Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Chladni, Johann Martin: Allgemeine Geschichtswissenschaft. Leipzig, 1752.

Bild:
<< vorherige Seite

von alten u. ausländisch. Geschichten.
späten Nachwelt, verfertigten historischen Bü-
cher.
Diese sind von den vorigen historischen
Schrifften gantz und gar unterschieden, als welche
selbst Stücke der Geschichte sind, die darinnen
abgehandelt werden, und wegen ihrer vorzüglichen
Krafft zu lehren, Documenta genennet werden.
(§. 35. C. 9.) Der Geschichtschreiber ihre
Bücher aber sind eigentlich Lehrbücher, die nur
per accidens aus denen vorgegangenen Geschichten
entstehen. Der Hauptplan eines Geschicht-
schreibers gehet dahin, daß er jede Geschichte so
vortrage, und in solche Erzehlung bringe, daß sie
jedem, der auch lange nachher darüber kommt, ohne
von den Umständen selbiger Zeiten schon mehrere
Nachricht zu haben, dennoch bloß aus seiner Er-
zehlung dieselbe begreiffen könne. Das ist die Ab-
sicht,
und mithin auch die Pflicht eines Ge-
schichtschreibers: er mag nun nur eintzelne wichti-
ge Geschichte beschreiben, wie Sallustius den Cati-
linarischen und Jugurthischen Krieg beschrieben,
oder er mag die Geschichte eines gantzen Zeitraumes,
in eine Erzehlung bringen, wie Curtius, Ta-
citus, Thuanus,
und viele andere gethan ha-
ben. Einen Geschichtschreiber müssen wir daher,
als einen Lehrer ansehen, der die Welt weit und
breit, und lange nachher von grossen Begebenhei-
ten belehren will.

§. 11.
Worinnen das Ansehen eines Geschichtschrei-
bers bestehet.

Weil bey der Betrüglichkeit der menschlichen
Aussagen zur wahren Erkentniß der Geschichte

nicht
Z 5

von alten u. auslaͤndiſch. Geſchichten.
ſpaͤten Nachwelt, verfertigten hiſtoriſchen Buͤ-
cher.
Dieſe ſind von den vorigen hiſtoriſchen
Schrifften gantz und gar unterſchieden, als welche
ſelbſt Stuͤcke der Geſchichte ſind, die darinnen
abgehandelt werden, und wegen ihrer vorzuͤglichen
Krafft zu lehren, Documenta genennet werden.
(§. 35. C. 9.) Der Geſchichtſchreiber ihre
Buͤcher aber ſind eigentlich Lehrbuͤcher, die nur
per accidens aus denen vorgegangenen Geſchichten
entſtehen. Der Hauptplan eines Geſchicht-
ſchreibers gehet dahin, daß er jede Geſchichte ſo
vortrage, und in ſolche Erzehlung bringe, daß ſie
jedem, der auch lange nachher daruͤber kommt, ohne
von den Umſtaͤnden ſelbiger Zeiten ſchon mehrere
Nachricht zu haben, dennoch bloß aus ſeiner Er-
zehlung dieſelbe begreiffen koͤnne. Das iſt die Ab-
ſicht,
und mithin auch die Pflicht eines Ge-
ſchichtſchreibers: er mag nun nur eintzelne wichti-
ge Geſchichte beſchreiben, wie Salluſtius den Cati-
linariſchen und Jugurthiſchen Krieg beſchrieben,
oder er mag die Geſchichte eines gantzen Zeitraumes,
in eine Erzehlung bringen, wie Curtius, Ta-
citus, Thuanus,
und viele andere gethan ha-
ben. Einen Geſchichtſchreiber muͤſſen wir daher,
als einen Lehrer anſehen, der die Welt weit und
breit, und lange nachher von groſſen Begebenhei-
ten belehren will.

§. 11.
Worinnen das Anſehen eines Geſchichtſchrei-
bers beſtehet.

Weil bey der Betruͤglichkeit der menſchlichen
Ausſagen zur wahren Erkentniß der Geſchichte

