Endlich muß ich noch mit denen reden, welche dieDas dritte Vorurtheil wird geho- ben, Würde der Gelehrten zu retten, die wissenschaftlichen Abhandlungen der Haushaltungskunst verwerffen. Es scheint, als wenn in dem Körper dieser Männer zwar eine sehr grose Seele, aber ein sehr kleiner Geist wohnet. Sie nennen sich Gelehrte, und wissen nicht was die Gelehrsamkeit ist. Sie haben es vielleicht vergessen, daß das die wahre Gelehrsamkeit sey, die sich bey den Menschen und in der menschlichen Gesellschaft nüzlich beweiset, und daß die Höhe der Gelehrsamkeit von der Größe dieses Nutzens abhänget. Jch will meine Gedanken über diesen Punkt kurz fassen. Ein Philo- soph bildet sich allgemeine Begriffe, er schlüsset aus diesen die Eigenschafften der Dinge, und er bildet daher eine solche Verknüpffung der Wahrheiten, die das Wesentliche von allen Stükken darstellen, die in den be- sondern Theilen der Gelahrheit abgehandelt werden. Ein Philosoph wird alsdenn brauchbar, wenn er seine allgemeine Erkenntniß durch die Geschichte und Erfah- rung genauer bestimmt, und dieß ist der natürliche Weg die besondern Wissenschaften zu bilden. Er bestimmet seine Begriffe von dem, was recht und unrecht ist, durch die Sitten der Völker und durch die Entschliessungen der Regenten, und er wird ein Juriste. Der Philosoph bestimmt seine Erkenntniß von den Kräften der Dinge durch dieß, woraus der menschliche Leib zusammen gesetzet ist, und was ihm die Erfahrung von diesem lehret, und er wird ein Artzt. Der Philosoph bestimmet seine Erkenntniß von der Natur und den Würkungen der Dinge durch dieß, was ihm die Erfahrung bey denen Beschäftigungen lehret, die sowohl auf die Staats- als auch auf die Privathaushaltung gehen, und er wird ein Wirth. Warum soll nun durch dieß der Würde des Gelehrten mehr entgehen als durch jenes. Oder ist vie- leicht derjenige dem Staat weniger nüzlich, der eine
Wis-
A 5
zu den Cameralwiſſenſchaften.
§. 6.
Endlich muß ich noch mit denen reden, welche dieDas dritte Vorurtheil wird geho- ben, Wuͤrde der Gelehrten zu retten, die wiſſenſchaftlichen Abhandlungen der Haushaltungskunſt verwerffen. Es ſcheint, als wenn in dem Koͤrper dieſer Maͤnner zwar eine ſehr groſe Seele, aber ein ſehr kleiner Geiſt wohnet. Sie nennen ſich Gelehrte, und wiſſen nicht was die Gelehrſamkeit iſt. Sie haben es vielleicht vergeſſen, daß das die wahre Gelehrſamkeit ſey, die ſich bey den Menſchen und in der menſchlichen Geſellſchaft nuͤzlich beweiſet, und daß die Hoͤhe der Gelehrſamkeit von der Groͤße dieſes Nutzens abhaͤnget. Jch will meine Gedanken uͤber dieſen Punkt kurz faſſen. Ein Philo- ſoph bildet ſich allgemeine Begriffe, er ſchluͤſſet aus dieſen die Eigenſchafften der Dinge, und er bildet daher eine ſolche Verknuͤpffung der Wahrheiten, die das Weſentliche von allen Stuͤkken darſtellen, die in den be- ſondern Theilen der Gelahrheit abgehandelt werden. Ein Philoſoph wird alsdenn brauchbar, wenn er ſeine allgemeine Erkenntniß durch die Geſchichte und Erfah- rung genauer beſtimmt, und dieß iſt der natuͤrliche Weg die beſondern Wiſſenſchaften zu bilden. Er beſtimmet ſeine Begriffe von dem, was recht und unrecht iſt, durch die Sitten der Voͤlker und durch die Entſchlieſſungen der Regenten, und er wird ein Juriſte. Der Philoſoph beſtimmt ſeine Erkenntniß von den Kraͤften der Dinge durch dieß, woraus der menſchliche Leib zuſammen geſetzet iſt, und was ihm die Erfahrung von dieſem lehret, und er wird ein Artzt. Der Philoſoph beſtimmet ſeine Erkenntniß von der Natur und den Wuͤrkungen der Dinge durch dieß, was ihm die Erfahrung bey denen Beſchaͤftigungen lehret, die ſowohl auf die Staats- als auch auf die Privathaushaltung gehen, und er wird ein Wirth. Warum ſoll nun durch dieß der Wuͤrde des Gelehrten mehr entgehen als durch jenes. Oder iſt vie- leicht derjenige dem Staat weniger nuͤzlich, der eine
Wiſ-
A 5
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0029"n="9"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">zu den Cameralwiſſenſchaften.</hi></fw><lb/><divn="2"><head>§. 6.</head><lb/><p>Endlich muß ich noch mit denen reden, welche die<noteplace="right">Das dritte<lb/>
Vorurtheil<lb/>
wird geho-<lb/>
ben,</note><lb/>
Wuͤrde der Gelehrten zu retten, die wiſſenſchaftlichen<lb/>
Abhandlungen der Haushaltungskunſt verwerffen.<lb/>
