Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Chladni, Johann Martin: Allgemeine Geschichtswissenschaft. Leipzig, 1752.

Bild:
<< vorherige Seite

v. d. Ausbreitung u. Fortpflantzung etc.
Lehre auf der Cantzel vorgebracht wird: Denn
wie jeder die Lehren, die von dieser heiligen Stelle
vorgetragen werden, als solche ansiehet, die nicht
bloß die Gelehrten, sondern einen so gut als den
andern angingen, also pflegt auch jeder eine solche
Nachricht seines Orts ausbreiten zu helffen. Un-
ter Leuten, die eine Sache nichts angehet, sind
diejenigen besonders bekannt, welche von der Sa-
che nichts verstehen. Sollte man auch etwa
bedencklich finden, daß eine Geschichte in der
Welt vorgehen sollte, die mich und dich nichts
anginge, da doch alles in der Welt verknüpft
sey, so dienet zur Antwort, 1. daß es, wie schon
gedacht, nicht auf die Wahrheit, sondern darauf
ankommt, ob wir glauben, daß uns die Sache et-
was angehe. 2. Sodann könnte man zwar da-
von sagen, daß uns die Sache äuserst wenig,
oder unmercklich wenig anginge; aber eben
dieses wenige wird nach der gemeinen Gedenck-
und Mundart, nichts genennet.

§. 33.
Wenn Geschichte einen Anstoß finden.

Die Geschichte, oder vielmehr die Erzehlung,
findet einen Anstoß, wenn iemand derselben
widerspricht. Und dieses kan so wohl deswegen
geschehen, weil man sie nicht glaubt, oder weil man
sie nicht will ausgebreitet wissen. Die Geschich-
te wird deswegen durch solchen Anstoß in ihrem
Lauffe gehindert, weil 1. der Widersprecher das-
jenige nicht thut, was er als ein Nachsager thun
würde, daß also ein Canal abgehet, durch wel-

chen

v. d. Ausbreitung u. Fortpflantzung ꝛc.
Lehre auf der Cantzel vorgebracht wird: Denn
wie jeder die Lehren, die von dieſer heiligen Stelle
vorgetragen werden, als ſolche anſiehet, die nicht
bloß die Gelehrten, ſondern einen ſo gut als den
andern angingen, alſo pflegt auch jeder eine ſolche
Nachricht ſeines Orts ausbreiten zu helffen. Un-
ter Leuten, die eine Sache nichts angehet, ſind
diejenigen beſonders bekannt, welche von der Sa-
che nichts verſtehen. Sollte man auch etwa
bedencklich finden, daß eine Geſchichte in der
Welt vorgehen ſollte, die mich und dich nichts
anginge, da doch alles in der Welt verknuͤpft
ſey, ſo dienet zur Antwort, 1. daß es, wie ſchon
gedacht, nicht auf die Wahrheit, ſondern darauf
ankommt, ob wir glauben, daß uns die Sache et-
was angehe. 2. Sodann koͤnnte man zwar da-
von ſagen, daß uns die Sache aͤuſerſt wenig,
oder unmercklich wenig anginge; aber eben
dieſes wenige wird nach der gemeinen Gedenck-
und Mundart, nichts genennet.

§. 33.
Wenn Geſchichte einen Anſtoß finden.

Die Geſchichte, oder vielmehr die Erzehlung,
findet einen Anſtoß, wenn iemand derſelben
widerſpricht. Und dieſes kan ſo wohl deswegen
geſchehen, weil man ſie nicht glaubt, oder weil man
ſie nicht will ausgebreitet wiſſen. Die Geſchich-
te wird deswegen durch ſolchen Anſtoß in ihrem
Lauffe gehindert, weil 1. der Widerſprecher das-
jenige nicht thut, was er als ein Nachſager thun
wuͤrde, daß alſo ein Canal abgehet, durch wel-

