Zuschauer genug vorhanden waren (§. 1.), genau hat erkundigen können. Man verlangt also auch von alten Geschichten nicht sowohl Zuschauer, als Scriptores coaeuos. Und dieses macht mithin ein Stück des Ansehens bey einem Geschichtschrei- ber aus (§. 11.): Weil man nehmlich daraus abnehmen kan, wie er zu der Erkentniß der Ge- schichte, die er beschreibt, gekommen ist; und daß er sie entweder selbst müsse gesehen haben, oder doch Personen gewust haben, die bey der Begeben- heit gegenwärtig gewesen sind.
§. 14. Haben ein grosses Ansehen.
Es wird aber das Ansehen eines Scriptoris coaeui nicht allein dadurch groß, daß wir versichert sind, er habe die Geschichte von Zuschauern in Er- fahrung bringen können, woferne er nicht selbst da- bey gewesen ist; sondern auch dadurch, weil er seine Erzehlung und Belehrung zu einer sol- chen Zeit ans Licht treten lässet, da eine Menge Personen vorhanden seyn müssen, welche durch seine unwahre Erzehlung, falls er sich dergleichen sollte gelüsten lassen, beleidiget würden: Die also nicht ermangeln würden, dem Geschichtschreiber zu widersprechen. Dieser Zustand eines Geschicht- schreibers würckt nun 1. eines Theils soviel, daß niemand leichte so unverschämt ist, daß er sich getrauen sollte, zumahl von öffentlichen Sachen, daran jedermann Theil nimmt, vorsetzliche Un- wahrheiten hinzuschreiben. So wird sich kein vernünftiger Mensch, und also auch kein Geschicht-
schreiber
Eilfftes Capitel,
Zuſchauer genug vorhanden waren (§. 1.), genau hat erkundigen koͤnnen. Man verlangt alſo auch von alten Geſchichten nicht ſowohl Zuſchauer, als Scriptores coæuos. Und dieſes macht mithin ein Stuͤck des Anſehens bey einem Geſchichtſchrei- ber aus (§. 11.): Weil man nehmlich daraus abnehmen kan, wie er zu der Erkentniß der Ge- ſchichte, die er beſchreibt, gekommen iſt; und daß er ſie entweder ſelbſt muͤſſe geſehen haben, oder doch Perſonen gewuſt haben, die bey der Begeben- heit gegenwaͤrtig geweſen ſind.
§. 14. Haben ein groſſes Anſehen.
Es wird aber das Anſehen eines Scriptoris coæui nicht allein dadurch groß, daß wir verſichert ſind, er habe die Geſchichte von Zuſchauern in Er- fahrung bringen koͤnnen, woferne er nicht ſelbſt da- bey geweſen iſt; ſondern auch dadurch, weil er ſeine Erzehlung und Belehrung zu einer ſol- chen Zeit ans Licht treten laͤſſet, da eine Menge Perſonen vorhanden ſeyn muͤſſen, welche durch ſeine unwahre Erzehlung, falls er ſich dergleichen ſollte geluͤſten laſſen, beleidiget wuͤrden: Die alſo nicht ermangeln wuͤrden, dem Geſchichtſchreiber zu widerſprechen. Dieſer Zuſtand eines Geſchicht- ſchreibers wuͤrckt nun 1. eines Theils ſoviel, daß niemand leichte ſo unverſchaͤmt iſt, daß er ſich getrauen ſollte, zumahl von oͤffentlichen Sachen, daran jedermann Theil nimmt, vorſetzliche Un- wahrheiten hinzuſchreiben. So wird ſich kein vernuͤnftiger Menſch, und alſo auch kein Geſchicht-
ſchreiber
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Eilfftes Capitel,
Zuſchauer genug vorhanden waren (§. 1.), genau
hat erkundigen koͤnnen. Man verlangt alſo auch
von alten Geſchichten nicht ſowohl Zuſchauer, als
Scriptores coæuos. Und dieſes macht mithin
ein Stuͤck des Anſehens bey einem Geſchichtſchrei-
ber aus (§. 11.): Weil man nehmlich daraus
abnehmen kan, wie er zu der Erkentniß der Ge-
ſchichte, die er beſchreibt, gekommen iſt; und daß
er ſie entweder ſelbſt muͤſſe geſehen haben, oder
doch Perſonen gewuſt haben, die bey der Begeben-
heit gegenwaͤrtig geweſen ſind.
§. 14.
Haben ein groſſes Anſehen.
Es wird aber das Anſehen eines Scriptoris
coæui nicht allein dadurch groß, daß wir verſichert
ſind, er habe die Geſchichte von Zuſchauern in Er-
fahrung bringen koͤnnen, woferne er nicht ſelbſt da-
bey geweſen iſt; ſondern auch dadurch, weil er
ſeine Erzehlung und Belehrung zu einer ſol-
chen Zeit ans Licht treten laͤſſet, da eine Menge
Perſonen vorhanden ſeyn muͤſſen, welche durch
ſeine unwahre Erzehlung, falls er ſich dergleichen
ſollte geluͤſten laſſen, beleidiget wuͤrden: Die alſo
nicht ermangeln wuͤrden, dem Geſchichtſchreiber zu
widerſprechen. Dieſer Zuſtand eines Geſchicht-
ſchreibers wuͤrckt nun 1. eines Theils ſoviel, daß
niemand leichte ſo unverſchaͤmt iſt, daß er ſich
getrauen ſollte, zumahl von oͤffentlichen Sachen,
daran jedermann Theil nimmt, vorſetzliche Un-
wahrheiten hinzuſchreiben. So wird ſich kein
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Chladni, Johann Martin: Allgemeine Geschichtswissenschaft. Leipzig, 1752. , S. 364. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chladni_geschichtswissenschaft_1752/400>, abgerufen am 20.02.2025.
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