selbst, offters ohne gnugsamen Grund beant- wortet und seine Vermuthung mit der erhaltenen Nachricht vermenget. Erzehlt nun ein solcher die Geschichte nachher, oder sagt sie nach, so ist nichts leichters, als daß er seine gemachte Entde- ckung, die er sich als seine eigene Erfindung leicht eben so klar vorstellet, als was würcklich in der Nachricht gestanden hat, von der Urkunde nicht unterscheidet, sondern eines mit dem andern, als wenn er davon wäre benachrichtiget worden, er- zehlet.
§. 27. Man kan durch eine Erzehlung leichte präoccupirt werden.
Jndem der Zuschauer der Geschichte, dersel- ben in seiner Erzehlung schon eine gewisse Gestalt gegeben (n. 3. §. 24.), so entstehet daraus zwischen der Vorstellung die der Zuschauer hat, und derje- nigen, die der Hörer oder Leser aus der Erzeh- lung bekommt, ein mercklicher Unterscheid. Denn er, der Zuschauer, weiß die besondern Umstände, die sich auch wohl auf eine andere Art erzehlen liessen; er weiß also auch und kan wenigstens wissen, daß sich der Geschichte auch eine andere Gestalt geben liesse: Der Hörer aber der Er- zehlung weiß nichts von der Geschichte, (wenig- stens nehmen wir dergleichen Hörer hier an) als aus der Erzehlung, die aber gemeiniglich nichts in sich enthält, daraus man sehen könnte, daß auch die Sache eine andere Gestalt bekommen könne: Also: Ein Advocat, der die Sache seines Clien-
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Siebentes Capitel,
ſelbſt, offters ohne gnugſamen Grund beant- wortet und ſeine Vermuthung mit der erhaltenen Nachricht vermenget. Erzehlt nun ein ſolcher die Geſchichte nachher, oder ſagt ſie nach, ſo iſt nichts leichters, als daß er ſeine gemachte Entde- ckung, die er ſich als ſeine eigene Erfindung leicht eben ſo klar vorſtellet, als was wuͤrcklich in der Nachricht geſtanden hat, von der Urkunde nicht unterſcheidet, ſondern eines mit dem andern, als wenn er davon waͤre benachrichtiget worden, er- zehlet.
§. 27. Man kan durch eine Erzehlung leichte praͤoccupirt werden.
Jndem der Zuſchauer der Geſchichte, derſel- ben in ſeiner Erzehlung ſchon eine gewiſſe Geſtalt gegeben (n. 3. §. 24.), ſo entſtehet daraus zwiſchen der Vorſtellung die der Zuſchauer hat, und derje- nigen, die der Hoͤrer oder Leſer aus der Erzeh- lung bekommt, ein mercklicher Unterſcheid. Denn er, der Zuſchauer, weiß die beſondern Umſtaͤnde, die ſich auch wohl auf eine andere Art erzehlen lieſſen; er weiß alſo auch und kan wenigſtens wiſſen, daß ſich der Geſchichte auch eine andere Geſtalt geben lieſſe: Der Hoͤrer aber der Er- zehlung weiß nichts von der Geſchichte, (wenig- ſtens nehmen wir dergleichen Hoͤrer hier an) als aus der Erzehlung, die aber gemeiniglich nichts in ſich enthaͤlt, daraus man ſehen koͤnnte, daß auch die Sache eine andere Geſtalt bekommen koͤnne: Alſo: Ein Advocat, der die Sache ſeines Clien-
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[184/0220]
Siebentes Capitel,
ſelbſt, offters ohne gnugſamen Grund beant-
wortet und ſeine Vermuthung mit der erhaltenen
Nachricht vermenget. Erzehlt nun ein ſolcher
die Geſchichte nachher, oder ſagt ſie nach, ſo iſt
nichts leichters, als daß er ſeine gemachte Entde-
ckung, die er ſich als ſeine eigene Erfindung leicht
eben ſo klar vorſtellet, als was wuͤrcklich in der
Nachricht geſtanden hat, von der Urkunde nicht
unterſcheidet, ſondern eines mit dem andern, als
wenn er davon waͤre benachrichtiget worden, er-
zehlet.
§. 27.
Man kan durch eine Erzehlung leichte
praͤoccupirt werden.
Jndem der Zuſchauer der Geſchichte, derſel-
ben in ſeiner Erzehlung ſchon eine gewiſſe Geſtalt
gegeben (n. 3. §. 24.), ſo entſtehet daraus zwiſchen
der Vorſtellung die der Zuſchauer hat, und derje-
nigen, die der Hoͤrer oder Leſer aus der Erzeh-
lung bekommt, ein mercklicher Unterſcheid. Denn
er, der Zuſchauer, weiß die beſondern Umſtaͤnde,
die ſich auch wohl auf eine andere Art erzehlen
lieſſen; er weiß alſo auch und kan wenigſtens
wiſſen, daß ſich der Geſchichte auch eine andere
Geſtalt geben lieſſe: Der Hoͤrer aber der Er-
zehlung weiß nichts von der Geſchichte, (wenig-
ſtens nehmen wir dergleichen Hoͤrer hier an) als
aus der Erzehlung, die aber gemeiniglich nichts in
ſich enthaͤlt, daraus man ſehen koͤnnte, daß auch
die Sache eine andere Geſtalt bekommen koͤnne:
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Chladni, Johann Martin: Allgemeine Geschichtswissenschaft. Leipzig, 1752. , S. 184. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chladni_geschichtswissenschaft_1752/220>, abgerufen am 03.03.2025.
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