Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Chladni, Johann Martin: Allgemeine Geschichtswissenschaft. Leipzig, 1752.

Bild:
<< vorherige Seite

v. d. Zusammenhange d. Begebenh. etc.
nicht die Frage: wie das nachfolgende an sich
aus dem vorhergehenden folget, welches eine meta-
physische Untersuchung ist; sondern wie das nach-
folgende,
das wir wissen, aus dem vorherge-
henden
folge, das wir auch wissen?

§. 43.
Ein anders ist die Verbindung der Geschichte, und
die Verbindung unserer Erzehlungen.

Wir haben deswegen gleich anfangs die Ge-
schichte
von der Erkentniß derselben sorgfältig
unterschieden: (§. 14. C. 1.) und daraus entste-
het der allergröste Unterscheid der allgemeinen
Erkentniß und der historischen Erkentniß. Jene
ist lauter menschliche Erkentniß, und ein Werck
des menschlichen Verstandes: die Geschichte aber
ist nicht menschliche Erkentniß, sondern sie ist vor-
handen, wenn auch niemand vorhanden wäre, der
sie erkennete. Jn Wüsteneyen, wo kein Mensch
zugegen ist, tragen sich eben so wohl Wasserflu-
then, Regenbogen, Gewitter, Bergfälle, Erd-
beben zu, als wo Menschen wohnen. Die Ge-
schichte muß also erst zur menschlichen Erkentniß
werden: aber sie wird, wegen unserer so sehr einge-
schränckten Erkentniß, niemahls zu einer solchen Er-
kentniß, darinnen alles ausgedrückt, und wie
abgedruckt wäre, was in der Geschichte an und
vor sich selbst enthalten ist. Jn der Geschichte ist da-
her auch, eigentlich zu reden, nichts verborgenes,
sondern in Ansehung unserer Erkentniß, ist vieles,
ja das allermeiste verborgen. Welchen Begriff
wir etwas mehr auswickeln müssen.

§. 44.
R 4

v. d. Zuſammenhange d. Begebenh. ꝛc.
nicht die Frage: wie das nachfolgende an ſich
aus dem vorhergehenden folget, welches eine meta-
phyſiſche Unterſuchung iſt; ſondern wie das nach-
folgende,
das wir wiſſen, aus dem vorherge-
henden
folge, das wir auch wiſſen?

§. 43.
Ein anders iſt die Verbindung der Geſchichte, und
die Verbindung unſerer Erzehlungen.

Wir haben deswegen gleich anfangs die Ge-
ſchichte
von der Erkentniß derſelben ſorgfaͤltig
unterſchieden: (§. 14. C. 1.) und daraus entſte-
het der allergroͤſte Unterſcheid der allgemeinen
Erkentniß und der hiſtoriſchen Erkentniß. Jene
iſt lauter menſchliche Erkentniß, und ein Werck
des menſchlichen Verſtandes: die Geſchichte aber
iſt nicht menſchliche Erkentniß, ſondern ſie iſt vor-
handen, wenn auch niemand vorhanden waͤre, der
ſie erkennete. Jn Wuͤſteneyen, wo kein Menſch
zugegen iſt, tragen ſich eben ſo wohl Waſſerflu-
then, Regenbogen, Gewitter, Bergfaͤlle, Erd-
beben zu, als wo Menſchen wohnen. Die Ge-
ſchichte muß alſo erſt zur menſchlichen Erkentniß
werden: aber ſie wird, wegen unſerer ſo ſehr einge-
ſchraͤnckten Erkentniß, niemahls zu einer ſolchen Er-
kentniß, darinnen alles ausgedruͤckt, und wie
abgedruckt waͤre, was in der Geſchichte an und
vor ſich ſelbſt enthalten iſt. Jn der Geſchichte iſt da-
her auch, eigentlich zu reden, nichts verborgenes,
ſondern in Anſehung unſerer Erkentniß, iſt vieles,
ja das allermeiſte verborgen. Welchen Begriff
wir etwas mehr auswickeln muͤſſen.

