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Droste-Hülshoff, Annette von: Gedichte. Stuttgart u. a., 1844.

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So weich die Luft und badewarm,
Berauschend Thimianes Duft,
Sie lehnt sich, dehnt sich, ihren Arm,
Den vollen, streckt sie aus der Kluft,
Schließt dann ihr glänzend Augenpaar --
Nicht schlafen, ruhn nur eine Stunde --
So dämmert sie und die Gefahr
Wächst von Sekunde zu Sekunde.
Nun Alles still -- sie hat gewacht --
Doch hinter'm Steine wird's belebt
Und seine Büchse sachte, sacht,
Der Rieder von der Schulter hebt,
Lehnt an die Klippe ihren Lauf,
Dann lockert er der Messer Klingen,
Hebt nun den Fuß -- was hält ihn auf?
Ein Schrei scheint aus der Luft zu dringen!
Ha, das Signal! -- er ballt die Faust --
Und wiederum des Geyers Pfiff
Ihm schrillend in die Ohren saust --
Noch zögert knirschend er am Riff --
Zum dritten Mal -- und sein Gewehr
Hat er gefaßt -- hinan die Klippe!
Daß bröckelnd Kies und Sand umher
Nachkollern von dem Steingerippe.
Und auch das Mädchen fährt empor:
"Ei, ist so locker das Gestein?"
Und langsam, gähnend tritt hervor
Sie aus dem falschen Heil'genschrein,
So weich die Luft und badewarm,
Berauſchend Thimianes Duft,
Sie lehnt ſich, dehnt ſich, ihren Arm,
Den vollen, ſtreckt ſie aus der Kluft,
Schließt dann ihr glänzend Augenpaar —
Nicht ſchlafen, ruhn nur eine Stunde —
So dämmert ſie und die Gefahr
Wächſt von Sekunde zu Sekunde.
Nun Alles ſtill — ſie hat gewacht —
Doch hinter'm Steine wird's belebt
Und ſeine Büchſe ſachte, ſacht,
Der Rieder von der Schulter hebt,
Lehnt an die Klippe ihren Lauf,
Dann lockert er der Meſſer Klingen,
Hebt nun den Fuß — was hält ihn auf?
Ein Schrei ſcheint aus der Luft zu dringen!
Ha, das Signal! — er ballt die Fauſt —
Und wiederum des Geyers Pfiff
Ihm ſchrillend in die Ohren ſaust —
Noch zögert knirſchend er am Riff —
Zum dritten Mal — und ſein Gewehr
Hat er gefaßt — hinan die Klippe!
Daß bröckelnd Kies und Sand umher
Nachkollern von dem Steingerippe.
Und auch das Mädchen fährt empor:
„Ei, iſt ſo locker das Geſtein?“
Und langſam, gähnend tritt hervor
Sie aus dem falſchen Heil'genſchrein,
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[322/0336] So weich die Luft und badewarm, Berauſchend Thimianes Duft, Sie lehnt ſich, dehnt ſich, ihren Arm, Den vollen, ſtreckt ſie aus der Kluft, Schließt dann ihr glänzend Augenpaar — Nicht ſchlafen, ruhn nur eine Stunde — So dämmert ſie und die Gefahr Wächſt von Sekunde zu Sekunde. Nun Alles ſtill — ſie hat gewacht — Doch hinter'm Steine wird's belebt Und ſeine Büchſe ſachte, ſacht, Der Rieder von der Schulter hebt, Lehnt an die Klippe ihren Lauf, Dann lockert er der Meſſer Klingen, Hebt nun den Fuß — was hält ihn auf? Ein Schrei ſcheint aus der Luft zu dringen! Ha, das Signal! — er ballt die Fauſt — Und wiederum des Geyers Pfiff Ihm ſchrillend in die Ohren ſaust — Noch zögert knirſchend er am Riff — Zum dritten Mal — und ſein Gewehr Hat er gefaßt — hinan die Klippe! Daß bröckelnd Kies und Sand umher Nachkollern von dem Steingerippe. Und auch das Mädchen fährt empor: „Ei, iſt ſo locker das Geſtein?“ Und langſam, gähnend tritt hervor Sie aus dem falſchen Heil'genſchrein,

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Zitationshilfe: Droste-Hülshoff, Annette von: Gedichte. Stuttgart u. a., 1844, S. 322. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droste_gedichte_1844/336>, abgerufen am 26.04.2024.