nicht
Z 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0397" n="361"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">von alten u. ausla&#x0364;ndi&#x017F;ch. Ge&#x017F;chichten.</hi></fw><lb/>
&#x017F;pa&#x0364;ten Nachwelt, verfertigten <hi rendition="#fr">hi&#x017F;tori&#x017F;chen Bu&#x0364;-<lb/>
cher.</hi> Die&#x017F;e &#x017F;ind von den vorigen hi&#x017F;tori&#x017F;chen<lb/>
Schrifften gantz und gar unter&#x017F;chieden, als welche<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t <hi rendition="#fr">Stu&#x0364;cke der Ge&#x017F;chichte</hi> &#x017F;ind, die darinnen<lb/>
abgehandelt werden, und wegen ihrer vorzu&#x0364;glichen<lb/>
Krafft zu lehren, <hi rendition="#aq">Documenta</hi> genennet werden.<lb/>
(§. 35. C. 9.) Der <hi rendition="#fr">Ge&#x017F;chicht&#x017F;chreiber</hi> ihre<lb/>
Bu&#x0364;cher aber &#x017F;ind eigentlich <hi rendition="#fr">Lehrbu&#x0364;cher,</hi> die nur<lb/><hi rendition="#aq">per accidens</hi> aus denen vorgegangenen Ge&#x017F;chichten<lb/>
ent&#x017F;tehen. Der <hi rendition="#fr">Hauptplan</hi> eines Ge&#x017F;chicht-<lb/>
&#x017F;chreibers gehet dahin, daß er jede <hi rendition="#fr">Ge&#x017F;chichte</hi> &#x017F;o<lb/>
vortrage, und in &#x017F;olche Erzehlung bringe, daß &#x017F;ie<lb/>
jedem, der auch lange nachher daru&#x0364;ber kommt, ohne<lb/>
von den Um&#x017F;ta&#x0364;nden &#x017F;elbiger Zeiten &#x017F;chon mehrere<lb/>
Nachricht zu haben, dennoch bloß aus &#x017F;einer Er-<lb/>
zehlung die&#x017F;elbe begreiffen ko&#x0364;nne. Das i&#x017F;t die <hi rendition="#fr">Ab-<lb/>
&#x017F;icht,</hi> und mithin auch die <hi rendition="#fr">Pflicht</hi> eines Ge-<lb/>
&#x017F;chicht&#x017F;chreibers: er mag nun nur eintzelne wichti-<lb/>
ge Ge&#x017F;chichte be&#x017F;chreiben, wie <hi rendition="#aq">Sallu&#x017F;tius</hi> den Cati-<lb/>
linari&#x017F;chen und Jugurthi&#x017F;chen Krieg be&#x017F;chrieben,<lb/>
oder er mag die Ge&#x017F;chichte eines gantzen Zeitraumes,<lb/>
in eine Erzehlung bringen, wie <hi rendition="#fr">Curtius, Ta-<lb/>
citus, Thuanus,</hi> und viele andere gethan ha-<lb/>
ben. Einen Ge&#x017F;chicht&#x017F;chreiber mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en wir daher,<lb/>
als einen <hi rendition="#fr">Lehrer</hi> an&#x017F;ehen, der die Welt weit und<lb/>
breit, und lange nachher von gro&#x017F;&#x017F;en Begebenhei-<lb/>
ten belehren will.</p>
        </div><lb/>
        <div n="2">
          <head>§. 11.<lb/>
Worinnen das An&#x017F;ehen eines Ge&#x017F;chicht&#x017F;chrei-<lb/>
bers be&#x017F;tehet.</head><lb/>
          <p>Weil bey der Betru&#x0364;glichkeit der men&#x017F;chlichen<lb/>
Aus&#x017F;agen zur wahren Erkentniß der Ge&#x017F;chichte<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">Z 5</fw><fw place="bottom" type="catch">nicht</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[361/0397] von alten u. auslaͤndiſch. Geſchichten. ſpaͤten Nachwelt, verfertigten hiſtoriſchen Buͤ- cher. Dieſe ſind von den vorigen hiſtoriſchen Schrifften gantz und gar unterſchieden, als welche ſelbſt Stuͤcke der Geſchichte ſind, die darinnen abgehandelt werden, und wegen ihrer vorzuͤglichen Krafft zu lehren, Documenta genennet werden. (§. 35. C. 9.) Der Geſchichtſchreiber ihre Buͤcher aber ſind eigentlich Lehrbuͤcher, die nur per accidens aus denen vorgegangenen Geſchichten entſtehen. Der Hauptplan eines Geſchicht- ſchreibers gehet dahin, daß er jede Geſchichte ſo vortrage, und in ſolche Erzehlung bringe, daß ſie jedem, der auch lange nachher daruͤber kommt, ohne von den Umſtaͤnden ſelbiger Zeiten ſchon mehrere Nachricht zu haben, dennoch bloß aus ſeiner Er- zehlung dieſelbe begreiffen koͤnne. Das iſt die Ab- ſicht, und mithin auch die Pflicht eines Ge- ſchichtſchreibers: er mag nun nur eintzelne wichti- ge Geſchichte beſchreiben, wie Salluſtius den Cati- linariſchen und Jugurthiſchen Krieg beſchrieben, oder er mag die Geſchichte eines gantzen Zeitraumes, in eine Erzehlung bringen, wie Curtius, Ta- citus, Thuanus, und viele andere gethan ha- ben. Einen Geſchichtſchreiber muͤſſen wir daher, als einen Lehrer anſehen, der die Welt weit und breit, und lange nachher von groſſen Begebenhei- ten belehren will. §. 11. Worinnen das Anſehen eines Geſchichtſchrei- bers beſtehet. Weil bey der Betruͤglichkeit der menſchlichen Ausſagen zur wahren Erkentniß der Geſchichte nicht Z 5

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/chladni_geschichtswissenschaft_1752
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/chladni_geschichtswissenschaft_1752/397
Zitationshilfe: Chladni, Johann Martin: Allgemeine Geschichtswissenschaft. Leipzig, 1752. , S. 361. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chladni_geschichtswissenschaft_1752/397>, abgerufen am 13.11.2024.