Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Conradi, Hermann: Adam Mensch. Leipzig, [1889].

Bild:
<< vorherige Seite
VII.

Adam Mensch waren einige Tage in ziemlich
blödem Einerlei hingegangen. Er hatte die physio-
logischen Nachwirkungen jener durchgenossenen Wein-
und Spielnacht über sich ergehen lassen müssen.
Eine unleidliche Gemüthsdepression war jetzt über
ihn gekommen. Eine peinliche Schwere hatte sich
seiner bemächtigt, die wie ein unaufrührbarer Boden-
satz auf dem Grunde seiner Seele lag. Eine Fülle
von Gedanken und Gefühlen stieg in ihm empor,
aber jede Einheitlichkeit fehlte und jede Neigung,
die Anläufe und Fragmente zu packen, zu vertiefen,
zu erschöpfen, zu vollenden. Unheimlich scharf schaute
er zeitweilig in Welt und Leben hinein, und die
Nachtseiten des Daseins erschlossen sich ihm in zer-
malmender Klarheit. Er fühlte, wie ungeheuer
weit er davon entfernt war, ein Kind der Stunde
sein zu können, ein von der mechanisch-regelmäßigen
Erfüllung einfacher Pflichten befriedigter Mensch.
Er sehnte sich nach einer neuen Umgebung, nach
neuen Verhältnissen, die ihn ganz herausforderten,
die im Stande wären, ihn ganz hinzureißen. Er
sehnte sich nach einem großen Schicksal, nach vollen,

VII.

Adam Menſch waren einige Tage in ziemlich
blödem Einerlei hingegangen. Er hatte die phyſio-
logiſchen Nachwirkungen jener durchgenoſſenen Wein-
und Spielnacht über ſich ergehen laſſen müſſen.
Eine unleidliche Gemüthsdepreſſion war jetzt über
ihn gekommen. Eine peinliche Schwere hatte ſich
ſeiner bemächtigt, die wie ein unaufrührbarer Boden-
ſatz auf dem Grunde ſeiner Seele lag. Eine Fülle
von Gedanken und Gefühlen ſtieg in ihm empor,
aber jede Einheitlichkeit fehlte und jede Neigung,
die Anläufe und Fragmente zu packen, zu vertiefen,
zu erſchöpfen, zu vollenden. Unheimlich ſcharf ſchaute
er zeitweilig in Welt und Leben hinein, und die
Nachtſeiten des Daſeins erſchloſſen ſich ihm in zer-
malmender Klarheit. Er fühlte, wie ungeheuer
weit er davon entfernt war, ein Kind der Stunde
ſein zu können, ein von der mechaniſch-regelmäßigen
Erfüllung einfacher Pflichten befriedigter Menſch.
Er ſehnte ſich nach einer neuen Umgebung, nach
neuen Verhältniſſen, die ihn ganz herausforderten,
die im Stande wären, ihn ganz hinzureißen. Er
ſehnte ſich nach einem großen Schickſal, nach vollen,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0108" n="[100]"/>
      <div n="1">
        <head> <hi rendition="#c"> <hi rendition="#aq">VII.</hi> </hi> </head><lb/>
        <p>Adam Men&#x017F;ch waren einige Tage in ziemlich<lb/>
blödem Einerlei hingegangen. Er hatte die phy&#x017F;io-<lb/>
logi&#x017F;chen Nachwirkungen jener durchgeno&#x017F;&#x017F;enen Wein-<lb/>
und Spielnacht über &#x017F;ich ergehen la&#x017F;&#x017F;en mü&#x017F;&#x017F;en.<lb/>
Eine unleidliche Gemüthsdepre&#x017F;&#x017F;ion war jetzt über<lb/>
ihn gekommen. Eine peinliche Schwere hatte &#x017F;ich<lb/>
&#x017F;einer bemächtigt, die wie ein unaufrührbarer Boden-<lb/>
&#x017F;atz auf dem Grunde &#x017F;einer Seele lag. Eine Fülle<lb/>
von Gedanken und Gefühlen &#x017F;tieg in ihm empor,<lb/>
aber jede Einheitlichkeit fehlte und jede Neigung,<lb/>
die Anläufe und Fragmente zu packen, zu vertiefen,<lb/>
zu er&#x017F;chöpfen, zu vollenden. Unheimlich &#x017F;charf &#x017F;chaute<lb/>
er zeitweilig in Welt und Leben hinein, und die<lb/>
Nacht&#x017F;eiten des Da&#x017F;eins er&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ich ihm in zer-<lb/>
malmender Klarheit. Er fühlte, wie ungeheuer<lb/>
weit er davon entfernt war, ein Kind der Stunde<lb/>
&#x017F;ein zu können, ein von der mechani&#x017F;ch-regelmäßigen<lb/>
Erfüllung einfacher Pflichten befriedigter Men&#x017F;ch.<lb/>
Er &#x017F;ehnte &#x017F;ich nach einer neuen Umgebung, nach<lb/>
neuen Verhältni&#x017F;&#x017F;en, die ihn <hi rendition="#g">ganz</hi> herausforderten,<lb/>
die im Stande wären, ihn <hi rendition="#g">ganz</hi> hinzureißen. Er<lb/>
&#x017F;ehnte &#x017F;ich nach einem großen Schick&#x017F;al, nach vollen,<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[[100]/0108] VII. Adam Menſch waren einige Tage in ziemlich blödem Einerlei hingegangen. Er hatte die phyſio- logiſchen Nachwirkungen jener durchgenoſſenen Wein- und Spielnacht über ſich ergehen laſſen müſſen. Eine unleidliche Gemüthsdepreſſion war jetzt über ihn gekommen. Eine peinliche Schwere hatte ſich ſeiner bemächtigt, die wie ein unaufrührbarer Boden- ſatz auf dem Grunde ſeiner Seele lag. Eine Fülle von Gedanken und Gefühlen ſtieg in ihm empor, aber jede Einheitlichkeit fehlte und jede Neigung, die Anläufe und Fragmente zu packen, zu vertiefen, zu erſchöpfen, zu vollenden. Unheimlich ſcharf ſchaute er zeitweilig in Welt und Leben hinein, und die Nachtſeiten des Daſeins erſchloſſen ſich ihm in zer- malmender Klarheit. Er fühlte, wie ungeheuer weit er davon entfernt war, ein Kind der Stunde ſein zu können, ein von der mechaniſch-regelmäßigen Erfüllung einfacher Pflichten befriedigter Menſch. Er ſehnte ſich nach einer neuen Umgebung, nach neuen Verhältniſſen, die ihn ganz herausforderten, die im Stande wären, ihn ganz hinzureißen. Er ſehnte ſich nach einem großen Schickſal, nach vollen,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/conradi_adam_1889
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/conradi_adam_1889/108
Zitationshilfe: Conradi, Hermann: Adam Mensch. Leipzig, [1889], S. [100]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/conradi_adam_1889/108>, abgerufen am 21.12.2024.