Chladni, Johann Martin: Allgemeine Geschichtswissenschaft. Leipzig, 1752.Achtes Capitel, Folge des zunehmenden, oder abnehmenden Ver-gnügens, oder Mißvergnügens enthalten ist. 5. Am allerwenigsten aber können wir selbst, oder an- dere wissen, was wir vor Verwirrungen der Begriffe, vor Vorurtheile, vor Dispositiones zu solchen Sachen haben, mit denen wir noch nicht umgegangen sind. Daher die Handlungen eines Menschen, mithin seine Begebenheiten und Ge- schichte, und das, was wir von seinen Handlun- gen und Begebenheiten wissen, himmelweit unterschieden ist. 6. Was nun Menschen mit einander reden, und geredet haben, gehöret zwar in Ansehung derer, die zugehöret haben, unter die offenbaren Begebenheiten: allein wie man öff- ters mit eintzeln Personen im Vertrauen redet: al- so sind solche Unterredungen doch noch immer vor andere, wenn sie nicht ausgeschwatzet werden, ein unerforschlich Geheimniß, wovon sich auch nicht einmahl eine Spur wahrnehmen lässet. §. 46. Bey Geschichten wird viel verschwiegen. Und was von diesen verborgenen Umständen von
Achtes Capitel, Folge des zunehmenden, oder abnehmenden Ver-gnuͤgens, oder Mißvergnuͤgens enthalten iſt. 5. Am allerwenigſten aber koͤnnen wir ſelbſt, oder an- dere wiſſen, was wir vor Verwirrungen der Begriffe, vor Vorurtheile, vor Diſpoſitiones zu ſolchen Sachen haben, mit denen wir noch nicht umgegangen ſind. Daher die Handlungen eines Menſchen, mithin ſeine Begebenheiten und Ge- ſchichte, und das, was wir von ſeinen Handlun- gen und Begebenheiten wiſſen, himmelweit unterſchieden iſt. 6. Was nun Menſchen mit einander reden, und geredet haben, gehoͤret zwar in Anſehung derer, die zugehoͤret haben, unter die offenbaren Begebenheiten: allein wie man oͤff- ters mit eintzeln Perſonen im Vertrauen redet: al- ſo ſind ſolche Unterredungen doch noch immer vor andere, wenn ſie nicht ausgeſchwatzet werden, ein unerforſchlich Geheimniß, wovon ſich auch nicht einmahl eine Spur wahrnehmen laͤſſet. §. 46. Bey Geſchichten wird viel verſchwiegen. Und was von dieſen verborgenen Umſtaͤnden von
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0302" n="266"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Achtes Capitel,</hi></fw><lb/><hi rendition="#fr">Folge</hi> des zunehmenden, oder abnehmenden Ver-<lb/> gnuͤgens, oder Mißvergnuͤgens enthalten iſt. 5.<lb/> Am allerwenigſten aber koͤnnen wir ſelbſt, oder an-<lb/> dere wiſſen, was wir vor <hi rendition="#fr">Verwirrungen</hi> der<lb/><hi rendition="#fr">Begriffe,</hi> vor <hi rendition="#fr">Vorurtheile,</hi> vor <hi rendition="#aq">Diſpoſitiones</hi><lb/> zu ſolchen Sachen haben, mit denen wir noch nicht<lb/> umgegangen ſind. Daher die Handlungen eines<lb/> Menſchen, mithin ſeine Begebenheiten und Ge-<lb/> ſchichte, und das, was wir von ſeinen <hi rendition="#fr">Handlun-<lb/> gen</hi> und <hi rendition="#fr">Begebenheiten wiſſen,</hi> himmelweit<lb/> unterſchieden iſt. 6. Was nun Menſchen mit<lb/> einander reden, und geredet haben, gehoͤret zwar<lb/> in Anſehung derer, die zugehoͤret haben, unter die<lb/> offenbaren Begebenheiten: allein wie man <hi rendition="#fr">oͤff-<lb/> ters</hi> mit eintzeln Perſonen im Vertrauen redet: al-<lb/> ſo ſind ſolche Unterredungen doch noch immer vor<lb/> andere, wenn ſie nicht ausgeſchwatzet werden, ein<lb/> unerforſchlich Geheimniß, wovon ſich auch nicht<lb/> einmahl eine Spur wahrnehmen laͤſſet.</p> </div><lb/> <div n="2"> <head>§. 46.<lb/> Bey Geſchichten wird viel verſchwiegen.</head><lb/> <p>Und was von dieſen verborgenen Umſtaͤnden<lb/> noch koͤnte bekannt gemacht werden, das muß doch<lb/> aus moraliſchen und politiſchen Urſachen groͤſten-<lb/> theils wieder verſchwiegen werden, ſo daß ſich zwar<lb/> die Geſchichte, ſo weit ſie aͤuſſerliche Veraͤnderun-<lb/> gen betreffen, ausbreiten, aber auch bey der ge-<lb/> treulichſten Erzehlung vieles von dem vorhergehen-<lb/> den zuruͤck gehalten wird, das die oͤffentliche Be-<lb/> gebenheit begreifflicher wuͤrde gemacht haben. Wer<lb/> ſein eigen Leben beſchreibt, koͤnte noch am erſten<lb/> <fw place="bottom" type="catch">von</fw><lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [266/0302]
Achtes Capitel,
Folge des zunehmenden, oder abnehmenden Ver-
gnuͤgens, oder Mißvergnuͤgens enthalten iſt. 5.
Am allerwenigſten aber koͤnnen wir ſelbſt, oder an-
dere wiſſen, was wir vor Verwirrungen der
Begriffe, vor Vorurtheile, vor Diſpoſitiones
zu ſolchen Sachen haben, mit denen wir noch nicht
umgegangen ſind. Daher die Handlungen eines
Menſchen, mithin ſeine Begebenheiten und Ge-
ſchichte, und das, was wir von ſeinen Handlun-
gen und Begebenheiten wiſſen, himmelweit
unterſchieden iſt. 6. Was nun Menſchen mit
einander reden, und geredet haben, gehoͤret zwar
in Anſehung derer, die zugehoͤret haben, unter die
offenbaren Begebenheiten: allein wie man oͤff-
ters mit eintzeln Perſonen im Vertrauen redet: al-
ſo ſind ſolche Unterredungen doch noch immer vor
andere, wenn ſie nicht ausgeſchwatzet werden, ein
unerforſchlich Geheimniß, wovon ſich auch nicht
einmahl eine Spur wahrnehmen laͤſſet.
§. 46.
Bey Geſchichten wird viel verſchwiegen.
Und was von dieſen verborgenen Umſtaͤnden
noch koͤnte bekannt gemacht werden, das muß doch
aus moraliſchen und politiſchen Urſachen groͤſten-
theils wieder verſchwiegen werden, ſo daß ſich zwar
die Geſchichte, ſo weit ſie aͤuſſerliche Veraͤnderun-
gen betreffen, ausbreiten, aber auch bey der ge-
treulichſten Erzehlung vieles von dem vorhergehen-
den zuruͤck gehalten wird, das die oͤffentliche Be-
gebenheit begreifflicher wuͤrde gemacht haben. Wer
ſein eigen Leben beſchreibt, koͤnte noch am erſten
von
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |