Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Droste-Hülshoff, Annette von: Gedichte. Stuttgart u. a., 1844.

Bild:
<< vorherige Seite
An die Schriftstellerinnen

in Deutschland und Frankreich.

Ihr steht so nüchtern da gleich Kräuterbeeten --
Und ihr gleich Fichten die zerspellt von Wettern --
Haucht wie des Hauches Hauch in Syrinxflöten --
Laßt wie Dragoner die Trompeten schmettern;
Der kann ein Schattenbild die Wange röthen --
Die wirft den Handschuh Zeus und allen Göttern;
Ward denn der Führer euch nicht angeboren
In eigner Brust, daß ihr den Pfad verloren?
Schaut auf! zur Rechten nicht -- durch Thränengründe,
Mondscheinalleen und blasse Nebeldecken,
Wo einsam die veraltete Selinde
Zur Luna mag die Lilienarme strecken;
Glaubt, zur Genüge hauchten Seufzerwinde,
Längst überfloß der Sehnsucht Thränenbecken;
An eurem Hügel mag die Hirtin klagen,
Und seufzend drauf ein Gänseblümchen tragen.
Doch auch zur Linken nicht -- durch Winkelgassen,
Wo tückisch nur die Diebslaternen blinken,
Mit wildem Druck euch rohe Hände fassen,
Und Smollis Wüstling euch und Schwelger trinken,
Der Sinne Bachanale, wo die blassen
Betäubten Opfer in die Rosen sinken,
Und endlich, eures Sarges letzte Ehre,
Man drüber legt die Kränze der Hetäre.
An die Schriftſtellerinnen

in Deutſchland und Frankreich.

