In immerhin ziemlich prägnantem Einsiedlerstyle durchlebte Adam die nächsten Tage und Wochen. Der zeitweilige Verkehr mit Emmy, die ihn öfter besuchte, und mit welcher er ab und zu kleinere Spaziergänge machte, hatte für ihn kaum etwas Anschraubendes, Bestimmen- des, Ablenkendes, Hinauszwingendes. Emmy war doch ganz feinfühlig und zurückhaltend.
Wohl gestand sich der Herr Doctor mit leisem Bedauern ein, daß ihm in dieser Zeit der Stille und Ebbe alles geistig Größere, Bedeutendere, Imposantere fern und versagt blieb. Aber dieses Bedauern war doch schließlich nur ein sehr nüchternes und oberflächliches. Adam verspürte zuweilen einen Mangel, den er sich halb unwillkürlich, halb künstlich, aus Erinnerungen und zufälligen Vergleichen zwischen früheren, bewegteren Tagen und dem gleichmäßigeren Jetzt zusammenbuk. Das war aber mehr eine correkte, etwas wehmüthig angesprenkelte Abstraktion, denn ein redlicher Vollschmerz.
Adam hatte sich zwar vorgenommen, die Be- ziehungsfäden zu Lydia nicht leichtsinnig zu ver- schleppen ... aber wie er so von Tag zu Tag
Conradi, Adam Mensch. 12
XII
In immerhin ziemlich prägnantem Einſiedlerſtyle durchlebte Adam die nächſten Tage und Wochen. Der zeitweilige Verkehr mit Emmy, die ihn öfter beſuchte, und mit welcher er ab und zu kleinere Spaziergänge machte, hatte für ihn kaum etwas Anſchraubendes, Beſtimmen- des, Ablenkendes, Hinauszwingendes. Emmy war doch ganz feinfühlig und zurückhaltend.
Wohl geſtand ſich der Herr Doctor mit leiſem Bedauern ein, daß ihm in dieſer Zeit der Stille und Ebbe alles geiſtig Größere, Bedeutendere, Impoſantere fern und verſagt blieb. Aber dieſes Bedauern war doch ſchließlich nur ein ſehr nüchternes und oberflächliches. Adam verſpürte zuweilen einen Mangel, den er ſich halb unwillkürlich, halb künſtlich, aus Erinnerungen und zufälligen Vergleichen zwiſchen früheren, bewegteren Tagen und dem gleichmäßigeren Jetzt zuſammenbuk. Das war aber mehr eine correkte, etwas wehmüthig angeſprenkelte Abſtraktion, denn ein redlicher Vollſchmerz.
Adam hatte ſich zwar vorgenommen, die Be- ziehungsfäden zu Lydia nicht leichtſinnig zu ver- ſchleppen ... aber wie er ſo von Tag zu Tag
Conradi, Adam Menſch. 12
<TEI><text><body><pbfacs="#f0185"n="[177]"/><divn="1"><head><hirendition="#c"><hirendition="#aq">XII</hi></hi></head><lb/><p>In immerhin ziemlich prägnantem Einſiedlerſtyle<lb/>
durchlebte Adam die nächſten Tage und Wochen. Der<lb/>
zeitweilige Verkehr mit Emmy, die ihn öfter beſuchte, und<lb/>
mit welcher er ab und zu kleinere Spaziergänge machte,<lb/>
hatte für ihn kaum etwas Anſchraubendes, Beſtimmen-<lb/>
des, Ablenkendes, Hinauszwingendes. Emmy war<lb/>
doch ganz feinfühlig und zurückhaltend.</p><lb/><p>Wohl geſtand ſich der Herr Doctor mit leiſem<lb/>
Bedauern ein, daß ihm in dieſer Zeit der Stille<lb/>
und Ebbe alles geiſtig Größere, Bedeutendere,<lb/>
Impoſantere fern und verſagt blieb. Aber dieſes<lb/>
Bedauern war doch ſchließlich nur ein ſehr nüchternes<lb/>
und oberflächliches. Adam verſpürte zuweilen einen<lb/>
Mangel, den er ſich halb unwillkürlich, halb künſtlich,<lb/>
aus Erinnerungen und zufälligen Vergleichen zwiſchen<lb/>
früheren, bewegteren Tagen und dem gleichmäßigeren<lb/>
Jetzt zuſammenbuk. Das war aber mehr eine correkte,<lb/>
etwas wehmüthig angeſprenkelte Abſtraktion, denn ein<lb/>
redlicher Vollſchmerz.</p><lb/><p>Adam hatte ſich zwar vorgenommen, die Be-<lb/>
ziehungsfäden zu Lydia nicht leichtſinnig zu ver-<lb/>ſchleppen ... aber wie er ſo von Tag zu Tag<lb/><fwplace="bottom"type="sig"><hirendition="#g">Conradi</hi>, Adam Menſch. 12</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[[177]/0185]
XII
In immerhin ziemlich prägnantem Einſiedlerſtyle
durchlebte Adam die nächſten Tage und Wochen. Der
zeitweilige Verkehr mit Emmy, die ihn öfter beſuchte, und
mit welcher er ab und zu kleinere Spaziergänge machte,
hatte für ihn kaum etwas Anſchraubendes, Beſtimmen-
des, Ablenkendes, Hinauszwingendes. Emmy war
doch ganz feinfühlig und zurückhaltend.
Wohl geſtand ſich der Herr Doctor mit leiſem
Bedauern ein, daß ihm in dieſer Zeit der Stille
und Ebbe alles geiſtig Größere, Bedeutendere,
Impoſantere fern und verſagt blieb. Aber dieſes
Bedauern war doch ſchließlich nur ein ſehr nüchternes
und oberflächliches. Adam verſpürte zuweilen einen
Mangel, den er ſich halb unwillkürlich, halb künſtlich,
aus Erinnerungen und zufälligen Vergleichen zwiſchen
früheren, bewegteren Tagen und dem gleichmäßigeren
Jetzt zuſammenbuk. Das war aber mehr eine correkte,
etwas wehmüthig angeſprenkelte Abſtraktion, denn ein
redlicher Vollſchmerz.
Adam hatte ſich zwar vorgenommen, die Be-
ziehungsfäden zu Lydia nicht leichtſinnig zu ver-
ſchleppen ... aber wie er ſo von Tag zu Tag
Conradi, Adam Menſch. 12
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Conradi, Hermann: Adam Mensch. Leipzig, [1889], S. [177]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/conradi_adam_1889/185>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.