Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Chladni, Johann Martin: Allgemeine Geschichtswissenschaft. Leipzig, 1752.

Bild:
<< vorherige Seite

Zweytes Capitel,
ist daher von der Empfindung unterschieden, und
entstehet aus derselben, entweder durch die Ein-
bildungskrafft, oder durch Schlüsse. Die Em-
pfindungen haben in Ansehung der Wahrheit
gar keine Schwierigkeit, wenn nur die Empfin-
dung selbst vorhanden ist: Die Erfahrung aber
kan dennoch falsch seyn, wenn gleich die Empfin-
dungen richtig sind, worauf sich dieselbe gründet;
weil noch gar nicht ausgemacht ist, wie man auf
eine Art, die Bestand hat, aus eintzeln Fällen
eine allgemeine Anmerckung, oder einen allge-
meinen Satz zu machen befugt sey. Am wenig-
sten aber thut es gut, daß man Empfindungen
und Erfahrungen mit einander vermenget, wel-
ches bisher bestandig geschehen, und deswegen
von uns ist widerlegt worden in den Erlangi-
schen gelehrten Anzeigen
No. XIX. 1749. in
der genauern Bestimmung, was Erfahrun-
gen sind?

§. 45.
Schlüsse von einem Hauffen auf die übrigen.

Wie man von einigen indiuiduis auf die
übrigen zu schlüssen pflegt (§. 41.), also pfleget man
auch von den Begebenheiten des einen Hauffens,
oder einiger Hauffen auf die Eigenschafften und
Begebenheiten der andern Hauffen, von solcher
Art, zu schlüssen. Als man hat wahrgenommen,
daß in Londen von 100. Wöchnerinnen zweye
sterben, und dieses hat man in verschiedenen Jah-
ren wahrgenommen: man schlüsset daraus, daß
es nicht allein in Paris, und andern grossen Städ-

ten

Zweytes Capitel,
iſt daher von der Empfindung unterſchieden, und
entſtehet aus derſelben, entweder durch die Ein-
bildungskrafft, oder durch Schluͤſſe. Die Em-
pfindungen haben in Anſehung der Wahrheit
gar keine Schwierigkeit, wenn nur die Empfin-
dung ſelbſt vorhanden iſt: Die Erfahrung aber
kan dennoch falſch ſeyn, wenn gleich die Empfin-
dungen richtig ſind, worauf ſich dieſelbe gruͤndet;
weil noch gar nicht ausgemacht iſt, wie man auf
eine Art, die Beſtand hat, aus eintzeln Faͤllen
eine allgemeine Anmerckung, oder einen allge-
meinen Satz zu machen befugt ſey. Am wenig-
ſten aber thut es gut, daß man Empfindungen
und Erfahrungen mit einander vermenget, wel-
ches bisher beſtandig geſchehen, und deswegen
von uns iſt widerlegt worden in den Erlangi-
ſchen gelehrten Anzeigen
No. XIX. 1749. in
der genauern Beſtimmung, was Erfahrun-
gen ſind?

§. 45.
Schluͤſſe von einem Hauffen auf die uͤbrigen.

Wie man von einigen indiuiduis auf die
uͤbrigen zu ſchluͤſſen pflegt (§. 41.), alſo pfleget man
auch von den Begebenheiten des einen Hauffens,
oder einiger Hauffen auf die Eigenſchafften und
Begebenheiten der andern Hauffen, von ſolcher
Art, zu ſchluͤſſen. Als man hat wahrgenommen,
daß in Londen von 100. Woͤchnerinnen zweye
ſterben, und dieſes hat man in verſchiedenen Jah-
ren wahrgenommen: man ſchluͤſſet daraus, daß
es nicht allein in Paris, und andern groſſen Staͤd-

