Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Droste-Hülshoff, Annette von: Gedichte. Stuttgart u. a., 1844.

Bild:
<< vorherige Seite
Also ist deine Macht auch heute schon dein eigen,
Du kannst, so oft du willst, die Himmelsleiter steigen;
Ort, Raum, sind Worte nur von Trägheit ausgedacht,
Die nicht Bedürfniß in dein Wörterbuch gebracht.
Dein Aug' ist Blitz und Nu, dein Flug bedarf nicht Zeit,
Und im Moment ergreifst du Gott und Ewigkeit;
Allein der Sinne Schrift, die mußt du dunkel nennen,
Da dir das Werkzeug fehlt die Lettern zu erkennen;
Nur Geist'ges faßt der Geist, ihm ist der Leib zu schwer,
Du schmeckst, du fühlst, du riechst, und weißt um gar nichts
mehr;
Hat nicht vom Tröpfchen Thau die Eigenschaft zu messen
Jahrtausende der Mensch vergebens sich vermessen?
Drum, plagt dich Irdisches, du hast es selbst bestellt,
Viel näher als dein Kleid ist dir die Geisterwelt!
Faßt's nicht zuweilen dich, als müßtest in der That
Du über dich hinaus, das Ganze zu durchdringen,
Wie jener Philosoph um einen Punkt nur bat,
Um dann der Erde Ball aus seiner Bahn zu schwingen?
Fühlst du in Demuth so, in Liebesflammen rein,
Dann ist's der Schöpfung Mark, laß dir nicht leide seyn!
Dann fühlst du dich von Gott als Wesenheit begründet,
Wie Quelle an dem Strand, wo Ocean sich ründet.
So sey denn freudig, Geist, da Nichts mag größer seyn,
So wirf dich in den Staub, da Nichts wie du so klein!
Du Würmchen in dir selbst, doch reich durch Gottes Hort,
So schlummre, schlummre nur, mein Seelchen, schlummre
fort!
Alſo iſt deine Macht auch heute ſchon dein eigen,
Du kannſt, ſo oft du willſt, die Himmelsleiter ſteigen;
Ort, Raum, ſind Worte nur von Trägheit ausgedacht,
Die nicht Bedürfniß in dein Wörterbuch gebracht.
Dein Aug' iſt Blitz und Nu, dein Flug bedarf nicht Zeit,
Und im Moment ergreifſt du Gott und Ewigkeit;
Allein der Sinne Schrift, die mußt du dunkel nennen,
Da dir das Werkzeug fehlt die Lettern zu erkennen;
Nur Geiſt'ges faßt der Geiſt, ihm iſt der Leib zu ſchwer,
Du ſchmeckſt, du fühlſt, du riechſt, und weißt um gar nichts
mehr;
Hat nicht vom Tröpfchen Thau die Eigenſchaft zu meſſen
Jahrtauſende der Menſch vergebens ſich vermeſſen?
Drum, plagt dich Irdiſches, du haſt es ſelbſt beſtellt,
Viel näher als dein Kleid iſt dir die Geiſterwelt!
Faßt's nicht zuweilen dich, als müßteſt in der That
Du über dich hinaus, das Ganze zu durchdringen,
Wie jener Philoſoph um einen Punkt nur bat,
Um dann der Erde Ball aus ſeiner Bahn zu ſchwingen?
Fühlſt du in Demuth ſo, in Liebesflammen rein,
Dann iſt's der Schöpfung Mark, laß dir nicht leide ſeyn!
Dann fühlſt du dich von Gott als Weſenheit begründet,
Wie Quelle an dem Strand, wo Ocean ſich ründet.
So ſey denn freudig, Geiſt, da Nichts mag größer ſeyn,
So wirf dich in den Staub, da Nichts wie du ſo klein!
Du Würmchen in dir ſelbſt, doch reich durch Gottes Hort,
So ſchlummre, ſchlummre nur, mein Seelchen, ſchlummre
fort!
