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Curtius, Georg: Zur Kritik der neuesten Sprachforschung. Leipzig, 1885.

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culina und Neutra. Eben deshalb sind wir berechtigt, diese
Declinationsgruppe die O-Declination zu nennen.

b) e im Voc. Sing, der Masculina. Durch die Ueberein-
stimmung von ksl. vluce und lit. vilke mit dem gr. luke, dem
lat. lupe und durch die Nachwirkung des e im altir. Vocativ
eich (eque) neben Nom. ech (equos) wird dies e als alt, das
heisst über die Existenz der europäischen Einzelsprachen
hinausgehend, erwiesen.

c) a im Nom. Acc. des Neutrum Plur. Die ursprüngliche
Länge dieses a ergibt sich zweifellos aus dem Sanskrit wie
aus den Spuren des ältesten Griechisch und Lateinisch *):

Sanskr. jugan, gr. zuga, lat. juga, ksl. iga, got. juka.

Dass diese Mannichfaltigkeit des Vocalismus hier von
allem Anfang an vorhanden war, scheint mir im höchsten
Grade unwahrscheinlich. Im Sanskrit haben wir statt dessen
eine viel grössere Consequenz, indem nur ein quantitativer
Wechsel des A-Vocals hervortritt. Von der europäisch-arme-
nischen Mannichfaltigkeit auszugehen, hiesse eigentlich soviel,
als auf den für die Sprachwissenschaft so wichtigen Begriff
des Stammes zu verzichten. Der Stamm ist aber nicht etwa
nur "ein sprachwissenschaftliches Präparat", wie Joh. Schmidt
mit einem gewissen Rechte die Wurzel benennt, sondern der
Stamm lebt fort in voller Lebendigkeit, sowohl in der Zu-
sammensetzung der Wörter, wie in der Ableitung, wenn es
auch, wie überall, an einzelnen Störungen und Trübungen nicht
fehlt. Stämme wie sanskr. juga und ihresgleichen zeigen sich
ja in der Zusammensetzung mit voller Deutlichkeit. Ebenso
Stämme wie omo im Griechischen, z. B. in omo-phulos, omo-io-s.

*) Mir ist natürlich nicht unbekannt, dass die Kürzung eines aus-
lautenden an zu a von manchen Gelehrten für unzulässig erklärt wird.
Mahlow "Die langen Vocale" S. 77 sagt: "An eine Kürzung des an inner-
halb des Griechischen ist nicht zu denken". Ich halte mich aber einfach
an Fälle wie homer. alethein neben att. aletheia, dor. aman, gemeingr. ama,
altlat. Nom. terran, später terra, regon, später rego u. s. w.

culina und Neutra. Eben deshalb sind wir berechtigt, diese
Declinationsgruppe die O-Declination zu nennen.

b) im Voc. Sing, der Masculina. Durch die Ueberein-
stimmung von ksl. vlŭče und lit. vilke mit dem gr. λύκε, dem
lat. lupe und durch die Nachwirkung des e im altir. Vocativ
eich (eque) neben Nom. ech (equos) wird dies als alt, das
heisst über die Existenz der europäischen Einzelsprachen
hinausgehend, erwiesen.

c) a im Nom. Acc. des Neutrum Plur. Die ursprüngliche
Länge dieses a ergibt sich zweifellos aus dem Sanskrit wie
aus den Spuren des ältesten Griechisch und Lateinisch *):

Sanskr. jugā, gr. ζυγά, lat. juga, ksl. iga, got. juka.

