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Dehio, Georg: Kunsthistorische Aufsätze. München u. a., 1914.

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Die Kunst des Mittelalters
hochräumige Basiliken, und vor ihre Fassaden stellten sie mächtige
Doppeltürme mit schlanken, kupfergedeckten Holzhelmen, weit-
hin sichtbare Landmarken für die Schiffer. Rathäuser werden
errichtet, denen das übrige Deutschland nichts Ähnliches ent-
gegenzustellen hat. Der Burgenbau, anderorts gegen die Hohen-
staufenzeit künstlerisch tief gesunken, stellt eine lange Reihe von
Denkmälern hin, die Marienburg an der Spitze, durch deren
Schlichtheit ein Atemzug echter Größe geht. In dieser kolonialen
Kunst ist die Gotik, so schroff einseitig immer, wirklich verdeutscht.

Skandinavien besaß eine Holzarchitektur, die im
Kirchenbau zu quasimonumentalem Charakter sich erhob. Ob
die norwegischen "Stabkirchen" völlig autochthon oder von den
irisch-schottischen Holzkirchen ausgegangen sind, ist nicht aus-
gemacht. Durch Eintragung von Motiven des Schiffbaus erhielten
sie einen sehr eigentümlichen Charakter. Der Steinbau ist im-
portiert und duldete Einfluß von seiten des Holzbaues ebenso-
wenig, wie er ihn ehemals in Deutschland geduldet hatte. Zu
nennenswerter Eigenart brachte er es nicht, es blickt immer der
Stil des Ursprungslandes durch. Norwegen liegt in der englischen,
Dänemark und Schweden, wie schon in der romanischen, so erst
recht in der gotischen Zeit, in der deutschen Einflußsphäre; am
Dom von Upsala waren vorübergehend sogar Franzosen tätig,
und einige Zisterzienserkirchen bewahren merkwürdig treu den
burgundischen Stempel.

So hatte sich die ganze germanische Welt dem zuerst im
Norden Frankreichs formulierten "gotischen" Stil unumwunden
angeschlossen; hie und da mit einiger Laxheit, öfters mit logisch
gedachten Vereinfachungen, nirgends mit der Absicht, an seinen
Grundgesetzen zu rütteln. Dieses zu tun, war Sache der Süd-
franzosen und Italiener. Beide haben den gotischen Stil nicht
herbeigerufen, sondern ihn an sich kommen lassen als ein "Schick-
sal", und beide stehen innerlich in tiefster Opposition zu ihm.

Ganz schroff zeigt sich diese Lage der Dinge in Südfrank-
reich
. Hier, wo man nahe an die Renaissance der Antike heran-
gekommen war, hatten die Albigenserkriege und die ihnen folgende
Gewaltherrschaft der Nordfranzosen einen fast hundertjährigen

Die Kunst des Mittelalters
hochräumige Basiliken, und vor ihre Fassaden stellten sie mächtige
Doppeltürme mit schlanken, kupfergedeckten Holzhelmen, weit-
hin sichtbare Landmarken für die Schiffer. Rathäuser werden
errichtet, denen das übrige Deutschland nichts Ähnliches ent-
gegenzustellen hat. Der Burgenbau, anderorts gegen die Hohen-
staufenzeit künstlerisch tief gesunken, stellt eine lange Reihe von
Denkmälern hin, die Marienburg an der Spitze, durch deren
Schlichtheit ein Atemzug echter Größe geht. In dieser kolonialen
Kunst ist die Gotik, so schroff einseitig immer, wirklich verdeutscht.

Skandinavien besaß eine Holzarchitektur, die im
Kirchenbau zu quasimonumentalem Charakter sich erhob. Ob
die norwegischen »Stabkirchen« völlig autochthon oder von den
irisch-schottischen Holzkirchen ausgegangen sind, ist nicht aus-
gemacht. Durch Eintragung von Motiven des Schiffbaus erhielten
sie einen sehr eigentümlichen Charakter. Der Steinbau ist im-
portiert und duldete Einfluß von seiten des Holzbaues ebenso-
wenig, wie er ihn ehemals in Deutschland geduldet hatte. Zu
nennenswerter Eigenart brachte er es nicht, es blickt immer der
Stil des Ursprungslandes durch. Norwegen liegt in der englischen,
Dänemark und Schweden, wie schon in der romanischen, so erst
recht in der gotischen Zeit, in der deutschen Einflußsphäre; am
Dom von Upsala waren vorübergehend sogar Franzosen tätig,
und einige Zisterzienserkirchen bewahren merkwürdig treu den
burgundischen Stempel.

