4. Des Hrn. Prediger Schwager Ge- danken, bey Lesung dieser Schrift.
Mit Ehrfurcht betracht' ich jeden Versuch eines Menschenfreundes, den Unterdrückten das Wort zu reden, und dem Unterdrücker ein Wort an's Herz zu legen. Weit bin ich immer davon entfernt gewesen, eine unglückliche Nation zu hassen, weil sie Gott auf eine andere Art verehrt, als ich, ande- re Sitten und Gebräuche hat, als ich in meiner Re- ligion vorfinde, und mir ihren Himmel verschließt, weil ich unbeschnitten bin, und Schweinefleisch esse. Ich hab' es immer beklagt, daß wir die Juden durch ein drückendes, politisches Joch zwingen, uns be- trügen zu müssen, denn wie sollen sie es anders ma- chen, um leben zu können? woher anders ihre schweren Abgaben bestreiten? und wie sich anders an der Ver- achtung rächen, womit wir die Menschheit in ihnen beleidigen? Ich gehöre nicht zu denjenigen, die ihre
Be-
F 5
4. Des Hrn. Prediger Schwager Ge- danken, bey Leſung dieſer Schrift.
Mit Ehrfurcht betracht’ ich jeden Verſuch eines Menſchenfreundes, den Unterdruͤckten das Wort zu reden, und dem Unterdruͤcker ein Wort an’s Herz zu legen. Weit bin ich immer davon entfernt geweſen, eine ungluͤckliche Nation zu haſſen, weil ſie Gott auf eine andere Art verehrt, als ich, ande- re Sitten und Gebraͤuche hat, als ich in meiner Re- ligion vorfinde, und mir ihren Himmel verſchließt, weil ich unbeſchnitten bin, und Schweinefleiſch eſſe. Ich hab’ es immer beklagt, daß wir die Juden durch ein druͤckendes, politiſches Joch zwingen, uns be- truͤgen zu muͤſſen, denn wie ſollen ſie es anders ma- chen, um leben zu koͤnnen? woher anders ihre ſchweren Abgaben beſtreiten? und wie ſich anders an der Ver- achtung raͤchen, womit wir die Menſchheit in ihnen beleidigen? Ich gehoͤre nicht zu denjenigen, die ihre
Be-
F 5
<TEI><text><body><pbfacs="#f0097"n="89"/><divn="1"><head><hirendition="#b">4.<lb/>
Des Hrn. Prediger Schwager Ge-<lb/>
danken, bey Leſung dieſer Schrift.</hi></head><lb/><p><hirendition="#in">M</hi>it Ehrfurcht betracht’ ich jeden Verſuch eines<lb/>
Menſchenfreundes, den Unterdruͤckten das<lb/>
Wort zu reden, und dem Unterdruͤcker ein Wort an’s<lb/>
Herz zu legen. Weit bin ich immer davon entfernt<lb/>
geweſen, eine ungluͤckliche Nation zu haſſen, weil<lb/>ſie Gott auf eine andere Art verehrt, als ich, ande-<lb/>
re Sitten und Gebraͤuche hat, als ich in meiner Re-<lb/>
ligion vorfinde, und mir ihren Himmel verſchließt,<lb/>
weil ich unbeſchnitten bin, und Schweinefleiſch eſſe.<lb/>
Ich hab’ es immer beklagt, daß wir die Juden durch<lb/>
ein druͤckendes, politiſches Joch zwingen, uns be-<lb/>
truͤgen zu muͤſſen, denn wie ſollen ſie es anders ma-<lb/>
chen, um leben zu koͤnnen? woher anders ihre ſchweren<lb/>
Abgaben beſtreiten? und wie ſich anders an der Ver-<lb/>
achtung raͤchen, womit wir die Menſchheit in ihnen<lb/>
beleidigen? Ich gehoͤre nicht zu denjenigen, die ihre<lb/><fwplace="bottom"type="sig">F 5</fw><fwplace="bottom"type="catch">Be-</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[89/0097]
4.
Des Hrn. Prediger Schwager Ge-
danken, bey Leſung dieſer Schrift.
Mit Ehrfurcht betracht’ ich jeden Verſuch eines
Menſchenfreundes, den Unterdruͤckten das
Wort zu reden, und dem Unterdruͤcker ein Wort an’s
Herz zu legen. Weit bin ich immer davon entfernt
geweſen, eine ungluͤckliche Nation zu haſſen, weil
ſie Gott auf eine andere Art verehrt, als ich, ande-
re Sitten und Gebraͤuche hat, als ich in meiner Re-
ligion vorfinde, und mir ihren Himmel verſchließt,
weil ich unbeſchnitten bin, und Schweinefleiſch eſſe.
Ich hab’ es immer beklagt, daß wir die Juden durch
ein druͤckendes, politiſches Joch zwingen, uns be-
truͤgen zu muͤſſen, denn wie ſollen ſie es anders ma-
chen, um leben zu koͤnnen? woher anders ihre ſchweren
Abgaben beſtreiten? und wie ſich anders an der Ver-
achtung raͤchen, womit wir die Menſchheit in ihnen
beleidigen? Ich gehoͤre nicht zu denjenigen, die ihre
Be-
F 5
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Dohm, Christian Conrad Wilhelm von: Über die bürgerliche Verbesserung der Juden. T. 2. Berlin u. a., 1783, S. 89. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dohm_juden02_1783/97>, abgerufen am 13.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.