ten
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0092" n="56"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Zweytes Capitel,</hi></fw><lb/>
i&#x017F;t daher von der Empfindung unter&#x017F;chieden, und<lb/>
ent&#x017F;tehet aus der&#x017F;elben, entweder durch die Ein-<lb/>
bildungskrafft, oder durch Schlu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e. Die Em-<lb/>
pfindungen haben in An&#x017F;ehung der <hi rendition="#fr">Wahrheit</hi><lb/>
gar keine Schwierigkeit, wenn nur die Empfin-<lb/>
dung &#x017F;elb&#x017F;t vorhanden i&#x017F;t: Die <hi rendition="#fr">Erfahrung</hi> aber<lb/>
kan dennoch fal&#x017F;ch &#x017F;eyn, wenn gleich die Empfin-<lb/>
dungen richtig &#x017F;ind, worauf &#x017F;ich die&#x017F;elbe gru&#x0364;ndet;<lb/>
weil noch gar nicht ausgemacht i&#x017F;t, wie man auf<lb/>
eine Art, die Be&#x017F;tand hat, aus eintzeln Fa&#x0364;llen<lb/>
eine <hi rendition="#fr">allgemeine</hi> Anmerckung, oder einen allge-<lb/>
meinen Satz zu machen befugt &#x017F;ey. Am wenig-<lb/>
&#x017F;ten aber thut es gut, daß man <hi rendition="#fr">Empfindungen</hi><lb/>
und <hi rendition="#fr">Erfahrungen</hi> mit einander vermenget, wel-<lb/>
ches bisher be&#x017F;tandig ge&#x017F;chehen, und deswegen<lb/>
von uns i&#x017F;t widerlegt worden in den <hi rendition="#fr">Erlangi-<lb/>
&#x017F;chen gelehrten Anzeigen</hi> <hi rendition="#aq">No. XIX.</hi> 1749. in<lb/>
der <hi rendition="#fr">genauern Be&#x017F;timmung, was Erfahrun-<lb/>
gen &#x017F;ind?</hi></p>
        </div><lb/>
        <div n="2">
          <head>§. 45.<lb/>
Schlu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e von einem Hauffen auf die u&#x0364;brigen.</head><lb/>
          <p>Wie man von einigen <hi rendition="#aq">indiuiduis</hi> auf die<lb/>
u&#x0364;brigen zu &#x017F;chlu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en pflegt (§. 41.), al&#x017F;o pfleget man<lb/>
auch von den Begebenheiten des einen Hauffens,<lb/>
oder einiger Hauffen auf die Eigen&#x017F;chafften und<lb/>
Begebenheiten der andern Hauffen, von &#x017F;olcher<lb/>
Art, zu &#x017F;chlu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en. Als man hat wahrgenommen,<lb/>
daß in Londen von 100. Wo&#x0364;chnerinnen <hi rendition="#fr">zweye</hi><lb/>
&#x017F;terben, und die&#x017F;es hat man in ver&#x017F;chiedenen Jah-<lb/>
ren wahrgenommen: man &#x017F;chlu&#x0364;&#x017F;&#x017F;et daraus, daß<lb/>
es nicht allein in Paris, und andern gro&#x017F;&#x017F;en Sta&#x0364;d-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">ten</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[56/0092] Zweytes Capitel, iſt daher von der Empfindung unterſchieden, und entſtehet aus derſelben, entweder durch die Ein- bildungskrafft, oder durch Schluͤſſe. Die Em- pfindungen haben in Anſehung der Wahrheit gar keine Schwierigkeit, wenn nur die Empfin- dung ſelbſt vorhanden iſt: Die Erfahrung aber kan dennoch falſch ſeyn, wenn gleich die Empfin- dungen richtig ſind, worauf ſich dieſelbe gruͤndet; weil noch gar nicht ausgemacht iſt, wie man auf eine Art, die Beſtand hat, aus eintzeln Faͤllen eine allgemeine Anmerckung, oder einen allge- meinen Satz zu machen befugt ſey. Am wenig- ſten aber thut es gut, daß man Empfindungen und Erfahrungen mit einander vermenget, wel- ches bisher beſtandig geſchehen, und deswegen von uns iſt widerlegt worden in den Erlangi- ſchen gelehrten Anzeigen No. XIX. 1749. in der genauern Beſtimmung, was Erfahrun- gen ſind? §. 45. Schluͤſſe von einem Hauffen auf die uͤbrigen. Wie man von einigen indiuiduis auf die uͤbrigen zu ſchluͤſſen pflegt (§. 41.), alſo pfleget man auch von den Begebenheiten des einen Hauffens, oder einiger Hauffen auf die Eigenſchafften und Begebenheiten der andern Hauffen, von ſolcher Art, zu ſchluͤſſen. Als man hat wahrgenommen, daß in Londen von 100. Woͤchnerinnen zweye ſterben, und dieſes hat man in verſchiedenen Jah- ren wahrgenommen: man ſchluͤſſet daraus, daß es nicht allein in Paris, und andern groſſen Staͤd- ten

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/chladni_geschichtswissenschaft_1752
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/chladni_geschichtswissenschaft_1752/92
Zitationshilfe: Chladni, Johann Martin: Allgemeine Geschichtswissenschaft. Leipzig, 1752. , S. 56. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chladni_geschichtswissenschaft_1752/92>, abgerufen am 13.11.2024.