So hatte sich die ganze germanische Welt dem zuerst im
Norden Frankreichs formulierten »gotischen« Stil unumwunden
angeschlossen; hie und da mit einiger Laxheit, öfters mit logisch
gedachten Vereinfachungen, nirgends mit der Absicht, an seinen
Grundgesetzen zu rütteln. Dieses zu tun, war Sache der Süd-
franzosen und Italiener. Beide haben den gotischen Stil nicht
herbeigerufen, sondern ihn an sich kommen lassen als ein »Schick-
sal«, und beide stehen innerlich in tiefster Opposition zu ihm.

Ganz schroff zeigt sich diese Lage der Dinge in Südfrank-
reich
. Hier, wo man nahe an die Renaissance der Antike heran-
gekommen war, hatten die Albigenserkriege und die ihnen folgende
Gewaltherrschaft der Nordfranzosen einen fast hundertjährigen

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[34/0048] Die Kunst des Mittelalters hochräumige Basiliken, und vor ihre Fassaden stellten sie mächtige Doppeltürme mit schlanken, kupfergedeckten Holzhelmen, weit- hin sichtbare Landmarken für die Schiffer. Rathäuser werden errichtet, denen das übrige Deutschland nichts Ähnliches ent- gegenzustellen hat. Der Burgenbau, anderorts gegen die Hohen- staufenzeit künstlerisch tief gesunken, stellt eine lange Reihe von Denkmälern hin, die Marienburg an der Spitze, durch deren Schlichtheit ein Atemzug echter Größe geht. In dieser kolonialen Kunst ist die Gotik, so schroff einseitig immer, wirklich verdeutscht. Skandinavien besaß eine Holzarchitektur, die im Kirchenbau zu quasimonumentalem Charakter sich erhob. Ob die norwegischen »Stabkirchen« völlig autochthon oder von den irisch-schottischen Holzkirchen ausgegangen sind, ist nicht aus- gemacht. Durch Eintragung von Motiven des Schiffbaus erhielten sie einen sehr eigentümlichen Charakter. Der Steinbau ist im- portiert und duldete Einfluß von seiten des Holzbaues ebenso- wenig, wie er ihn ehemals in Deutschland geduldet hatte. Zu nennenswerter Eigenart brachte er es nicht, es blickt immer der Stil des Ursprungslandes durch. Norwegen liegt in der englischen, Dänemark und Schweden, wie schon in der romanischen, so erst recht in der gotischen Zeit, in der deutschen Einflußsphäre; am Dom von Upsala waren vorübergehend sogar Franzosen tätig, und einige Zisterzienserkirchen bewahren merkwürdig treu den burgundischen Stempel. So hatte sich die ganze germanische Welt dem zuerst im Norden Frankreichs formulierten »gotischen« Stil unumwunden angeschlossen; hie und da mit einiger Laxheit, öfters mit logisch gedachten Vereinfachungen, nirgends mit der Absicht, an seinen Grundgesetzen zu rütteln. Dieses zu tun, war Sache der Süd- franzosen und Italiener. Beide haben den gotischen Stil nicht herbeigerufen, sondern ihn an sich kommen lassen als ein »Schick- sal«, und beide stehen innerlich in tiefster Opposition zu ihm. Ganz schroff zeigt sich diese Lage der Dinge in Südfrank- reich. Hier, wo man nahe an die Renaissance der Antike heran- gekommen war, hatten die Albigenserkriege und die ihnen folgende Gewaltherrschaft der Nordfranzosen einen fast hundertjährigen

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Zitationshilfe: Dehio, Georg: Kunsthistorische Aufsätze. München u. a., 1914, S. 34. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dehio_aufsaetze_1914/48>, abgerufen am 26.04.2024.