Geschichten die Wahrheit ist, nehmlich ihre vor- nehmste Tugend. Jm übrigen sind sie denen Ge- schichten ähnlich. Die ungeschickten Fabeln, wel- che dann und wann zum Vorschein kommen sind, haben Gelegenheit gegeben, auf Regeln zu den- cken, wornach man Fabeln verfertigen, oder we- nigstens beurtheilen könte. Es ist aber nicht zu zweifeln, daß durch die Erklärung der wahren Geschichte, oder der eigentlichen historischen Er- kentniß auch die Beschaffenheit der Fabeln erläu- tert werde. Und wie leicht pflegt nicht auch de- nen wahren Geschichten etwas fabelhafftes ange- klebet zu werden? Wie offte beschuldiget man nicht auch wahrhaffte Geschichte eines fabelhafften Ansehens? alles dieses macht die Erkentniß der historischen Wahrheit überhaupt nöthig.
§. 32. Einfluß der Historie in die Beredsamkeit.
Die Beredsamkeit hat mit lauter eintzelnen Wahrheiten, oder mit Geschichten zu thun. Die drey Arten der Reden, demonstratiuum, deli- beratiuum und iuridiciale, welche die alten Leh- rer der Beredsamkeit gesetzt haben, gehen mit nichts anders um, als mit historischen Sätzen. Doch läugne ich nicht, daß sowohl alte, als be- sonders unsere neuen Redner, ihre Beredsamkeit auch bey allgemeinen Wahrheiten angewendet haben; ja daß man sie jetzo hauptsächlich dabey anwendet. Carneades hat zu Rom die Gerech- tigkeit an dem einem Tage mit allgemeinem Beyfall gelobt, und sie den andern Tag wieder lächerlich
gemacht.
B 2
von der hiſtor. Erkentniß uͤberhaupt.
Geſchichten die Wahrheit iſt, nehmlich ihre vor- nehmſte Tugend. Jm uͤbrigen ſind ſie denen Ge- ſchichten aͤhnlich. Die ungeſchickten Fabeln, wel- che dann und wann zum Vorſchein kommen ſind, haben Gelegenheit gegeben, auf Regeln zu den- cken, wornach man Fabeln verfertigen, oder we- nigſtens beurtheilen koͤnte. Es iſt aber nicht zu zweifeln, daß durch die Erklaͤrung der wahren Geſchichte, oder der eigentlichen hiſtoriſchen Er- kentniß auch die Beſchaffenheit der Fabeln erlaͤu- tert werde. Und wie leicht pflegt nicht auch de- nen wahren Geſchichten etwas fabelhafftes ange- klebet zu werden? Wie offte beſchuldiget man nicht auch wahrhaffte Geſchichte eines fabelhafften Anſehens? alles dieſes macht die Erkentniß der hiſtoriſchen Wahrheit uͤberhaupt noͤthig.
§. 32. Einfluß der Hiſtorie in die Beredſamkeit.
Die Beredſamkeit hat mit lauter eintzelnen Wahrheiten, oder mit Geſchichten zu thun. Die drey Arten der Reden, demonſtratiuum, deli- beratiuum und iuridiciale, welche die alten Leh- rer der Beredſamkeit geſetzt haben, gehen mit nichts anders um, als mit hiſtoriſchen Saͤtzen. Doch laͤugne ich nicht, daß ſowohl alte, als be- ſonders unſere neuen Redner, ihre Beredſamkeit auch bey allgemeinen Wahrheiten angewendet haben; ja daß man ſie jetzo hauptſaͤchlich dabey anwendet. Carneades hat zu Rom die Gerech- tigkeit an dem einem Tage mit allgemeinem Beyfall gelobt, und ſie den andern Tag wieder laͤcherlich
gemacht.
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von der hiſtor. Erkentniß uͤberhaupt.
Geſchichten die Wahrheit iſt, nehmlich ihre vor-
nehmſte Tugend. Jm uͤbrigen ſind ſie denen Ge-
ſchichten aͤhnlich. Die ungeſchickten Fabeln, wel-
che dann und wann zum Vorſchein kommen ſind,
haben Gelegenheit gegeben, auf Regeln zu den-
cken, wornach man Fabeln verfertigen, oder we-
nigſtens beurtheilen koͤnte. Es iſt aber nicht zu
zweifeln, daß durch die Erklaͤrung der wahren
Geſchichte, oder der eigentlichen hiſtoriſchen Er-
kentniß auch die Beſchaffenheit der Fabeln erlaͤu-
tert werde. Und wie leicht pflegt nicht auch de-
nen wahren Geſchichten etwas fabelhafftes ange-
klebet zu werden? Wie offte beſchuldiget man
nicht auch wahrhaffte Geſchichte eines fabelhafften
Anſehens? alles dieſes macht die Erkentniß der
hiſtoriſchen Wahrheit uͤberhaupt noͤthig.
§. 32.
Einfluß der Hiſtorie in die Beredſamkeit.
Die Beredſamkeit hat mit lauter eintzelnen
Wahrheiten, oder mit Geſchichten zu thun. Die
drey Arten der Reden, demonſtratiuum, deli-
beratiuum und iuridiciale, welche die alten Leh-
rer der Beredſamkeit geſetzt haben, gehen mit
nichts anders um, als mit hiſtoriſchen Saͤtzen.
Doch laͤugne ich nicht, daß ſowohl alte, als be-
ſonders unſere neuen Redner, ihre Beredſamkeit
auch bey allgemeinen Wahrheiten angewendet
haben; ja daß man ſie jetzo hauptſaͤchlich dabey
anwendet. Carneades hat zu Rom die Gerech-
tigkeit an dem einem Tage mit allgemeinem Beyfall
gelobt, und ſie den andern Tag wieder laͤcherlich
gemacht.
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Chladni, Johann Martin: Allgemeine Geschichtswissenschaft. Leipzig, 1752. , S. 19. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chladni_geschichtswissenschaft_1752/55>, abgerufen am 03.03.2025.
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