Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Droste-Hülshoff, Annette von: Gedichte. Stuttgart u. a., 1844.

Bild:
<< vorherige Seite
An ***
O frage nicht was mich so tief bewegt,
Seh ich dein junges Blut so freudig wallen,
Warum, an deine klare Stirn gelegt,
Mir schwere Tropfen aus den Wimpern fallen.
Mich träumte einst, ich sey ein albern Kind,
Sich emsig mühend an des Tisches Borden;
Wie übermächtig die Vokabeln sind,
Die wieder Hieroglyphen mir geworden!
Und als ich dann erwacht, da weint' ich heiß,
Daß mir so klar und nüchtern jetzt zu Muthe,
Daß ich so schrankenlos und überweis',
So ohne Furcht vor Schelten und vor Ruthe.
So, wenn ich schaue in dein Antlitz mild,
Wo tausend frische Lebenskeime walten,
Da ist es mir, als ob Natur mein Bild
Mir aus dem Zauberspiegel vorgehalten;
Und all mein Hoffen, meiner Seele Brand,
Und meiner Liebessonne dämmernd Scheinen,
Was noch entschwinden wird und was entschwand,
Das muß ich Alles dann in dir beweinen.
An ***
O frage nicht was mich ſo tief bewegt,
Seh ich dein junges Blut ſo freudig wallen,
Warum, an deine klare Stirn gelegt,
Mir ſchwere Tropfen aus den Wimpern fallen.
Mich träumte einſt, ich ſey ein albern Kind,
Sich emſig mühend an des Tiſches Borden;
Wie übermächtig die Vokabeln ſind,
Die wieder Hieroglyphen mir geworden!
Und als ich dann erwacht, da weint' ich heiß,
Daß mir ſo klar und nüchtern jetzt zu Muthe,
Daß ich ſo ſchrankenlos und überweiſ',
So ohne Furcht vor Schelten und vor Ruthe.
So, wenn ich ſchaue in dein Antlitz mild,
Wo tauſend friſche Lebenskeime walten,
Da iſt es mir, als ob Natur mein Bild
Mir aus dem Zauberſpiegel vorgehalten;
Und all mein Hoffen, meiner Seele Brand,
Und meiner Liebesſonne dämmernd Scheinen,
Was noch entſchwinden wird und was entſchwand,
Das muß ich Alles dann in dir beweinen.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0182" n="168"/>
        </div>
        <div n="2">
          <head><hi rendition="#b">An</hi> ***<lb/></head>
          <lg type="poem">
            <lg n="1">
              <l>O frage nicht was mich &#x017F;o tief bewegt,</l><lb/>
              <l>Seh ich dein junges Blut &#x017F;o freudig wallen,</l><lb/>
              <l>Warum, an deine klare Stirn gelegt,</l><lb/>
              <l>Mir &#x017F;chwere Tropfen aus den Wimpern fallen.</l><lb/>
            </lg>
            <lg n="2">
              <l>Mich träumte ein&#x017F;t, ich &#x017F;ey ein albern Kind,</l><lb/>
              <l>Sich em&#x017F;ig mühend an des Ti&#x017F;ches Borden;</l><lb/>
              <l>Wie übermächtig die Vokabeln &#x017F;ind,</l><lb/>
              <l>Die wieder Hieroglyphen mir geworden!</l><lb/>
            </lg>
            <lg n="3">
              <l>Und als ich dann erwacht, da weint' ich heiß,</l><lb/>
              <l>Daß mir &#x017F;o klar und nüchtern jetzt zu Muthe,</l><lb/>
              <l>Daß ich &#x017F;o &#x017F;chrankenlos und überwei&#x017F;',</l><lb/>
              <l>So ohne Furcht vor Schelten und vor Ruthe.</l><lb/>
            </lg>
            <lg n="4">
              <l>So, wenn ich &#x017F;chaue in dein Antlitz mild,</l><lb/>
              <l>Wo tau&#x017F;end fri&#x017F;che Lebenskeime walten,</l><lb/>
              <l>Da i&#x017F;t es mir, als ob Natur mein Bild</l><lb/>
              <l>Mir aus dem Zauber&#x017F;piegel vorgehalten;</l><lb/>
            </lg>
            <lg n="5">
              <l>Und all mein Hoffen, meiner Seele Brand,</l><lb/>
              <l>Und meiner Liebes&#x017F;onne dämmernd Scheinen,</l><lb/>
              <l>Was noch ent&#x017F;chwinden wird und was ent&#x017F;chwand,</l><lb/>
              <l>Das muß ich Alles dann in dir beweinen.</l><lb/>
            </lg>
          </lg>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[168/0182] An *** O frage nicht was mich ſo tief bewegt, Seh ich dein junges Blut ſo freudig wallen, Warum, an deine klare Stirn gelegt, Mir ſchwere Tropfen aus den Wimpern fallen. Mich träumte einſt, ich ſey ein albern Kind, Sich emſig mühend an des Tiſches Borden; Wie übermächtig die Vokabeln ſind, Die wieder Hieroglyphen mir geworden! Und als ich dann erwacht, da weint' ich heiß, Daß mir ſo klar und nüchtern jetzt zu Muthe, Daß ich ſo ſchrankenlos und überweiſ', So ohne Furcht vor Schelten und vor Ruthe. So, wenn ich ſchaue in dein Antlitz mild, Wo tauſend friſche Lebenskeime walten, Da iſt es mir, als ob Natur mein Bild Mir aus dem Zauberſpiegel vorgehalten; Und all mein Hoffen, meiner Seele Brand, Und meiner Liebesſonne dämmernd Scheinen, Was noch entſchwinden wird und was entſchwand, Das muß ich Alles dann in dir beweinen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/droste_gedichte_1844
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/droste_gedichte_1844/182
Zitationshilfe: Droste-Hülshoff, Annette von: Gedichte. Stuttgart u. a., 1844, S. 168. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droste_gedichte_1844/182>, abgerufen am 30.12.2024.