Kennst du die Blassen im Haideland, Mit blonden flächsenen Haaren? Mit Augen so klar wie an Weihers Rand Die Blitze der Welle fahren? O sprich ein Gebet, inbrünstig, ächt, Für die Seher der Nacht, das gequälte Geschlecht.
So klar die Lüfte, am Aether rein Träumt nicht die zarteste Flocke, Der Vollmond lagert den blauen Schein Auf des schlafenden Freiherrn Locke, Hernieder bohrend in kalter Kraft Die Vampyrzunge, des Strahles Schaft.
Der Schläfer stöhnt, ein Traum voll Noth Scheint seine Sinne zu quälen, Es zuckt die Wimper, ein leises Roth Will über die Wange sich stehlen; Schau, wie er woget und rudert und fährt, Wie Einer so gegen den Strom sich wehrt.
Nun zuckt er auf -- ob ihn geträumt, Nicht kann er sich dessen entsinnen -- Ihn fröstelt, fröstelt, ob's drinnen schäumt Wie Fluthen zum Strudel rinnen; Was ihn geängstet, er weiß es auch: Es war des Mondes giftiger Hauch.
Vorgeſchichte (Second sight).
Kennſt du die Blaſſen im Haideland, Mit blonden flächſenen Haaren? Mit Augen ſo klar wie an Weihers Rand Die Blitze der Welle fahren? O ſprich ein Gebet, inbrünſtig, ächt, Für die Seher der Nacht, das gequälte Geſchlecht.
So klar die Lüfte, am Aether rein Träumt nicht die zarteſte Flocke, Der Vollmond lagert den blauen Schein Auf des ſchlafenden Freiherrn Locke, Hernieder bohrend in kalter Kraft Die Vampyrzunge, des Strahles Schaft.
Der Schläfer ſtöhnt, ein Traum voll Noth Scheint ſeine Sinne zu quälen, Es zuckt die Wimper, ein leiſes Roth Will über die Wange ſich ſtehlen; Schau, wie er woget und rudert und fährt, Wie Einer ſo gegen den Strom ſich wehrt.
Nun zuckt er auf — ob ihn geträumt, Nicht kann er ſich deſſen entſinnen — Ihn fröſtelt, fröſtelt, ob's drinnen ſchäumt Wie Fluthen zum Strudel rinnen; Was ihn geängſtet, er weiß es auch: Es war des Mondes giftiger Hauch.
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Vorgeſchichte ( Second sight ).
Kennſt du die Blaſſen im Haideland,
Mit blonden flächſenen Haaren?
Mit Augen ſo klar wie an Weihers Rand
Die Blitze der Welle fahren?
O ſprich ein Gebet, inbrünſtig, ächt,
Für die Seher der Nacht, das gequälte Geſchlecht.
So klar die Lüfte, am Aether rein
Träumt nicht die zarteſte Flocke,
Der Vollmond lagert den blauen Schein
Auf des ſchlafenden Freiherrn Locke,
Hernieder bohrend in kalter Kraft
Die Vampyrzunge, des Strahles Schaft.
Der Schläfer ſtöhnt, ein Traum voll Noth
Scheint ſeine Sinne zu quälen,
Es zuckt die Wimper, ein leiſes Roth
Will über die Wange ſich ſtehlen;
Schau, wie er woget und rudert und fährt,
Wie Einer ſo gegen den Strom ſich wehrt.
Nun zuckt er auf — ob ihn geträumt,
Nicht kann er ſich deſſen entſinnen —
Ihn fröſtelt, fröſtelt, ob's drinnen ſchäumt
Wie Fluthen zum Strudel rinnen;
Was ihn geängſtet, er weiß es auch:
Es war des Mondes giftiger Hauch.
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Droste-Hülshoff, Annette von: Gedichte. Stuttgart u. a., 1844, S. 294. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droste_gedichte_1844/308>, abgerufen am 22.02.2025.
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