Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Chladni, Johann Martin: Allgemeine Geschichtswissenschaft. Leipzig, 1752.

Bild:
<< vorherige Seite

v. d. historischen Wahrscheinlichkeit.
ein Autor gleiches Alters, und der ebenfalls um
die Sache gar wohl hat wissen können, diese Ge-
schichte so vorträgt, als wenn dieser Printz sich auf
Discretion in die Jnsel der Ritter begeben, und
zu ihnen seine Zuflucht genommen habe. Es fin-
det aber dieser Geschichtschreiber nicht allein dar-
an einen Anstoß dem Caoursin Glauben beyzu-
messen, weil ihn der Jaligni, als ein nicht zu ver-
achtender Autor widerspricht, sondern auch haupt-
sächlich daran, daß das nachherige Bezeigen der
Ritter, da sie nachher den Printzen als ihren Ge-
fangenen gehalten, dem Saluo conductui wider-
spricht, und im Fall solcher würcklich gegeben wor-
den, zur Schande des damahligen Ordensmei-
sters und den übrigen vornehmsten Gliedern die-
ses Ordens gereichen würde, an deren Ehre, er
doch als ein Geschichtschreiber ihrer Thaten, gros-
sen Antheil nimmt. Die Exempel solcher Zwei-
fel sind zwar unzehlige; aber die Exempel sind
nicht so häuffig, wo man seinen Zweifel recht deut-
lich und vollständig zu Papier bringt.

§. 2.
Unser Amt bey Zweifeln.

Der gewöhnliche Ursprung des historischen
Zweifels ist, daß die Aussagen und Nachrich-
ten,
die wir von einer Sache haben, nicht mit
einander übereinstimmen: sondern einander gerade
widersprechen. Eine jede Aussage, vor sich be-
trachtet, macht bey uns den Eindruck der Wahr-
heit (§. 17. C. 9.): Vollends wenn gar der Aus-
sager ein Ansehen vor sich hat. Bey widerspre-

chenden

v. d. hiſtoriſchen Wahrſcheinlichkeit.
ein Autor gleiches Alters, und der ebenfalls um
die Sache gar wohl hat wiſſen koͤnnen, dieſe Ge-
ſchichte ſo vortraͤgt, als wenn dieſer Printz ſich auf
Diſcretion in die Jnſel der Ritter begeben, und
zu ihnen ſeine Zuflucht genommen habe. Es fin-
det aber dieſer Geſchichtſchreiber nicht allein dar-
an einen Anſtoß dem Caourſin Glauben beyzu-
meſſen, weil ihn der Jaligni, als ein nicht zu ver-
achtender Autor widerſpricht, ſondern auch haupt-
ſaͤchlich daran, daß das nachherige Bezeigen der
Ritter, da ſie nachher den Printzen als ihren Ge-
fangenen gehalten, dem Saluo conductui wider-
ſpricht, und im Fall ſolcher wuͤrcklich gegeben wor-
den, zur Schande des damahligen Ordensmei-
ſters und den uͤbrigen vornehmſten Gliedern die-
ſes Ordens gereichen wuͤrde, an deren Ehre, er
doch als ein Geſchichtſchreiber ihrer Thaten, groſ-
ſen Antheil nimmt. Die Exempel ſolcher Zwei-
fel ſind zwar unzehlige; aber die Exempel ſind
nicht ſo haͤuffig, wo man ſeinen Zweifel recht deut-
lich und vollſtaͤndig zu Papier bringt.

§. 2.
Unſer Amt bey Zweifeln.

Der gewoͤhnliche Urſprung des hiſtoriſchen
Zweifels iſt, daß die Ausſagen und Nachrich-
ten,
die wir von einer Sache haben, nicht mit
einander uͤbereinſtimmen: ſondern einander gerade
widerſprechen. Eine jede Ausſage, vor ſich be-
trachtet, macht bey uns den Eindruck der Wahr-
heit (§. 17. C. 9.): Vollends wenn gar der Aus-
ſager ein Anſehen vor ſich hat. Bey widerſpre-