Ihr ſteht ſo nüchtern da gleich Kräuterbeeten —
Und ihr gleich Fichten die zerſpellt von Wettern —
Haucht wie des Hauches Hauch in Syrinxflöten —
Laßt wie Dragoner die Trompeten ſchmettern;
Der kann ein Schattenbild die Wange röthen —
Die wirft den Handſchuh Zeus und allen Göttern;
Ward denn der Führer euch nicht angeboren
In eigner Bruſt, daß ihr den Pfad verloren?
Schaut auf! zur Rechten nicht — durch Thränengründe,
Mondſcheinalleen und blaſſe Nebeldecken,
Wo einſam die veraltete Selinde
Zur Luna mag die Lilienarme ſtrecken;
Glaubt, zur Genüge hauchten Seufzerwinde,
Längſt überfloß der Sehnſucht Thränenbecken;
An eurem Hügel mag die Hirtin klagen,
Und ſeufzend drauf ein Gänſeblümchen tragen.
Doch auch zur Linken nicht — durch Winkelgaſſen,
Wo tückiſch nur die Diebslaternen blinken,
Mit wildem Druck euch rohe Hände faſſen,
Und Smollis Wüſtling euch und Schwelger trinken,
Der Sinne Bachanale, wo die blaſſen
Betäubten Opfer in die Roſen ſinken,
Und endlich, eures Sarges letzte Ehre,
Man drüber legt die Kränze der Hetäre.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0033" n="19"/>
        </div>
        <div n="2">
          <head> <hi rendition="#b">An die Schrift&#x017F;tellerinnen</hi><lb/>
          </head>
          <p rendition="#c"> <hi rendition="#g">in Deut&#x017F;chland und Frankreich.</hi> </p><lb/>
          <lg type="poem">
            <lg n="1">
              <l><hi rendition="#g">Ihr</hi> &#x017F;teht &#x017F;o nüchtern da gleich Kräuterbeeten &#x2014;</l><lb/>
              <l>Und <hi rendition="#g">ihr</hi> gleich Fichten die zer&#x017F;pellt von Wettern &#x2014;</l><lb/>
              <l>Haucht wie des Hauches Hauch in Syrinxflöten &#x2014;</l><lb/>
              <l>Laßt wie Dragoner die Trompeten &#x017F;chmettern;</l><lb/>
              <l><hi rendition="#g">Der</hi> kann ein Schattenbild die Wange röthen &#x2014;</l><lb/>
              <l><hi rendition="#g">Die</hi> wirft den Hand&#x017F;chuh Zeus und allen Göttern;</l><lb/>
              <l>Ward denn der Führer euch nicht angeboren</l><lb/>
              <l>In eigner Bru&#x017F;t, daß ihr den Pfad verloren?</l><lb/>
            </lg>
            <lg n="2">
              <l>Schaut auf! zur Rechten nicht &#x2014; durch Thränengründe,</l><lb/>
              <l>Mond&#x017F;cheinalleen und bla&#x017F;&#x017F;e Nebeldecken,</l><lb/>
              <l>Wo ein&#x017F;am die veraltete Selinde</l><lb/>
              <l>Zur Luna mag die Lilienarme &#x017F;trecken;</l><lb/>
              <l>Glaubt, zur Genüge hauchten Seufzerwinde,</l><lb/>
              <l>Läng&#x017F;t überfloß der Sehn&#x017F;ucht Thränenbecken;</l><lb/>
              <l>An eurem Hügel mag die Hirtin klagen,</l><lb/>
              <l>Und &#x017F;eufzend drauf ein Gän&#x017F;eblümchen tragen.</l><lb/>
            </lg>
            <lg n="3">
              <l>Doch auch zur Linken nicht &#x2014; durch Winkelga&#x017F;&#x017F;en,</l><lb/>
              <l>Wo tücki&#x017F;ch nur die Diebslaternen blinken,</l><lb/>
              <l>Mit wildem Druck euch rohe Hände fa&#x017F;&#x017F;en,</l><lb/>
              <l>Und Smollis Wü&#x017F;tling euch und Schwelger trinken,</l><lb/>
              <l>Der Sinne Bachanale, wo die bla&#x017F;&#x017F;en</l><lb/>
              <l>Betäubten Opfer in die Ro&#x017F;en &#x017F;inken,</l><lb/>
              <l>Und endlich, eures Sarges letzte Ehre,</l><lb/>
              <l>Man drüber legt die Kränze der Hetäre.</l><lb/>
            </lg>
          </lg>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[19/0033] An die Schriftſtellerinnen in Deutſchland und Frankreich. Ihr ſteht ſo nüchtern da gleich Kräuterbeeten — Und ihr gleich Fichten die zerſpellt von Wettern — Haucht wie des Hauches Hauch in Syrinxflöten — Laßt wie Dragoner die Trompeten ſchmettern; Der kann ein Schattenbild die Wange röthen — Die wirft den Handſchuh Zeus und allen Göttern; Ward denn der Führer euch nicht angeboren In eigner Bruſt, daß ihr den Pfad verloren? Schaut auf! zur Rechten nicht — durch Thränengründe, Mondſcheinalleen und blaſſe Nebeldecken, Wo einſam die veraltete Selinde Zur Luna mag die Lilienarme ſtrecken; Glaubt, zur Genüge hauchten Seufzerwinde, Längſt überfloß der Sehnſucht Thränenbecken; An eurem Hügel mag die Hirtin klagen, Und ſeufzend drauf ein Gänſeblümchen tragen. Doch auch zur Linken nicht — durch Winkelgaſſen, Wo tückiſch nur die Diebslaternen blinken, Mit wildem Druck euch rohe Hände faſſen, Und Smollis Wüſtling euch und Schwelger trinken, Der Sinne Bachanale, wo die blaſſen Betäubten Opfer in die Roſen ſinken, Und endlich, eures Sarges letzte Ehre, Man drüber legt die Kränze der Hetäre.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/droste_gedichte_1844
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/droste_gedichte_1844/33
Zitationshilfe: Droste-Hülshoff, Annette von: Gedichte. Stuttgart u. a., 1844, S. 19. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droste_gedichte_1844/33>, abgerufen am 30.12.2024.