§. 44.
R 4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0299" n="263"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">v. d. Zu&#x017F;ammenhange d. Begebenh. &#xA75B;c.</hi></fw><lb/>
nicht die Frage: wie das <hi rendition="#fr">nachfolgende</hi> an &#x017F;ich<lb/>
aus dem vorhergehenden folget, welches eine meta-<lb/>
phy&#x017F;i&#x017F;che Unter&#x017F;uchung i&#x017F;t; &#x017F;ondern wie das <hi rendition="#fr">nach-<lb/>
folgende,</hi> das wir wi&#x017F;&#x017F;en, aus dem <hi rendition="#fr">vorherge-<lb/>
henden</hi> folge, <hi rendition="#fr">das wir auch wi&#x017F;&#x017F;en?</hi></p>
        </div><lb/>
        <div n="2">
          <head>§. 43.<lb/>
Ein anders i&#x017F;t die Verbindung der Ge&#x017F;chichte, und<lb/>
die Verbindung un&#x017F;erer Erzehlungen.</head><lb/>
          <p>Wir haben deswegen gleich anfangs die <hi rendition="#fr">Ge-<lb/>
&#x017F;chichte</hi> von der <hi rendition="#fr">Erkentniß</hi> der&#x017F;elben &#x017F;orgfa&#x0364;ltig<lb/>
unter&#x017F;chieden: (§. 14. C. 1.) und daraus ent&#x017F;te-<lb/>
het der allergro&#x0364;&#x017F;te Unter&#x017F;cheid der <hi rendition="#fr">allgemeinen</hi><lb/>
Erkentniß und der <hi rendition="#fr">hi&#x017F;tori&#x017F;chen</hi> Erkentniß. Jene<lb/>
i&#x017F;t lauter <hi rendition="#fr">men&#x017F;chliche Erkentniß,</hi> und ein Werck<lb/>
des men&#x017F;chlichen Ver&#x017F;tandes: die <hi rendition="#fr">Ge&#x017F;chichte</hi> aber<lb/>
i&#x017F;t nicht men&#x017F;chliche Erkentniß, &#x017F;ondern &#x017F;ie i&#x017F;t vor-<lb/>
handen, wenn auch niemand vorhanden wa&#x0364;re, der<lb/>
&#x017F;ie erkennete. Jn Wu&#x0364;&#x017F;teneyen, wo kein Men&#x017F;ch<lb/>
zugegen i&#x017F;t, tragen &#x017F;ich eben &#x017F;o wohl Wa&#x017F;&#x017F;erflu-<lb/>
then, Regenbogen, Gewitter, Bergfa&#x0364;lle, Erd-<lb/>
beben zu, als wo Men&#x017F;chen wohnen. Die Ge-<lb/>
&#x017F;chichte muß al&#x017F;o er&#x017F;t zur men&#x017F;chlichen Erkentniß<lb/>
werden: aber &#x017F;ie wird, wegen un&#x017F;erer &#x017F;o &#x017F;ehr einge-<lb/>
&#x017F;chra&#x0364;nckten Erkentniß, niemahls zu einer &#x017F;olchen Er-<lb/>
kentniß, darinnen alles <hi rendition="#fr">ausgedru&#x0364;ckt,</hi> und wie<lb/><hi rendition="#fr">abgedruckt</hi> wa&#x0364;re, was in der Ge&#x017F;chichte an und<lb/>
vor &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t enthalten i&#x017F;t. Jn der Ge&#x017F;chichte i&#x017F;t da-<lb/>
her auch, eigentlich zu reden, nichts <hi rendition="#fr">verborgenes,</hi><lb/>
&#x017F;ondern in An&#x017F;ehung un&#x017F;erer Erkentniß, i&#x017F;t vieles,<lb/>
ja das allermei&#x017F;te <hi rendition="#fr">verborgen.</hi> Welchen Begriff<lb/>
wir etwas mehr auswickeln mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en.</p>
        </div><lb/>
        <fw place="bottom" type="sig">R 4</fw>
        <fw place="bottom" type="catch">§. 44.</fw><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[263/0299] v. d. Zuſammenhange d. Begebenh. ꝛc. nicht die Frage: wie das nachfolgende an ſich aus dem vorhergehenden folget, welches eine meta- phyſiſche Unterſuchung iſt; ſondern wie das nach- folgende, das wir wiſſen, aus dem vorherge- henden folge, das wir auch wiſſen? §. 43. Ein anders iſt die Verbindung der Geſchichte, und die Verbindung unſerer Erzehlungen. Wir haben deswegen gleich anfangs die Ge- ſchichte von der Erkentniß derſelben ſorgfaͤltig unterſchieden: (§. 14. C. 1.) und daraus entſte- het der allergroͤſte Unterſcheid der allgemeinen Erkentniß und der hiſtoriſchen Erkentniß. Jene iſt lauter menſchliche Erkentniß, und ein Werck des menſchlichen Verſtandes: die Geſchichte aber iſt nicht menſchliche Erkentniß, ſondern ſie iſt vor- handen, wenn auch niemand vorhanden waͤre, der ſie erkennete. Jn Wuͤſteneyen, wo kein Menſch zugegen iſt, tragen ſich eben ſo wohl Waſſerflu- then, Regenbogen, Gewitter, Bergfaͤlle, Erd- beben zu, als wo Menſchen wohnen. Die Ge- ſchichte muß alſo erſt zur menſchlichen Erkentniß werden: aber ſie wird, wegen unſerer ſo ſehr einge- ſchraͤnckten Erkentniß, niemahls zu einer ſolchen Er- kentniß, darinnen alles ausgedruͤckt, und wie abgedruckt waͤre, was in der Geſchichte an und vor ſich ſelbſt enthalten iſt. Jn der Geſchichte iſt da- her auch, eigentlich zu reden, nichts verborgenes, ſondern in Anſehung unſerer Erkentniß, iſt vieles, ja das allermeiſte verborgen. Welchen Begriff wir etwas mehr auswickeln muͤſſen. §. 44. R 4

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/chladni_geschichtswissenschaft_1752
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/chladni_geschichtswissenschaft_1752/299
Zitationshilfe: Chladni, Johann Martin: Allgemeine Geschichtswissenschaft. Leipzig, 1752. , S. 263. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chladni_geschichtswissenschaft_1752/299>, abgerufen am 13.11.2024.