Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Droste-Hülshoff, Annette von: Gedichte. Stuttgart u. a., 1844.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Mergelgrube.
Stoß deinen Scheit drei Spannen in den Sand,
Gesteine siehst du aus dem Schnitte ragen,
Blau, gelb, zinnoberroth, als ob zur Gant
Natur die Trödelbude aufgeschlagen.
Kein Pardelfell war je so bunt gefleckt,
Kein Rebhuhn, keine Wachtel so gescheckt,
Als das Gerölle gleißend wie vom Schliff
Sich aus der Scholle bröckelt bei dem Griff
Der Hand, dem Scharren mit des Fußes Spitze.
Wie zürnend sturt dich an der schwarze Gneus,
Spatkugeln kollern nieder, milchig weiß,
Und um den Glimmer fahren Silberblitze;
Gesprenkelte Porphire, groß und klein,
Die Okerdruse und der Feuerstein --
Nur wenige hat dieser Grund gezeugt,
Der sah den Strand, und der des Berges Kuppe;
Die zorn'ge Welle hat sie hergescheucht,
Leviathan mit seiner Riesenschuppe,
Als schäumend übern Sinai er fuhr,
Des Himmels Schleusen dreißig Tage offen,
Gebirge schmolzen ein wie Zuckerkand,
Als dann am Ararat die Arche stand,
Und, eine fremde, üppige Natur,
Ein neues Leben quoll aus neuen Stoffen. --
Findlinge nennt man sie, weil von der Brust,
Der mütterlichen sie gerissen sind,
Die Mergelgrube.
Stoß deinen Scheit drei Spannen in den Sand,
Geſteine ſiehſt du aus dem Schnitte ragen,
Blau, gelb, zinnoberroth, als ob zur Gant
Natur die Trödelbude aufgeſchlagen.
Kein Pardelfell war je ſo bunt gefleckt,
Kein Rebhuhn, keine Wachtel ſo geſcheckt,
Als das Gerölle gleißend wie vom Schliff
Sich aus der Scholle bröckelt bei dem Griff
Der Hand, dem Scharren mit des Fußes Spitze.
Wie zürnend ſturt dich an der ſchwarze Gneus,
Spatkugeln kollern nieder, milchig weiß,
Und um den Glimmer fahren Silberblitze;
Geſprenkelte Porphire, groß und klein,
Die Okerdruſe und der Feuerſtein —
Nur wenige hat dieſer Grund gezeugt,
Der ſah den Strand, und der des Berges Kuppe;
Die zorn'ge Welle hat ſie hergeſcheucht,
Leviathan mit ſeiner Rieſenſchuppe,
Als ſchäumend übern Sinai er fuhr,
Des Himmels Schleuſen dreißig Tage offen,
Gebirge ſchmolzen ein wie Zuckerkand,
Als dann am Ararat die Arche ſtand,
Und, eine fremde, üppige Natur,
Ein neues Leben quoll aus neuen Stoffen. —
Findlinge nennt man ſie, weil von der Bruſt,
Der mütterlichen ſie geriſſen ſind,
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0073" n="59"/>
        </div>
        <div n="2">
          <head> <hi rendition="#b">Die Mergelgrube.</hi><lb/>
          </head>
          <lg type="poem">
            <lg n="1">
              <l>Stoß deinen Scheit drei Spannen in den Sand,</l><lb/>
              <l>Ge&#x017F;teine &#x017F;ieh&#x017F;t du aus dem Schnitte ragen,</l><lb/>
              <l>Blau, gelb, zinnoberroth, als ob zur Gant</l><lb/>
              <l>Natur die Trödelbude aufge&#x017F;chlagen.</l><lb/>
              <l>Kein Pardelfell war je &#x017F;o bunt gefleckt,</l><lb/>
              <l>Kein Rebhuhn, keine Wachtel &#x017F;o ge&#x017F;checkt,</l><lb/>
              <l>Als das Gerölle gleißend wie vom Schliff</l><lb/>
              <l>Sich aus der Scholle bröckelt bei dem Griff</l><lb/>
              <l>Der Hand, dem Scharren mit des Fußes Spitze.</l><lb/>
              <l>Wie zürnend &#x017F;turt dich an der &#x017F;chwarze Gneus,</l><lb/>
              <l>Spatkugeln kollern nieder, milchig weiß,</l><lb/>
              <l>Und um den Glimmer fahren Silberblitze;</l><lb/>
              <l>Ge&#x017F;prenkelte Porphire, groß und klein,</l><lb/>
              <l>Die Okerdru&#x017F;e und der Feuer&#x017F;tein &#x2014;</l><lb/>
              <l>Nur wenige hat die&#x017F;er Grund gezeugt,</l><lb/>
              <l><hi rendition="#g">Der</hi> &#x017F;ah den Strand, und <hi rendition="#g">der</hi> des Berges Kuppe;</l><lb/>
              <l>Die zorn'ge Welle hat &#x017F;ie herge&#x017F;cheucht,</l><lb/>
              <l>Leviathan mit &#x017F;einer Rie&#x017F;en&#x017F;chuppe,</l><lb/>
              <l>Als &#x017F;chäumend übern Sinai er fuhr,</l><lb/>
              <l>Des Himmels Schleu&#x017F;en dreißig Tage offen,</l><lb/>
              <l>Gebirge &#x017F;chmolzen ein wie Zuckerkand,</l><lb/>
              <l>Als dann am Ararat die Arche &#x017F;tand,</l><lb/>
              <l>Und, eine fremde, üppige Natur,</l><lb/>
              <l>Ein neues Leben quoll aus neuen Stoffen. &#x2014;</l><lb/>
              <l>Findlinge nennt man &#x017F;ie, weil von der Bru&#x017F;t,</l><lb/>
              <l>Der mütterlichen &#x017F;ie geri&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ind,</l><lb/>
            </lg>
          </lg>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[59/0073] Die Mergelgrube. Stoß deinen Scheit drei Spannen in den Sand, Geſteine ſiehſt du aus dem Schnitte ragen, Blau, gelb, zinnoberroth, als ob zur Gant Natur die Trödelbude aufgeſchlagen. Kein Pardelfell war je ſo bunt gefleckt, Kein Rebhuhn, keine Wachtel ſo geſcheckt, Als das Gerölle gleißend wie vom Schliff Sich aus der Scholle bröckelt bei dem Griff Der Hand, dem Scharren mit des Fußes Spitze. Wie zürnend ſturt dich an der ſchwarze Gneus, Spatkugeln kollern nieder, milchig weiß, Und um den Glimmer fahren Silberblitze; Geſprenkelte Porphire, groß und klein, Die Okerdruſe und der Feuerſtein — Nur wenige hat dieſer Grund gezeugt, Der ſah den Strand, und der des Berges Kuppe; Die zorn'ge Welle hat ſie hergeſcheucht, Leviathan mit ſeiner Rieſenſchuppe, Als ſchäumend übern Sinai er fuhr, Des Himmels Schleuſen dreißig Tage offen, Gebirge ſchmolzen ein wie Zuckerkand, Als dann am Ararat die Arche ſtand, Und, eine fremde, üppige Natur, Ein neues Leben quoll aus neuen Stoffen. — Findlinge nennt man ſie, weil von der Bruſt, Der mütterlichen ſie geriſſen ſind,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/droste_gedichte_1844
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/droste_gedichte_1844/73
Zitationshilfe: Droste-Hülshoff, Annette von: Gedichte. Stuttgart u. a., 1844, S. 59. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droste_gedichte_1844/73>, abgerufen am 21.12.2024.