chen
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0227" n="191"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">v. d. Ausbreitung u. Fortpflantzung &#xA75B;c.</hi></fw><lb/>
Lehre auf der Cantzel vorgebracht wird: Denn<lb/>
wie jeder die Lehren, die von die&#x017F;er heiligen Stelle<lb/>
vorgetragen werden, als &#x017F;olche an&#x017F;iehet, die nicht<lb/>
bloß die Gelehrten, &#x017F;ondern einen &#x017F;o gut als den<lb/>
andern angingen, al&#x017F;o pflegt auch jeder eine &#x017F;olche<lb/>
Nachricht &#x017F;eines Orts ausbreiten zu helffen. Un-<lb/>
ter Leuten, die eine Sache nichts angehet, &#x017F;ind<lb/>
diejenigen be&#x017F;onders bekannt, welche von der Sa-<lb/>
che <hi rendition="#fr">nichts ver&#x017F;tehen.</hi> Sollte man auch etwa<lb/>
bedencklich finden, daß eine Ge&#x017F;chichte in der<lb/>
Welt vorgehen &#x017F;ollte, die <hi rendition="#fr">mich</hi> und <hi rendition="#fr">dich</hi> nichts<lb/>
anginge, da doch alles in der Welt verknu&#x0364;pft<lb/>
&#x017F;ey, &#x017F;o dienet zur Antwort, 1. daß es, wie &#x017F;chon<lb/>
gedacht, nicht auf die Wahrheit, &#x017F;ondern darauf<lb/>
ankommt, ob wir glauben, daß uns die Sache et-<lb/>
was angehe. 2. Sodann ko&#x0364;nnte man zwar da-<lb/>
von &#x017F;agen, daß uns die Sache <hi rendition="#fr">a&#x0364;u&#x017F;er&#x017F;t wenig,</hi><lb/>
oder <hi rendition="#fr">unmercklich wenig</hi> anginge; aber eben<lb/>
die&#x017F;es <hi rendition="#fr">wenige</hi> wird nach der gemeinen Gedenck-<lb/>
und Mundart, <hi rendition="#fr">nichts</hi> genennet.</p>
        </div><lb/>
        <div n="2">
          <head>§. 33.<lb/>
Wenn Ge&#x017F;chichte einen An&#x017F;toß finden.</head><lb/>
          <p>Die Ge&#x017F;chichte, oder vielmehr die Erzehlung,<lb/><hi rendition="#fr">findet einen An&#x017F;toß,</hi> wenn iemand der&#x017F;elben<lb/>
wider&#x017F;pricht. Und die&#x017F;es kan &#x017F;o wohl deswegen<lb/>
ge&#x017F;chehen, weil man &#x017F;ie nicht glaubt, oder weil man<lb/>
&#x017F;ie nicht will ausgebreitet wi&#x017F;&#x017F;en. Die Ge&#x017F;chich-<lb/>
te wird deswegen durch &#x017F;olchen An&#x017F;toß in ihrem<lb/>
Lauffe gehindert, weil 1. der Wider&#x017F;precher das-<lb/>
jenige nicht thut, was er als ein Nach&#x017F;ager thun<lb/>
wu&#x0364;rde, daß al&#x017F;o <hi rendition="#fr">ein</hi> Canal abgehet, durch wel-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">chen</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[191/0227] v. d. Ausbreitung u. Fortpflantzung ꝛc. Lehre auf der Cantzel vorgebracht wird: Denn wie jeder die Lehren, die von dieſer heiligen Stelle vorgetragen werden, als ſolche anſiehet, die nicht bloß die Gelehrten, ſondern einen ſo gut als den andern angingen, alſo pflegt auch jeder eine ſolche Nachricht ſeines Orts ausbreiten zu helffen. Un- ter Leuten, die eine Sache nichts angehet, ſind diejenigen beſonders bekannt, welche von der Sa- che nichts verſtehen. Sollte man auch etwa bedencklich finden, daß eine Geſchichte in der Welt vorgehen ſollte, die mich und dich nichts anginge, da doch alles in der Welt verknuͤpft ſey, ſo dienet zur Antwort, 1. daß es, wie ſchon gedacht, nicht auf die Wahrheit, ſondern darauf ankommt, ob wir glauben, daß uns die Sache et- was angehe. 2. Sodann koͤnnte man zwar da- von ſagen, daß uns die Sache aͤuſerſt wenig, oder unmercklich wenig anginge; aber eben dieſes wenige wird nach der gemeinen Gedenck- und Mundart, nichts genennet. §. 33. Wenn Geſchichte einen Anſtoß finden. Die Geſchichte, oder vielmehr die Erzehlung, findet einen Anſtoß, wenn iemand derſelben widerſpricht. Und dieſes kan ſo wohl deswegen geſchehen, weil man ſie nicht glaubt, oder weil man ſie nicht will ausgebreitet wiſſen. Die Geſchich- te wird deswegen durch ſolchen Anſtoß in ihrem Lauffe gehindert, weil 1. der Widerſprecher das- jenige nicht thut, was er als ein Nachſager thun wuͤrde, daß alſo ein Canal abgehet, durch wel- chen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/chladni_geschichtswissenschaft_1752
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/chladni_geschichtswissenschaft_1752/227
Zitationshilfe: Chladni, Johann Martin: Allgemeine Geschichtswissenschaft. Leipzig, 1752. , S. 191. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chladni_geschichtswissenschaft_1752/227>, abgerufen am 13.11.2024.