Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Chladni, Johann Martin: Allgemeine Geschichtswissenschaft. Leipzig, 1752.

Bild:
<< vorherige Seite

Achtes Capitel,
ausser der Geschichte ist, und von derselben unter-
schieden ist, ob sie gleich zur Erkentniß der Bege-
benheit um deren Ursache einigermassen zu verste-
hen nöthig ist. Die erste Begebenheit aber der
Zeit nach, welche zu der vorhabenden Geschichte
gehöret, ist, als der Anfang derselben vor allen
nachfolgenden merckwürdig: Und man kan sie den
Grund der Geschichte nennen. Lateinisch aber
wäre das Wort cardo besser zu gebrauchen, als
das Wort principium, welches man bey allge-
meinen
Wahrheiten zu brauchen, allzusehr ge-
wohnt ist, die uns also bey diesem Worte immer
einfallen, und dennoch mit dem Anfange einer
Geschichte keine Gemeinschafft haben. Was sich
nach der ersten Begebenheit zuträgt, oder fügt,
heissen Folgen, die man eher von den syllogisti-
schen Folgen zu unterscheiden schon gewohnt ist;
daher wir dieses Wort, ohne Verwirrung besorgen
zu dürffen, gar wohl beybehalten können.

§. 53.
Wie man auf die Erfindung der Fabeln
gekommen.

Wir haben schon bemerckt (§. 16. seq. C. 4)
daß wir öffters bey Geschichten nicht sowohl auf
die Personen achtung geben, die die Geschichte be-
trifft, als bloß auf die Art, wie die Begebenhei-
ten in der Geschichte auf einander erfolgen: Wie
denn alle verwirrte Händel meistens auf dieser
Seite angesehen werden (§. 30.). Je weniger
man die Folgen aus dem vorhergegangenen schlies-
sen oder vermuthen kan, desto merckwürdiger

kom-

Achtes Capitel,
auſſer der Geſchichte iſt, und von derſelben unter-
ſchieden iſt, ob ſie gleich zur Erkentniß der Bege-
benheit um deren Urſache einigermaſſen zu verſte-
hen noͤthig iſt. Die erſte Begebenheit aber der
Zeit nach, welche zu der vorhabenden Geſchichte
gehoͤret, iſt, als der Anfang derſelben vor allen
nachfolgenden merckwuͤrdig: Und man kan ſie den
Grund der Geſchichte nennen. Lateiniſch aber
waͤre das Wort cardo beſſer zu gebrauchen, als
das Wort principium, welches man bey allge-
meinen
Wahrheiten zu brauchen, allzuſehr ge-
wohnt iſt, die uns alſo bey dieſem Worte immer
einfallen, und dennoch mit dem Anfange einer
Geſchichte keine Gemeinſchafft haben. Was ſich
nach der erſten Begebenheit zutraͤgt, oder fuͤgt,
heiſſen Folgen, die man eher von den ſyllogiſti-
ſchen Folgen zu unterſcheiden ſchon gewohnt iſt;
daher wir dieſes Wort, ohne Verwirrung beſorgen
zu duͤrffen, gar wohl beybehalten koͤnnen.

§. 53.
Wie man auf die Erfindung der Fabeln
gekommen.

Wir haben ſchon bemerckt (§. 16. ſeq. C. 4)
daß wir oͤffters bey Geſchichten nicht ſowohl auf
die Perſonen achtung geben, die die Geſchichte be-
trifft, als bloß auf die Art, wie die Begebenhei-
ten in der Geſchichte auf einander erfolgen: Wie
denn alle verwirrte Haͤndel meiſtens auf dieſer
Seite angeſehen werden (§. 30.). Je weniger
man die Folgen aus dem vorhergegangenen ſchlieſ-
ſen oder vermuthen kan, deſto merckwuͤrdiger