chenden
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0355" n="319"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">v. d. hi&#x017F;tori&#x017F;chen Wahr&#x017F;cheinlichkeit.</hi></fw><lb/>
ein Autor gleiches Alters, und der ebenfalls um<lb/>
die Sache gar wohl hat wi&#x017F;&#x017F;en ko&#x0364;nnen, die&#x017F;e Ge-<lb/>
&#x017F;chichte &#x017F;o vortra&#x0364;gt, als wenn die&#x017F;er Printz &#x017F;ich auf<lb/><hi rendition="#aq">Di&#x017F;cretion</hi> in die Jn&#x017F;el der Ritter begeben, und<lb/>
zu ihnen &#x017F;eine Zuflucht genommen habe. Es fin-<lb/>
det aber die&#x017F;er Ge&#x017F;chicht&#x017F;chreiber nicht allein dar-<lb/>
an einen An&#x017F;toß dem <hi rendition="#aq">Caour&#x017F;in</hi> Glauben beyzu-<lb/>
me&#x017F;&#x017F;en, weil ihn der <hi rendition="#aq">Jaligni,</hi> als ein nicht zu ver-<lb/>
achtender Autor wider&#x017F;pricht, &#x017F;ondern auch haupt-<lb/>
&#x017F;a&#x0364;chlich daran, daß das nachherige Bezeigen der<lb/>
Ritter, da &#x017F;ie nachher den Printzen als ihren Ge-<lb/>
fangenen gehalten, dem <hi rendition="#aq">Saluo conductui</hi> wider-<lb/>
&#x017F;pricht, und im Fall &#x017F;olcher wu&#x0364;rcklich gegeben wor-<lb/>
den, zur Schande des damahligen Ordensmei-<lb/>
&#x017F;ters und den u&#x0364;brigen vornehm&#x017F;ten Gliedern die-<lb/>
&#x017F;es Ordens gereichen wu&#x0364;rde, an deren Ehre, er<lb/>
doch als ein Ge&#x017F;chicht&#x017F;chreiber ihrer Thaten, gro&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en Antheil nimmt. Die Exempel &#x017F;olcher Zwei-<lb/>
fel &#x017F;ind zwar unzehlige; aber die Exempel &#x017F;ind<lb/>
nicht &#x017F;o ha&#x0364;uffig, wo man &#x017F;einen Zweifel recht deut-<lb/>
lich und voll&#x017F;ta&#x0364;ndig zu Papier bringt.</p>
        </div><lb/>
        <div n="2">
          <head>§. 2.<lb/>
Un&#x017F;er Amt bey Zweifeln.</head><lb/>
          <p>Der gewo&#x0364;hnliche Ur&#x017F;prung des hi&#x017F;tori&#x017F;chen<lb/>
Zweifels i&#x017F;t, daß die <hi rendition="#fr">Aus&#x017F;agen</hi> und <hi rendition="#fr">Nachrich-<lb/>
ten,</hi> die wir von einer Sache haben, nicht mit<lb/>
einander u&#x0364;berein&#x017F;timmen: &#x017F;ondern einander gerade<lb/>
wider&#x017F;prechen. Eine jede Aus&#x017F;age, vor &#x017F;ich be-<lb/>
trachtet, macht bey uns den Eindruck der Wahr-<lb/>
heit (§. 17. C. 9.): Vollends wenn gar der Aus-<lb/>
&#x017F;ager ein An&#x017F;ehen vor &#x017F;ich hat. Bey wider&#x017F;pre-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">chenden</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[319/0355] v. d. hiſtoriſchen Wahrſcheinlichkeit. ein Autor gleiches Alters, und der ebenfalls um die Sache gar wohl hat wiſſen koͤnnen, dieſe Ge- ſchichte ſo vortraͤgt, als wenn dieſer Printz ſich auf Diſcretion in die Jnſel der Ritter begeben, und zu ihnen ſeine Zuflucht genommen habe. Es fin- det aber dieſer Geſchichtſchreiber nicht allein dar- an einen Anſtoß dem Caourſin Glauben beyzu- meſſen, weil ihn der Jaligni, als ein nicht zu ver- achtender Autor widerſpricht, ſondern auch haupt- ſaͤchlich daran, daß das nachherige Bezeigen der Ritter, da ſie nachher den Printzen als ihren Ge- fangenen gehalten, dem Saluo conductui wider- ſpricht, und im Fall ſolcher wuͤrcklich gegeben wor- den, zur Schande des damahligen Ordensmei- ſters und den uͤbrigen vornehmſten Gliedern die- ſes Ordens gereichen wuͤrde, an deren Ehre, er doch als ein Geſchichtſchreiber ihrer Thaten, groſ- ſen Antheil nimmt. Die Exempel ſolcher Zwei- fel ſind zwar unzehlige; aber die Exempel ſind nicht ſo haͤuffig, wo man ſeinen Zweifel recht deut- lich und vollſtaͤndig zu Papier bringt. §. 2. Unſer Amt bey Zweifeln. Der gewoͤhnliche Urſprung des hiſtoriſchen Zweifels iſt, daß die Ausſagen und Nachrich- ten, die wir von einer Sache haben, nicht mit einander uͤbereinſtimmen: ſondern einander gerade widerſprechen. Eine jede Ausſage, vor ſich be- trachtet, macht bey uns den Eindruck der Wahr- heit (§. 17. C. 9.): Vollends wenn gar der Aus- ſager ein Anſehen vor ſich hat. Bey widerſpre- chenden

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/chladni_geschichtswissenschaft_1752
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/chladni_geschichtswissenschaft_1752/355
Zitationshilfe: Chladni, Johann Martin: Allgemeine Geschichtswissenschaft. Leipzig, 1752. , S. 319. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chladni_geschichtswissenschaft_1752/355>, abgerufen am 21.11.2024.