Es ſcheint, als wenn in dem Koͤrper dieſer Maͤnner zwar<lb/>
eine ſehr groſe Seele, aber ein ſehr kleiner Geiſt wohnet.<lb/>
Sie nennen ſich Gelehrte, und wiſſen nicht was die<lb/>
Gelehrſamkeit iſt. Sie haben es vielleicht vergeſſen,<lb/>
daß das die wahre Gelehrſamkeit ſey, die ſich bey den<lb/>
Menſchen und in der menſchlichen Geſellſchaft nuͤzlich<lb/>
beweiſet, und daß die Hoͤhe der Gelehrſamkeit von der<lb/>
Groͤße dieſes Nutzens abhaͤnget. Jch will meine<lb/>
Gedanken uͤber dieſen Punkt kurz faſſen. Ein Philo-<lb/>ſoph bildet ſich allgemeine Begriffe, er ſchluͤſſet aus<lb/>
dieſen die Eigenſchafften der Dinge, und er bildet daher<lb/>
eine ſolche Verknuͤpffung der Wahrheiten, die das<lb/>
Weſentliche von allen Stuͤkken darſtellen, die in den be-<lb/>ſondern Theilen der Gelahrheit abgehandelt werden.<lb/>
Ein Philoſoph wird alsdenn brauchbar, wenn er ſeine<lb/>
allgemeine Erkenntniß durch die Geſchichte und Erfah-<lb/>
rung genauer beſtimmt, und dieß iſt der natuͤrliche Weg<lb/>
die beſondern Wiſſenſchaften zu bilden. Er beſtimmet<lb/>ſeine Begriffe von dem, was recht und unrecht iſt, durch die<lb/>
Sitten der Voͤlker und durch die Entſchlieſſungen der<lb/>
Regenten, und er wird ein <hirendition="#fr">Juriſte.</hi> Der Philoſoph<lb/>
beſtimmt ſeine Erkenntniß von den Kraͤften der Dinge<lb/>
durch dieß, woraus der menſchliche Leib zuſammen geſetzet<lb/>
iſt, und was ihm die Erfahrung von dieſem lehret, und<lb/>
er wird ein <hirendition="#fr">Artzt.</hi> Der Philoſoph beſtimmet ſeine<lb/>
Erkenntniß von der Natur und den Wuͤrkungen der<lb/>
Dinge durch dieß, was ihm die Erfahrung bey denen<lb/>
Beſchaͤftigungen lehret, die ſowohl auf die Staats- als<lb/>
auch auf die Privathaushaltung gehen, und er wird ein<lb/><hirendition="#fr">Wirth.</hi> Warum ſoll nun durch dieß der Wuͤrde des<lb/>
Gelehrten mehr entgehen als durch jenes. Oder iſt vie-<lb/>
leicht derjenige dem Staat weniger nuͤzlich, der eine<lb/><fwplace="bottom"type="sig">A 5</fw><fwplace="bottom"type="catch">Wiſ-</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[9/0029]
zu den Cameralwiſſenſchaften.
§. 6.
Endlich muß ich noch mit denen reden, welche die
Wuͤrde der Gelehrten zu retten, die wiſſenſchaftlichen
Abhandlungen der Haushaltungskunſt verwerffen.
Es ſcheint, als wenn in dem Koͤrper dieſer Maͤnner zwar
eine ſehr groſe Seele, aber ein ſehr kleiner Geiſt wohnet.
Sie nennen ſich Gelehrte, und wiſſen nicht was die
Gelehrſamkeit iſt. Sie haben es vielleicht vergeſſen,
daß das die wahre Gelehrſamkeit ſey, die ſich bey den
Menſchen und in der menſchlichen Geſellſchaft nuͤzlich
beweiſet, und daß die Hoͤhe der Gelehrſamkeit von der
Groͤße dieſes Nutzens abhaͤnget. Jch will meine
Gedanken uͤber dieſen Punkt kurz faſſen. Ein Philo-
ſoph bildet ſich allgemeine Begriffe, er ſchluͤſſet aus
dieſen die Eigenſchafften der Dinge, und er bildet daher
eine ſolche Verknuͤpffung der Wahrheiten, die das
Weſentliche von allen Stuͤkken darſtellen, die in den be-
ſondern Theilen der Gelahrheit abgehandelt werden.
Ein Philoſoph wird alsdenn brauchbar, wenn er ſeine
allgemeine Erkenntniß durch die Geſchichte und Erfah-
rung genauer beſtimmt, und dieß iſt der natuͤrliche Weg
die beſondern Wiſſenſchaften zu bilden. Er beſtimmet
ſeine Begriffe von dem, was recht und unrecht iſt, durch die
Sitten der Voͤlker und durch die Entſchlieſſungen der
Regenten, und er wird ein Juriſte. Der Philoſoph
beſtimmt ſeine Erkenntniß von den Kraͤften der Dinge
durch dieß, woraus der menſchliche Leib zuſammen geſetzet
iſt, und was ihm die Erfahrung von dieſem lehret, und
er wird ein Artzt. Der Philoſoph beſtimmet ſeine
Erkenntniß von der Natur und den Wuͤrkungen der
Dinge durch dieß, was ihm die Erfahrung bey denen
Beſchaͤftigungen lehret, die ſowohl auf die Staats- als
auch auf die Privathaushaltung gehen, und er wird ein
Wirth. Warum ſoll nun durch dieß der Wuͤrde des
Gelehrten mehr entgehen als durch jenes. Oder iſt vie-
leicht derjenige dem Staat weniger nuͤzlich, der eine
Wiſ-
Das dritte
Vorurtheil
wird geho-
ben,
A 5
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Darjes, Joachim Georg: Erste Gründe der Cameral-Wissenschaften. Jena, 1756, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/darjes_cameralwissenschaften_1756/29>, abgerufen am 30.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.