut ſie auf des Greiſes Stirne, Der in dem Wurzelmooſe lehnt ſein Haupt mit ſiedendem Gehirne; Zur Seite liegt der Stab, gefüllt mit Bettelbrode liegt der Ranzen, Und Schemen hier und Schemen dort mit Elfenſchritten drüber tanzen, Wie ſie der Bruſt geheimſter Hut Entſchlüpfen in des Fiebers Glut. Den Anger ſeiner Kindheit ſieht er in den Lindenzweigen ſpielen, Die ſüße Heimat, und das Haupt der Eltern auf den Sterbe¬ pfühlen; Was er verloren und erſtrebt, was er geſündet und getragen, Wie Eine Nacht ſein Haar gebleicht, die eignen Knechte ihn geſchlagen. O Nacht, die Ehre, Kräfte, Hab' Zerbrach und ihm die Seele gab! Er ſieht ſein faltiges Geſicht im Waſſerſpiegel widerſcheinen Wie er ſich ſelber nicht erkannt, und kindiſch dann begann zu weinen; Ach, all die Thränen, ſo nachher aus tiefrer Quelle ſind gefloſſen,

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Zitationshilfe: Droste-Hülshoff, Annette von: Gedichte. Stuttgart u. a., 1844, S. 393. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droste_gedichte_1844/407>, abgerufen am 26.04.2024.