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Diefenbach, Johann: Reformation oder Revolution. Mainz, 1897.

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sondern dieser war bereits während hundert Jahren im
Munde aller Christen, die seit dem traurigen Schisma in der
Christenheit eine reformatio in capite et in membris,
eine Reformation im Haupt und in den Gliedern, verlangten.
Es stand diese Forderung schon auf der Tagesordnung der
Konzilien von Konstanz und Basel. Allein weder Konzils-
väter, noch andere eifrige Christen waren der Meinung, daß
man die Lehre Jesu oder die christliche Religion reformieren
dürfe, da doch St. Paulus gesagt hatte: wenn ein Engel
vom Himmel käme, ein anderes Evangelium brächte, als ich
es verkünde, der sei verflucht1).

Diese Männer hielten an dem Grundsatze fest, welchen
der Augustiner-General Ägidius von Viterbo auf dem V.
Laterankonzil 1512 mit den Worten fixirt hatte: "Homines
per sacra immutari fas est, non sacra per homines
2)."
Der einzig wahre Reformator des Menschengeschlechtes war
Christus; die durch den Sündenfall in Jrrtum geratenen
Menschen richtete er auf durch drei Faktoren: durch den
Glauben, das Sittengesetz und die Sakramente. Als Säule
und Träger dieser Heilsmittel errichtete und bestimmte er die
sichtbare Kirche. Luther aber, dem blinden Samson gleich,
stürzte diese Säule um und brachte die ganze Heilanstalt zum
Falle. Wohl hatte der Heiland den Glauben als Bedingung
zur Seligkeit proklamiert: "Gehet hin und lehret; wer da
glaubt und sich taufen läßt, wird selig; wer aber nicht glaubt,

1) Gal. 1, 8.
2) "Die Menschen sind zu reformiren, nicht die Religion". Hefele,
Konziliengeschichte VIII p. 472. Denselben Gedanken wiederholten in
neuerer Zeit der dänische Bischof Hansen, jetzt Konvertit, in seiner
Schrift: "Wo ist die Gemeinde", und vor ihm der berühmte Niels
Stensen: "Ein richtiger Reformator macht sich nicht an die Lehre,
sondern an das Leben." Stimmen aus M.-L. 1888, III, 373.

ſondern dieſer war bereits während hundert Jahren im
Munde aller Chriſten, die ſeit dem traurigen Schisma in der
Chriſtenheit eine reformatio in capite et in membris,
eine Reformation im Haupt und in den Gliedern, verlangten.
Es ſtand dieſe Forderung ſchon auf der Tagesordnung der
Konzilien von Konſtanz und Baſel. Allein weder Konzils-
väter, noch andere eifrige Chriſten waren der Meinung, daß
man die Lehre Jeſu oder die chriſtliche Religion reformieren
dürfe, da doch St. Paulus geſagt hatte: wenn ein Engel
vom Himmel käme, ein anderes Evangelium brächte, als ich
es verkünde, der ſei verflucht1).

Dieſe Männer hielten an dem Grundſatze feſt, welchen
der Auguſtiner-General Ägidius von Viterbo auf dem V.
Laterankonzil 1512 mit den Worten fixirt hatte: „Homines
per sacra immutari fas est, non sacra per homines
2).‟
Der einzig wahre Reformator des Menſchengeſchlechtes war
Chriſtus; die durch den Sündenfall in Jrrtum geratenen
Menſchen richtete er auf durch drei Faktoren: durch den
Glauben, das Sittengeſetz und die Sakramente. Als Säule
und Träger dieſer Heilsmittel errichtete und beſtimmte er die
ſichtbare Kirche. Luther aber, dem blinden Samſon gleich,
ſtürzte dieſe Säule um und brachte die ganze Heilanſtalt zum
Falle. Wohl hatte der Heiland den Glauben als Bedingung
zur Seligkeit proklamiert: „Gehet hin und lehret; wer da
glaubt und ſich taufen läßt, wird ſelig; wer aber nicht glaubt,

1) Gal. 1, 8.
2) „Die Menſchen ſind zu reformiren, nicht die Religion‟. Hefele,
Konziliengeſchichte VIII p. 472. Denſelben Gedanken wiederholten in
neuerer Zeit der däniſche Biſchof Hanſen, jetzt Konvertit, in ſeiner
Schrift: „Wo iſt die Gemeinde‟, und vor ihm der berühmte Niels
Stenſen: „Ein richtiger Reformator macht ſich nicht an die Lehre,
ſondern an das Leben.‟ Stimmen aus M.-L. 1888, III, 373.
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[31/0043] ſondern dieſer war bereits während hundert Jahren im Munde aller Chriſten, die ſeit dem traurigen Schisma in der Chriſtenheit eine reformatio in capite et in membris, eine Reformation im Haupt und in den Gliedern, verlangten. Es ſtand dieſe Forderung ſchon auf der Tagesordnung der Konzilien von Konſtanz und Baſel. Allein weder Konzils- väter, noch andere eifrige Chriſten waren der Meinung, daß man die Lehre Jeſu oder die chriſtliche Religion reformieren dürfe, da doch St. Paulus geſagt hatte: wenn ein Engel vom Himmel käme, ein anderes Evangelium brächte, als ich es verkünde, der ſei verflucht 1). Dieſe Männer hielten an dem Grundſatze feſt, welchen der Auguſtiner-General Ägidius von Viterbo auf dem V. Laterankonzil 1512 mit den Worten fixirt hatte: „Homines per sacra immutari fas est, non sacra per homines 2).‟ Der einzig wahre Reformator des Menſchengeſchlechtes war Chriſtus; die durch den Sündenfall in Jrrtum geratenen Menſchen richtete er auf durch drei Faktoren: durch den Glauben, das Sittengeſetz und die Sakramente. Als Säule und Träger dieſer Heilsmittel errichtete und beſtimmte er die ſichtbare Kirche. Luther aber, dem blinden Samſon gleich, ſtürzte dieſe Säule um und brachte die ganze Heilanſtalt zum Falle. Wohl hatte der Heiland den Glauben als Bedingung zur Seligkeit proklamiert: „Gehet hin und lehret; wer da glaubt und ſich taufen läßt, wird ſelig; wer aber nicht glaubt, 1) Gal. 1, 8. 2) „Die Menſchen ſind zu reformiren, nicht die Religion‟. Hefele, Konziliengeſchichte VIII p. 472. Denſelben Gedanken wiederholten in neuerer Zeit der däniſche Biſchof Hanſen, jetzt Konvertit, in ſeiner Schrift: „Wo iſt die Gemeinde‟, und vor ihm der berühmte Niels Stenſen: „Ein richtiger Reformator macht ſich nicht an die Lehre, ſondern an das Leben.‟ Stimmen aus M.-L. 1888, III, 373.

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Zitationshilfe: Diefenbach, Johann: Reformation oder Revolution. Mainz, 1897, S. 31. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/diefenbach_reformation_1897/43>, abgerufen am 26.04.2024.