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Chladni, Johann Martin: Allgemeine Geschichtswissenschaft. Leipzig, 1752.

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Zehendes Capitel,
§. 5.
Dritter Versuch bey widersprechenden
Aussagen.

Hat man nun zwey Autoren und gewesene Zu-
schauer herausgebracht, oder gleich anfangs vor
sich, (wie Kläger und Beklagten) die einander
widersprechen: so wird 3. zu untersuchen seyn, ob
sie nicht mehr in der Erzehlungsart, als in der
Sache selbst einander widersprechen: indem wir ge-
wiesen, daß in den Erzehlungen einerley Geschichte
grosse Abwechselungen vorkommen: so daß Leute
einander widersprechen können, obgleich keiner den
muthwilligen Vorsatz gehabt hat, die Unwahrheit
zu sagen. (Cap. 6.) Denn z. E. Titius sagte:
Cajus habe ihm versprochen, so und so viel Getrey-
de zu einer gewissen Zeit zu liefern: Sempronius
läugnet es, so kan eine starcke aequivocation und
Mißverstand darunter vorwalten: ob nehmlich auch
das Versprechen völlig zu Stande gekommen, und
zu einem gewissen Versprechen geworden ist. Und
da ist es nicht allemahl klar, ob nicht die Sache
bey blossen Tractaten geblieben. Jeder aber von
den Partheyen siehet die Sache nach seinem Sinne
an, und denckt, wenn er bey sich feste entschlossen
gewesen ist, so werde es der andere auch gewesen
seyn. Um nun zu erforschen, ob in der Art der Er-
zehlung der Betrug stecke, so ist das eintzige Mit-
tel, daß man die Begebenheit, welche gemeiniglich
mit allgemeinen Worten vorgetragen wird; (§. 4.
C. 6.) als man habe einer Person die Ehe ver-
sprochen;
man habe wo eingemiethet, u. s. w.
aus dieser Decke, darein sie der Erzehler eingeklei-

det,
Zehendes Capitel,
§. 5.
Dritter Verſuch bey widerſprechenden
Ausſagen.

Hat man nun zwey Autoren und geweſene Zu-
ſchauer herausgebracht, oder gleich anfangs vor
ſich, (wie Klaͤger und Beklagten) die einander
widerſprechen: ſo wird 3. zu unterſuchen ſeyn, ob
ſie nicht mehr in der Erzehlungsart, als in der
Sache ſelbſt einander widerſprechen: indem wir ge-
wieſen, daß in den Erzehlungen einerley Geſchichte
groſſe Abwechſelungen vorkommen: ſo daß Leute
einander widerſprechen koͤnnen, obgleich keiner den
muthwilligen Vorſatz gehabt hat, die Unwahrheit
zu ſagen. (Cap. 6.) Denn z. E. Titius ſagte:
Cajus habe ihm verſprochen, ſo und ſo viel Getrey-
de zu einer gewiſſen Zeit zu liefern: Sempronius
laͤugnet es, ſo kan eine ſtarcke æquivocation und
Mißverſtand darunter vorwalten: ob nehmlich auch
das Verſprechen voͤllig zu Stande gekommen, und
zu einem gewiſſen Verſprechen geworden iſt. Und
da iſt es nicht allemahl klar, ob nicht die Sache
bey bloſſen Tractaten geblieben. Jeder aber von
den Partheyen ſiehet die Sache nach ſeinem Sinne
an, und denckt, wenn er bey ſich feſte entſchloſſen
geweſen iſt, ſo werde es der andere auch geweſen
ſeyn. Um nun zu erforſchen, ob in der Art der Er-
zehlung der Betrug ſtecke, ſo iſt das eintzige Mit-
tel, daß man die Begebenheit, welche gemeiniglich
mit allgemeinen Worten vorgetragen wird; (§. 4.
C. 6.) als man habe einer Perſon die Ehe ver-
ſprochen;
man habe wo eingemiethet, u. ſ. w.
aus dieſer Decke, darein ſie der Erzehler eingeklei-

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[324/0360] Zehendes Capitel, §. 5. Dritter Verſuch bey widerſprechenden Ausſagen. Hat man nun zwey Autoren und geweſene Zu- ſchauer herausgebracht, oder gleich anfangs vor ſich, (wie Klaͤger und Beklagten) die einander widerſprechen: ſo wird 3. zu unterſuchen ſeyn, ob ſie nicht mehr in der Erzehlungsart, als in der Sache ſelbſt einander widerſprechen: indem wir ge- wieſen, daß in den Erzehlungen einerley Geſchichte groſſe Abwechſelungen vorkommen: ſo daß Leute einander widerſprechen koͤnnen, obgleich keiner den muthwilligen Vorſatz gehabt hat, die Unwahrheit zu ſagen. (Cap. 6.) Denn z. E. Titius ſagte: Cajus habe ihm verſprochen, ſo und ſo viel Getrey- de zu einer gewiſſen Zeit zu liefern: Sempronius laͤugnet es, ſo kan eine ſtarcke æquivocation und Mißverſtand darunter vorwalten: ob nehmlich auch das Verſprechen voͤllig zu Stande gekommen, und zu einem gewiſſen Verſprechen geworden iſt. Und da iſt es nicht allemahl klar, ob nicht die Sache bey bloſſen Tractaten geblieben. Jeder aber von den Partheyen ſiehet die Sache nach ſeinem Sinne an, und denckt, wenn er bey ſich feſte entſchloſſen geweſen iſt, ſo werde es der andere auch geweſen ſeyn. Um nun zu erforſchen, ob in der Art der Er- zehlung der Betrug ſtecke, ſo iſt das eintzige Mit- tel, daß man die Begebenheit, welche gemeiniglich mit allgemeinen Worten vorgetragen wird; (§. 4. C. 6.) als man habe einer Perſon die Ehe ver- ſprochen; man habe wo eingemiethet, u. ſ. w. aus dieſer Decke, darein ſie der Erzehler eingeklei- det,

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Zitationshilfe: Chladni, Johann Martin: Allgemeine Geschichtswissenschaft. Leipzig, 1752. , S. 324. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chladni_geschichtswissenschaft_1752/360>, abgerufen am 21.11.2024.