gehet, wird man sagen müssen: er habe die Thü- re nicht aufgemacht. Wer den Zusammenhang nicht weiß, sondern nur diese beyde Erzehlungen höret, wird sie vor widersprechend halten.
§. 36. Empfindung setzt die Wahrheit der Sache voraus.
Wenn wir eine Sache empfinden, so muß dieselbe auch würcklich vorhanden seyn. Denn was würcken soll, muß da seyn. Nur machen solche Fälle diesen Satz irre, wo man sich einbil- det empfunden zu haben, was man doch nicht em- pfunden hat; sondern nur durch Einbildungskrafft und Schlüsse zur Empfindung hinzu gesetzet hat. Dieses ist eine Art erschlichener Sätze (vitium subreptionis), welche durch die Lehren der Optick, und durch eine allgemeine Abhandlung, was und wie weit man Dinge durch die blossen Sinne er- kennen kan, müssen vermieden werden.
§. 37. Vom Verborgenen bey cörperlichen Dingen.
Es lässet sich aber der vorige Satz (§. 36.) nicht umwenden und behaupten: was ich nicht empfinde, dasselbe ist nicht vorhanden; sondern darzu gehöret mehrere Vorsicht, daß ich von der Verneinung der Empfindung auf die Verneinung der Sache selbst schlüssen kan. Wie offte glaubt man nicht, daß nach vielen Corrigiren ein Bo- gen von Druckfehlern gantz frey sey; da doch wohl noch welche vorhanden sind, welche man auch wohl nachher noch nicht durch vieles Durchlesen
wahr-
Zweytes Capitel,
gehet, wird man ſagen muͤſſen: er habe die Thuͤ- re nicht aufgemacht. Wer den Zuſammenhang nicht weiß, ſondern nur dieſe beyde Erzehlungen hoͤret, wird ſie vor widerſprechend halten.
§. 36. Empfindung ſetzt die Wahrheit der Sache voraus.
Wenn wir eine Sache empfinden, ſo muß dieſelbe auch wuͤrcklich vorhanden ſeyn. Denn was wuͤrcken ſoll, muß da ſeyn. Nur machen ſolche Faͤlle dieſen Satz irre, wo man ſich einbil- det empfunden zu haben, was man doch nicht em- pfunden hat; ſondern nur durch Einbildungskrafft und Schluͤſſe zur Empfindung hinzu geſetzet hat. Dieſes iſt eine Art erſchlichener Saͤtze (vitium ſubreptionis), welche durch die Lehren der Optick, und durch eine allgemeine Abhandlung, was und wie weit man Dinge durch die bloſſen Sinne er- kennen kan, muͤſſen vermieden werden.
§. 37. Vom Verborgenen bey coͤrperlichen Dingen.
Es laͤſſet ſich aber der vorige Satz (§. 36.) nicht umwenden und behaupten: was ich nicht empfinde, daſſelbe iſt nicht vorhanden; ſondern darzu gehoͤret mehrere Vorſicht, daß ich von der Verneinung der Empfindung auf die Verneinung der Sache ſelbſt ſchluͤſſen kan. Wie offte glaubt man nicht, daß nach vielen Corrigiren ein Bo- gen von Druckfehlern gantz frey ſey; da doch wohl noch welche vorhanden ſind, welche man auch wohl nachher noch nicht durch vieles Durchleſen
wahr-
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[50/0086]
Zweytes Capitel,
gehet, wird man ſagen muͤſſen: er habe die Thuͤ-
re nicht aufgemacht. Wer den Zuſammenhang
nicht weiß, ſondern nur dieſe beyde Erzehlungen
hoͤret, wird ſie vor widerſprechend halten.
§. 36.
Empfindung ſetzt die Wahrheit der
Sache voraus.
Wenn wir eine Sache empfinden, ſo muß
dieſelbe auch wuͤrcklich vorhanden ſeyn. Denn
was wuͤrcken ſoll, muß da ſeyn. Nur machen
ſolche Faͤlle dieſen Satz irre, wo man ſich einbil-
det empfunden zu haben, was man doch nicht em-
pfunden hat; ſondern nur durch Einbildungskrafft
und Schluͤſſe zur Empfindung hinzu geſetzet hat.
Dieſes iſt eine Art erſchlichener Saͤtze (vitium
ſubreptionis), welche durch die Lehren der Optick,
und durch eine allgemeine Abhandlung, was und
wie weit man Dinge durch die bloſſen Sinne er-
kennen kan, muͤſſen vermieden werden.
§. 37.
Vom Verborgenen bey coͤrperlichen Dingen.
Es laͤſſet ſich aber der vorige Satz (§. 36.)
nicht umwenden und behaupten: was ich nicht
empfinde, daſſelbe iſt nicht vorhanden; ſondern
darzu gehoͤret mehrere Vorſicht, daß ich von der
Verneinung der Empfindung auf die Verneinung
der Sache ſelbſt ſchluͤſſen kan. Wie offte glaubt
man nicht, daß nach vielen Corrigiren ein Bo-
gen von Druckfehlern gantz frey ſey; da doch wohl
noch welche vorhanden ſind, welche man auch
wohl nachher noch nicht durch vieles Durchleſen
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Chladni, Johann Martin: Allgemeine Geschichtswissenschaft. Leipzig, 1752. , S. 50. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chladni_geschichtswissenschaft_1752/86>, abgerufen am 13.11.2024.
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