kom-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0312" n="276"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Achtes Capitel,</hi></fw><lb/><hi rendition="#fr">au&#x017F;&#x017F;er</hi> der Ge&#x017F;chichte i&#x017F;t, und von der&#x017F;elben unter-<lb/>
&#x017F;chieden i&#x017F;t, ob &#x017F;ie gleich zur Erkentniß der Bege-<lb/>
benheit um deren Ur&#x017F;ache einigerma&#x017F;&#x017F;en zu ver&#x017F;te-<lb/>
hen no&#x0364;thig i&#x017F;t. Die <hi rendition="#fr">er&#x017F;te</hi> Begebenheit aber der<lb/>
Zeit nach, welche zu der vorhabenden Ge&#x017F;chichte<lb/>
geho&#x0364;ret, i&#x017F;t, als der <hi rendition="#fr">Anfang</hi> der&#x017F;elben vor allen<lb/>
nachfolgenden merckwu&#x0364;rdig: Und man kan &#x017F;ie den<lb/><hi rendition="#fr">Grund</hi> der Ge&#x017F;chichte nennen. Lateini&#x017F;ch aber<lb/>
wa&#x0364;re das Wort <hi rendition="#aq">cardo</hi> be&#x017F;&#x017F;er zu gebrauchen, als<lb/>
das Wort <hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">principium</hi>,</hi> welches man bey <hi rendition="#fr">allge-<lb/>
meinen</hi> Wahrheiten zu brauchen, allzu&#x017F;ehr ge-<lb/>
wohnt i&#x017F;t, die uns al&#x017F;o bey die&#x017F;em Worte immer<lb/>
einfallen, und dennoch mit dem <hi rendition="#fr">Anfange</hi> einer<lb/>
Ge&#x017F;chichte keine Gemein&#x017F;chafft haben. Was &#x017F;ich<lb/>
nach der er&#x017F;ten Begebenheit zutra&#x0364;gt, oder fu&#x0364;gt,<lb/>
hei&#x017F;&#x017F;en <hi rendition="#fr">Folgen,</hi> die man eher von den &#x017F;yllogi&#x017F;ti-<lb/>
&#x017F;chen Folgen zu unter&#x017F;cheiden &#x017F;chon gewohnt i&#x017F;t;<lb/>
daher wir die&#x017F;es Wort, ohne Verwirrung be&#x017F;orgen<lb/>
zu du&#x0364;rffen, gar wohl beybehalten ko&#x0364;nnen.</p>
        </div><lb/>
        <div n="2">
          <head>§. 53.<lb/>
Wie man auf die Erfindung der Fabeln<lb/>
gekommen.</head><lb/>
          <p>Wir haben &#x017F;chon bemerckt (§. 16. &#x017F;eq. C. 4)<lb/>
daß wir o&#x0364;ffters bey Ge&#x017F;chichten nicht &#x017F;owohl auf<lb/>
die Per&#x017F;onen achtung geben, die die Ge&#x017F;chichte be-<lb/>
trifft, als bloß auf die Art, wie die Begebenhei-<lb/>
ten in der Ge&#x017F;chichte auf einander erfolgen: Wie<lb/>
denn alle verwirrte Ha&#x0364;ndel mei&#x017F;tens auf die&#x017F;er<lb/>
Seite ange&#x017F;ehen werden (§. 30.). Je weniger<lb/>
man die Folgen aus dem vorhergegangenen &#x017F;chlie&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en oder vermuthen kan, de&#x017F;to merckwu&#x0364;rdiger<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">kom-</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[276/0312] Achtes Capitel, auſſer der Geſchichte iſt, und von derſelben unter- ſchieden iſt, ob ſie gleich zur Erkentniß der Bege- benheit um deren Urſache einigermaſſen zu verſte- hen noͤthig iſt. Die erſte Begebenheit aber der Zeit nach, welche zu der vorhabenden Geſchichte gehoͤret, iſt, als der Anfang derſelben vor allen nachfolgenden merckwuͤrdig: Und man kan ſie den Grund der Geſchichte nennen. Lateiniſch aber waͤre das Wort cardo beſſer zu gebrauchen, als das Wort principium, welches man bey allge- meinen Wahrheiten zu brauchen, allzuſehr ge- wohnt iſt, die uns alſo bey dieſem Worte immer einfallen, und dennoch mit dem Anfange einer Geſchichte keine Gemeinſchafft haben. Was ſich nach der erſten Begebenheit zutraͤgt, oder fuͤgt, heiſſen Folgen, die man eher von den ſyllogiſti- ſchen Folgen zu unterſcheiden ſchon gewohnt iſt; daher wir dieſes Wort, ohne Verwirrung beſorgen zu duͤrffen, gar wohl beybehalten koͤnnen. §. 53. Wie man auf die Erfindung der Fabeln gekommen. Wir haben ſchon bemerckt (§. 16. ſeq. C. 4) daß wir oͤffters bey Geſchichten nicht ſowohl auf die Perſonen achtung geben, die die Geſchichte be- trifft, als bloß auf die Art, wie die Begebenhei- ten in der Geſchichte auf einander erfolgen: Wie denn alle verwirrte Haͤndel meiſtens auf dieſer Seite angeſehen werden (§. 30.). Je weniger man die Folgen aus dem vorhergegangenen ſchlieſ- ſen oder vermuthen kan, deſto merckwuͤrdiger kom-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/chladni_geschichtswissenschaft_1752
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/chladni_geschichtswissenschaft_1752/312
Zitationshilfe: Chladni, Johann Martin: Allgemeine Geschichtswissenschaft. Leipzig, 1752. , S. 276. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chladni_geschichtswissenschaft_1752/312>, abgerufen am 13.11.2024.