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Curtius, Georg: Zur Kritik der neuesten Sprachforschung. Leipzig, 1885.

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Aus solchen Gründen halte ich die Schmidt'schen An-
sichten nicht für wahrscheinlich und bleibe bei der Auffassung,
die ich in meinem Verbum zu begründen versucht habe. Ich
fasse diese folgendermassen zusammen:

1) Die aspirirten Medialformen beruhen ursprünglich auf
der rein lautlichen Affection der tenues (deidekhatai, tetra-
phatai
).

2) Der Analogie der so entstandenen Formen folgten die
mit stammhafter Media (erkhatai, tetriphatai). Begünstigt wurde
diese Uebertragung dadurch, dass es, wie Verbum II2 240
nachgewiesen ist, eine Reihe zum Theil sehr geläufiger For-
men der Art mit stammhafter oder doch weiter verbreiteter
Aspirata gab (teteukhatai, epokhato, kekruphatai. später ge-
graphatai
).

3) Ob die Aspiration im Activ in Beziehung zu der im
Medium steht, ist nicht auszumachen. Factisch ist ihre wei-
tere Verbreitung erst Jahrhunderte später nachweisbar, das
heisst aus einer Zeit, da die Formen auf -atai schon beinahe
verschollen waren. Die activen Perfecta werden erst zur Zeit
der attischen Redner häufiger.

4) Auch diese Aspiration ist ihrem Keime nach lautlichen
Ursprungs. Das älteste Beispiel pepompha steht auf einer Linie
mit dem von Hesychius angeführten pomph-agogei. Dieselben
Umstände wie im Medium begünstigten die Uebertragung der
Aspiration auf Verba mit wurzelhafter Media. Man vergleiche
ekha mit eptekha und andrerseits mit eilekha, ebenso beblapha
mit beblepha, kekopha und andrerseits mit gegrapha.

Ich habe diese Controverse absichtlich ausführlicher er-
örtert, weil ich daran zeigen wollte, wie ich mich keineswegs
principiell gegen das Walten einer blind fortwuchernden Ana-
logie verschliesse, andrerseits aber mit dem verhängnissvollen
aut -- aut zwischen einer oft sehr mit Unrecht so benannten
lautgesetzlichen Erklärung und einer analogischen mich nicht
einverstanden erklären kann. Vielmehr bin ich der festen

Curtius, Zur Kritik.
5

Aus solchen Gründen halte ich die Schmidt'schen An-
sichten nicht für wahrscheinlich und bleibe bei der Auffassung,
die ich in meinem Verbum zu begründen versucht habe. Ich
fasse diese folgendermassen zusammen:

1) Die aspirirten Medialformen beruhen ursprünglich auf
der rein lautlichen Affection der tenues (δειδέχαται, τετρά-
φαται
).

2) Der Analogie der so entstandenen Formen folgten die
mit stammhafter Media (ἔρχαται, τετρίφαται). Begünstigt wurde
diese Uebertragung dadurch, dass es, wie Verbum II2 240
nachgewiesen ist, eine Reihe zum Theil sehr geläufiger For-
men der Art mit stammhafter oder doch weiter verbreiteter
Aspirata gab (τετεύχαται, ἐπώχατο, κεκρύφαται. später γε-
γράφαται
).

3) Ob die Aspiration im Activ in Beziehung zu der im
Medium steht, ist nicht auszumachen. Factisch ist ihre wei-
tere Verbreitung erst Jahrhunderte später nachweisbar, das
heisst aus einer Zeit, da die Formen auf -αται schon beinahe
verschollen waren. Die activen Perfecta werden erst zur Zeit
der attischen Redner häufiger.

4) Auch diese Aspiration ist ihrem Keime nach lautlichen
Ursprungs. Das älteste Beispiel πέπομφα steht auf einer Linie
mit dem von Hesychius angeführten πομφ-αγωγεῖ. Dieselben
Umstände wie im Medium begünstigten die Uebertragung der
Aspiration auf Verba mit wurzelhafter Media. Man vergleiche
ἦχα mit ἔπτηχα und andrerseits mit εἴληχα, ebenso βέβλαφα
mit βέβλεφα, κέκοφα und andrerseits mit γέγραφα.

Ich habe diese Controverse absichtlich ausführlicher er-
örtert, weil ich daran zeigen wollte, wie ich mich keineswegs
principiell gegen das Walten einer blind fortwuchernden Ana-
logie verschliesse, andrerseits aber mit dem verhängnissvollen
aut — aut zwischen einer oft sehr mit Unrecht so benannten
lautgesetzlichen Erklärung und einer analogischen mich nicht
einverstanden erklären kann. Vielmehr bin ich der festen

Curtius, Zur Kritik.
5
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[65/0073] Aus solchen Gründen halte ich die Schmidt'schen An- sichten nicht für wahrscheinlich und bleibe bei der Auffassung, die ich in meinem Verbum zu begründen versucht habe. Ich fasse diese folgendermassen zusammen: 1) Die aspirirten Medialformen beruhen ursprünglich auf der rein lautlichen Affection der tenues (δειδέχαται, τετρά- φαται). 2) Der Analogie der so entstandenen Formen folgten die mit stammhafter Media (ἔρχαται, τετρίφαται). Begünstigt wurde diese Uebertragung dadurch, dass es, wie Verbum II2 240 nachgewiesen ist, eine Reihe zum Theil sehr geläufiger For- men der Art mit stammhafter oder doch weiter verbreiteter Aspirata gab (τετεύχαται, ἐπώχατο, κεκρύφαται. später γε- γράφαται). 3) Ob die Aspiration im Activ in Beziehung zu der im Medium steht, ist nicht auszumachen. Factisch ist ihre wei- tere Verbreitung erst Jahrhunderte später nachweisbar, das heisst aus einer Zeit, da die Formen auf -αται schon beinahe verschollen waren. Die activen Perfecta werden erst zur Zeit der attischen Redner häufiger. 4) Auch diese Aspiration ist ihrem Keime nach lautlichen Ursprungs. Das älteste Beispiel πέπομφα steht auf einer Linie mit dem von Hesychius angeführten πομφ-αγωγεῖ. Dieselben Umstände wie im Medium begünstigten die Uebertragung der Aspiration auf Verba mit wurzelhafter Media. Man vergleiche ἦχα mit ἔπτηχα und andrerseits mit εἴληχα, ebenso βέβλαφα mit βέβλεφα, κέκοφα und andrerseits mit γέγραφα. Ich habe diese Controverse absichtlich ausführlicher er- örtert, weil ich daran zeigen wollte, wie ich mich keineswegs principiell gegen das Walten einer blind fortwuchernden Ana- logie verschliesse, andrerseits aber mit dem verhängnissvollen aut — aut zwischen einer oft sehr mit Unrecht so benannten lautgesetzlichen Erklärung und einer analogischen mich nicht einverstanden erklären kann. Vielmehr bin ich der festen Curtius, Zur Kritik. 5

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Zitationshilfe: Curtius, Georg: Zur Kritik der neuesten Sprachforschung. Leipzig, 1885, S. 65. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_sprachforschung_1885/73>, abgerufen am 26.04.2024.