Dass diese Mannichfaltigkeit des Vocalismus hier von
allem Anfang an vorhanden war, scheint mir im höchsten
Grade unwahrscheinlich. Im Sanskrit haben wir statt dessen
eine viel grössere Consequenz, indem nur ein quantitativer
Wechsel des A-Vocals hervortritt. Von der europäisch-arme-
nischen Mannichfaltigkeit auszugehen, hiesse eigentlich soviel,
als auf den für die Sprachwissenschaft so wichtigen Begriff
des Stammes zu verzichten. Der Stamm ist aber nicht etwa
nur „ein sprachwissenschaftliches Präparat“, wie Joh. Schmidt
mit einem gewissen Rechte die Wurzel benennt, sondern der
Stamm lebt fort in voller Lebendigkeit, sowohl in der Zu-
sammensetzung der Wörter, wie in der Ableitung, wenn es
auch, wie überall, an einzelnen Störungen und Trübungen nicht
fehlt. Stämme wie sanskr. juga und ihresgleichen zeigen sich
ja in der Zusammensetzung mit voller Deutlichkeit. Ebenso
Stämme wie ὁμο im Griechischen, z. B. in ὁμό-φυλος, ὅμο-ιο-ς.

*) Mir ist natürlich nicht unbekannt, dass die Kürzung eines aus-
lautenden zu von manchen Gelehrten für unzulässig erklärt wird.
Mahlow „Die langen Vocale“ S. 77 sagt: „An eine Kürzung des inner-
halb des Griechischen ist nicht zu denken“. Ich halte mich aber einfach
an Fälle wie homer. ἀληθείν neben att. ἀλήθεια, dor. ἅμᾱ, gemeingr. ἅμᾰ,
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[111/0119] culina und Neutra. Eben deshalb sind wir berechtigt, diese Declinationsgruppe die O-Declination zu nennen. b) ĕ im Voc. Sing, der Masculina. Durch die Ueberein- stimmung von ksl. vlŭče und lit. vilke mit dem gr. λύκε, dem lat. lupe und durch die Nachwirkung des e im altir. Vocativ eich (eque) neben Nom. ech (equos) wird dies ĕ als alt, das heisst über die Existenz der europäischen Einzelsprachen hinausgehend, erwiesen. c) a im Nom. Acc. des Neutrum Plur. Die ursprüngliche Länge dieses a ergibt sich zweifellos aus dem Sanskrit wie aus den Spuren des ältesten Griechisch und Lateinisch *): Sanskr. jugā, gr. ζυγά, lat. juga, ksl. iga, got. juka. Dass diese Mannichfaltigkeit des Vocalismus hier von allem Anfang an vorhanden war, scheint mir im höchsten Grade unwahrscheinlich. Im Sanskrit haben wir statt dessen eine viel grössere Consequenz, indem nur ein quantitativer Wechsel des A-Vocals hervortritt. Von der europäisch-arme- nischen Mannichfaltigkeit auszugehen, hiesse eigentlich soviel, als auf den für die Sprachwissenschaft so wichtigen Begriff des Stammes zu verzichten. Der Stamm ist aber nicht etwa nur „ein sprachwissenschaftliches Präparat“, wie Joh. Schmidt mit einem gewissen Rechte die Wurzel benennt, sondern der Stamm lebt fort in voller Lebendigkeit, sowohl in der Zu- sammensetzung der Wörter, wie in der Ableitung, wenn es auch, wie überall, an einzelnen Störungen und Trübungen nicht fehlt. Stämme wie sanskr. juga und ihresgleichen zeigen sich ja in der Zusammensetzung mit voller Deutlichkeit. Ebenso Stämme wie ὁμο im Griechischen, z. B. in ὁμό-φυλος, ὅμο-ιο-ς. *) Mir ist natürlich nicht unbekannt, dass die Kürzung eines aus- lautenden ā zu ă von manchen Gelehrten für unzulässig erklärt wird. Mahlow „Die langen Vocale“ S. 77 sagt: „An eine Kürzung des ā inner- halb des Griechischen ist nicht zu denken“. Ich halte mich aber einfach an Fälle wie homer. ἀληθείν neben att. ἀλήθεια, dor. ἅμᾱ, gemeingr. ἅμᾰ, altlat. Nom. terrā, später terră, regō, später regŏ u. s. w.

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Zitationshilfe: Curtius, Georg: Zur Kritik der neuesten Sprachforschung. Leipzig, 1885, S. 111. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_sprachforschung_1885/119>, abgerufen am 26.04.2024.