Wichtigkeit seyn, daß sie indem man sie nach dem gemeinen Leisten förmeln will, ein Ansehen bekom- men, welches ihre wahre Beschaffenheit und Ge- stalt nicht wenig verstellet.
§. 28. Das Nachdencken über einer Geschichte veran- lasset eine andere Erzehlung.
Wenn die Vorstellung des Nachsagers mit der Vorstellung des Urhebers nicht genau überein kommt; so wird Ersterer sich in seiner Erzehlung auch anderer Worte bedienen, als er in der Urkun- de gefunden: Es wäre denn, daß er aus Vorsicht, und weil ihm bekannt ist, der Zuschauer müsse am besten gewust haben, wie die Geschichte am rich- tigsten zu erzehlen wäre, solche Veränderung un- terlässet, und daher bey den Worten der Urkunde lediglich bleibet. Welches auch das eintzige Mit- tel ist, die Wahrheit und Richtigkeit der Ge- schichte unversehrt zu erhalten. Aendert aber der Nachsager die Urkunde, so muß diese nothwendig auch andere Vorstellungen bey den Hörern und Lesern, als künfftigen zweyten Nachsagern her- vorbringen. Da nun bey diesen eben diejenigen Ursachen vorkommen, von welchen wir gewiesen, daß sie eine Aenderung in der Erzehlung bey dem ersten Nachsager veranlassen können (§. 24.); nehmlich die Begierde mehr zu wissen, und das un- bestimmte näher zu bestimmen, so wird die Erzeh- lung des zweyten Nachsagers von der Erzeh- lung des ersten Nachsagers abermahls unterschie- den seyn; so daß durch die Menge der Nachsager
und
v. d. Ausbreitung u. Fortpflantzung ꝛc.
Wichtigkeit ſeyn, daß ſie indem man ſie nach dem gemeinen Leiſten foͤrmeln will, ein Anſehen bekom- men, welches ihre wahre Beſchaffenheit und Ge- ſtalt nicht wenig verſtellet.
§. 28. Das Nachdencken uͤber einer Geſchichte veran- laſſet eine andere Erzehlung.
Wenn die Vorſtellung des Nachſagers mit der Vorſtellung des Urhebers nicht genau uͤberein kommt; ſo wird Erſterer ſich in ſeiner Erzehlung auch anderer Worte bedienen, als er in der Urkun- de gefunden: Es waͤre denn, daß er aus Vorſicht, und weil ihm bekannt iſt, der Zuſchauer muͤſſe am beſten gewuſt haben, wie die Geſchichte am rich- tigſten zu erzehlen waͤre, ſolche Veraͤnderung un- terlaͤſſet, und daher bey den Worten der Urkunde lediglich bleibet. Welches auch das eintzige Mit- tel iſt, die Wahrheit und Richtigkeit der Ge- ſchichte unverſehrt zu erhalten. Aendert aber der Nachſager die Urkunde, ſo muß dieſe nothwendig auch andere Vorſtellungen bey den Hoͤrern und Leſern, als kuͤnfftigen zweyten Nachſagern her- vorbringen. Da nun bey dieſen eben diejenigen Urſachen vorkommen, von welchen wir gewieſen, daß ſie eine Aenderung in der Erzehlung bey dem erſten Nachſager veranlaſſen koͤnnen (§. 24.); nehmlich die Begierde mehr zu wiſſen, und das un- beſtimmte naͤher zu beſtimmen, ſo wird die Erzeh- lung des zweyten Nachſagers von der Erzeh- lung des erſten Nachſagers abermahls unterſchie- den ſeyn; ſo daß durch die Menge der Nachſager
und
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v. d. Ausbreitung u. Fortpflantzung ꝛc.
Wichtigkeit ſeyn, daß ſie indem man ſie nach dem
gemeinen Leiſten foͤrmeln will, ein Anſehen bekom-
men, welches ihre wahre Beſchaffenheit und Ge-
ſtalt nicht wenig verſtellet.
§. 28.
Das Nachdencken uͤber einer Geſchichte veran-
laſſet eine andere Erzehlung.
Wenn die Vorſtellung des Nachſagers mit
der Vorſtellung des Urhebers nicht genau uͤberein
kommt; ſo wird Erſterer ſich in ſeiner Erzehlung
auch anderer Worte bedienen, als er in der Urkun-
de gefunden: Es waͤre denn, daß er aus Vorſicht,
und weil ihm bekannt iſt, der Zuſchauer muͤſſe am
beſten gewuſt haben, wie die Geſchichte am rich-
tigſten zu erzehlen waͤre, ſolche Veraͤnderung un-
terlaͤſſet, und daher bey den Worten der Urkunde
lediglich bleibet. Welches auch das eintzige Mit-
tel iſt, die Wahrheit und Richtigkeit der Ge-
ſchichte unverſehrt zu erhalten. Aendert aber der
Nachſager die Urkunde, ſo muß dieſe nothwendig
auch andere Vorſtellungen bey den Hoͤrern und
Leſern, als kuͤnfftigen zweyten Nachſagern her-
vorbringen. Da nun bey dieſen eben diejenigen
Urſachen vorkommen, von welchen wir gewieſen,
daß ſie eine Aenderung in der Erzehlung bey dem
erſten Nachſager veranlaſſen koͤnnen (§. 24.);
nehmlich die Begierde mehr zu wiſſen, und das un-
beſtimmte naͤher zu beſtimmen, ſo wird die Erzeh-
lung des zweyten Nachſagers von der Erzeh-
lung des erſten Nachſagers abermahls unterſchie-
den ſeyn; ſo daß durch die Menge der Nachſager
und
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Chladni, Johann Martin: Allgemeine Geschichtswissenschaft. Leipzig, 1752. , S. 187. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chladni_geschichtswissenschaft_1752/223>, abgerufen am 13.11.2024.
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