Daher durch das Verschwinden aller überlieferten ver- schiedenartigen Bestandtheile aus der Verfassung, und bei dem eifersüchtigen Wiederausstoßen jeder dann und wann versuchten künstlichen Schranke, von einem Volke hohen Sinnes und nie wiedergesehener Bildung diese Menge rascher unheilvoller Beschlüsse. Der Reiche fühlte es schwer, daß er von den Armen beherrscht werde. Besonnene wünschten, daß nicht alle Aristokratie möchte vernichtet seyn. Andere priesen das Königthum als eine göttliche Einrichtung.
Rom.
46. Rom ist eben wie Athen aus verschiedenartigen, doch verwandten Volksstämmen zusammengekommen; beide nahmen ohne große Schwierigkeit Zuwanderer auf und reihten sie nach dem Standesrechte, welches diese mitbrach- ten, ein. Wie in Athen stand in Rom eine alte Adels- herrschaft, zugleich priesterlich, über den übrigen Bürgern, um so mächtiger, weil sie hier ohne Königshaus den König aus eigener Mitte wählte, nach Etrusker Art. Aber Sie- ger hielten hier nicht über Besiegten Wache, noch war die Kunst, die einmahl gezogene Scheidung zwischen Herrschaft und Gehorsam bis an's Ende aufrecht zu halten, der In- halt von Roms Verfassungsgeschichte, wie von Sparta's. Der Anspruch der Gemeinden drang zu seiner Zeit in Rom zur Erklärung und rechtlichen Geltung durch, auch zum Siege, aber nicht wie in Athen in wenigen schnell auf einander folgenden Stößen, vielmehr sehr langsam und stufenweise in ganz eigenthümlicher Erscheinung, überhaupt am Ende mehr durch Ausgleichung, unter Schonung der Grundformen; nur daß das Königthum verloren ging und blieb.
Zweites Capitel.
Daher durch das Verſchwinden aller uͤberlieferten ver- ſchiedenartigen Beſtandtheile aus der Verfaſſung, und bei dem eiferſuͤchtigen Wiederausſtoßen jeder dann und wann verſuchten kuͤnſtlichen Schranke, von einem Volke hohen Sinnes und nie wiedergeſehener Bildung dieſe Menge raſcher unheilvoller Beſchluͤſſe. Der Reiche fuͤhlte es ſchwer, daß er von den Armen beherrſcht werde. Beſonnene wuͤnſchten, daß nicht alle Ariſtokratie moͤchte vernichtet ſeyn. Andere prieſen das Koͤnigthum als eine goͤttliche Einrichtung.
Rom.
46. Rom iſt eben wie Athen aus verſchiedenartigen, doch verwandten Volksſtaͤmmen zuſammengekommen; beide nahmen ohne große Schwierigkeit Zuwanderer auf und reihten ſie nach dem Standesrechte, welches dieſe mitbrach- ten, ein. Wie in Athen ſtand in Rom eine alte Adels- herrſchaft, zugleich prieſterlich, uͤber den uͤbrigen Buͤrgern, um ſo maͤchtiger, weil ſie hier ohne Koͤnigshaus den Koͤnig aus eigener Mitte waͤhlte, nach Etrusker Art. Aber Sie- ger hielten hier nicht uͤber Beſiegten Wache, noch war die Kunſt, die einmahl gezogene Scheidung zwiſchen Herrſchaft und Gehorſam bis an’s Ende aufrecht zu halten, der In- halt von Roms Verfaſſungsgeſchichte, wie von Sparta’s. Der Anſpruch der Gemeinden drang zu ſeiner Zeit in Rom zur Erklaͤrung und rechtlichen Geltung durch, auch zum Siege, aber nicht wie in Athen in wenigen ſchnell auf einander folgenden Stoͤßen, vielmehr ſehr langſam und ſtufenweiſe in ganz eigenthuͤmlicher Erſcheinung, uͤberhaupt am Ende mehr durch Ausgleichung, unter Schonung der Grundformen; nur daß das Koͤnigthum verloren ging und blieb.
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Zweites Capitel.
Daher durch das Verſchwinden aller uͤberlieferten ver-
ſchiedenartigen Beſtandtheile aus der Verfaſſung, und bei
dem eiferſuͤchtigen Wiederausſtoßen jeder dann und wann
verſuchten kuͤnſtlichen Schranke, von einem Volke hohen
Sinnes und nie wiedergeſehener Bildung dieſe Menge
raſcher unheilvoller Beſchluͤſſe. Der Reiche fuͤhlte es
ſchwer, daß er von den Armen beherrſcht werde. Beſonnene
wuͤnſchten, daß nicht alle Ariſtokratie moͤchte vernichtet
ſeyn. Andere prieſen das Koͤnigthum als eine goͤttliche
Einrichtung.
Rom.
46. Rom iſt eben wie Athen aus verſchiedenartigen,
doch verwandten Volksſtaͤmmen zuſammengekommen; beide
nahmen ohne große Schwierigkeit Zuwanderer auf und
reihten ſie nach dem Standesrechte, welches dieſe mitbrach-
ten, ein. Wie in Athen ſtand in Rom eine alte Adels-
herrſchaft, zugleich prieſterlich, uͤber den uͤbrigen Buͤrgern,
um ſo maͤchtiger, weil ſie hier ohne Koͤnigshaus den Koͤnig
aus eigener Mitte waͤhlte, nach Etrusker Art. Aber Sie-
ger hielten hier nicht uͤber Beſiegten Wache, noch war die
Kunſt, die einmahl gezogene Scheidung zwiſchen Herrſchaft
und Gehorſam bis an’s Ende aufrecht zu halten, der In-
halt von Roms Verfaſſungsgeſchichte, wie von Sparta’s.
Der Anſpruch der Gemeinden drang zu ſeiner Zeit in
Rom zur Erklaͤrung und rechtlichen Geltung durch, auch
zum Siege, aber nicht wie in Athen in wenigen ſchnell
auf einander folgenden Stoͤßen, vielmehr ſehr langſam und
ſtufenweiſe in ganz eigenthuͤmlicher Erſcheinung, uͤberhaupt
am Ende mehr durch Ausgleichung, unter Schonung der
Grundformen; nur daß das Koͤnigthum verloren ging
und blieb.
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Dahlmann, Friedrich Christoph: Die Politik, auf den Grund und das Maaß der gegebenen Zustände zurückgeführt. Bd. 1: Staatsverfassung. Volksbildung. Göttingen, 1835, S. 32. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_politik_1835/44>, abgerufen am 16.07.2024.
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