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <lg type="poem">
            <pb facs="#f0138" n="124"/>
            <lg n="3">
              <l>Al&#x017F;o i&#x017F;t deine Macht auch heute &#x017F;chon dein eigen,</l><lb/>
              <l>Du kann&#x017F;t, &#x017F;o oft du will&#x017F;t, die Himmelsleiter &#x017F;teigen;</l><lb/>
              <l>Ort, Raum, &#x017F;ind Worte nur von Trägheit ausgedacht,</l><lb/>
              <l>Die nicht Bedürfniß in dein Wörterbuch gebracht.</l><lb/>
              <l>Dein Aug' i&#x017F;t Blitz und Nu, dein Flug bedarf nicht Zeit,</l><lb/>
              <l>Und im Moment ergreif&#x017F;t du Gott und Ewigkeit;</l><lb/>
              <l>Allein der Sinne Schrift, die mußt du dunkel nennen,</l><lb/>
              <l>Da dir das Werkzeug fehlt die Lettern zu erkennen;</l><lb/>
              <l>Nur Gei&#x017F;t'ges faßt der Gei&#x017F;t, ihm i&#x017F;t der Leib zu &#x017F;chwer,</l><lb/>
              <l>Du &#x017F;chmeck&#x017F;t, du fühl&#x017F;t, du riech&#x017F;t, und weißt um gar nichts</l><lb/>
              <l>mehr;</l><lb/>
              <l>Hat nicht vom Tröpfchen Thau die Eigen&#x017F;chaft zu me&#x017F;&#x017F;en</l><lb/>
              <l>Jahrtau&#x017F;ende der Men&#x017F;ch vergebens &#x017F;ich verme&#x017F;&#x017F;en?</l><lb/>
              <l>Drum, plagt dich Irdi&#x017F;ches, du ha&#x017F;t es &#x017F;elb&#x017F;t be&#x017F;tellt,</l><lb/>
              <l>Viel näher als dein Kleid i&#x017F;t dir die Gei&#x017F;terwelt!</l><lb/>
            </lg>
            <lg n="4">
              <l>Faßt's nicht zuweilen dich, als müßte&#x017F;t in der That</l><lb/>
              <l>Du über dich hinaus, das Ganze zu durchdringen,</l><lb/>
              <l>Wie jener Philo&#x017F;oph um einen Punkt nur bat,</l><lb/>
              <l>Um dann der Erde Ball aus &#x017F;einer Bahn zu &#x017F;chwingen?</l><lb/>
              <l>Fühl&#x017F;t du in Demuth &#x017F;o, in Liebesflammen rein,</l><lb/>
              <l>Dann i&#x017F;t's der Schöpfung Mark, laß dir nicht leide &#x017F;eyn!</l><lb/>
              <l>Dann fühl&#x017F;t du dich von Gott als We&#x017F;enheit begründet,</l><lb/>
              <l>Wie Quelle an dem Strand, wo Ocean &#x017F;ich ründet.</l><lb/>
            </lg>
            <lg n="5">
              <l>So &#x017F;ey denn freudig, Gei&#x017F;t, da Nichts mag größer &#x017F;eyn,</l><lb/>
              <l>So wirf dich in den Staub, da Nichts wie du &#x017F;o klein!</l><lb/>
              <l>Du Würmchen in dir &#x017F;elb&#x017F;t, doch reich durch Gottes Hort,</l><lb/>
              <l>So &#x017F;chlummre, &#x017F;chlummre nur, mein Seelchen, &#x017F;chlummre</l><lb/>
              <l>fort!</l><lb/>
            </lg>
          </lg>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[124/0138] Alſo iſt deine Macht auch heute ſchon dein eigen, Du kannſt, ſo oft du willſt, die Himmelsleiter ſteigen; Ort, Raum, ſind Worte nur von Trägheit ausgedacht, Die nicht Bedürfniß in dein Wörterbuch gebracht. Dein Aug' iſt Blitz und Nu, dein Flug bedarf nicht Zeit, Und im Moment ergreifſt du Gott und Ewigkeit; Allein der Sinne Schrift, die mußt du dunkel nennen, Da dir das Werkzeug fehlt die Lettern zu erkennen; Nur Geiſt'ges faßt der Geiſt, ihm iſt der Leib zu ſchwer, Du ſchmeckſt, du fühlſt, du riechſt, und weißt um gar nichts mehr; Hat nicht vom Tröpfchen Thau die Eigenſchaft zu meſſen Jahrtauſende der Menſch vergebens ſich vermeſſen? Drum, plagt dich Irdiſches, du haſt es ſelbſt beſtellt, Viel näher als dein Kleid iſt dir die Geiſterwelt! Faßt's nicht zuweilen dich, als müßteſt in der That Du über dich hinaus, das Ganze zu durchdringen, Wie jener Philoſoph um einen Punkt nur bat, Um dann der Erde Ball aus ſeiner Bahn zu ſchwingen? Fühlſt du in Demuth ſo, in Liebesflammen rein, Dann iſt's der Schöpfung Mark, laß dir nicht leide ſeyn! Dann fühlſt du dich von Gott als Weſenheit begründet, Wie Quelle an dem Strand, wo Ocean ſich ründet. So ſey denn freudig, Geiſt, da Nichts mag größer ſeyn, So wirf dich in den Staub, da Nichts wie du ſo klein! Du Würmchen in dir ſelbſt, doch reich durch Gottes Hort, So ſchlummre, ſchlummre nur, mein Seelchen, ſchlummre fort!

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/droste_gedichte_1844
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/droste_gedichte_1844/138
Zitationshilfe: Droste-Hülshoff, Annette von: Gedichte. Stuttgart u. a., 1844, S. 124. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droste_gedichte_1844/138>, abgerufen am 26.04.2024.